Von fik­tio­na­len Wän­den

Seit Anthony Vilder 2002 in «UnHEIMlich. Über das Unbehagen in der Architektur» die Schnittstellen des Gebauten zur Psychoanalyse auslotete, hat sich wenig bewegt. Daher dürfte «Zwi­schen Architektur und Psychoanalyse. Sexualität, Phantasmen, Körper» für Grenzgänger zwischen beiden Disziplinen anregend sein.

Date de publication
26-06-2013
Revision
28-10-2015

Der Essay von Jane Rendell beispielsweise spürt den Architekturbezügen in Sigmund Freuds Werk nach. Freud bediente sich nicht selten grundrissähnlicher Zeichnungen und einer dreidimensionalen Ausdrucksweise (etwa der Räumlichkeit der Subjektivität mit Grenzen, Umschliessungen, Durchgängen oder Schwellensituationen). Parallelen von Psyche und Baukörpern liegen für die Autorin vor allem in der Beziehung zwischen innen und aussen, nah und fern, gegenwärtig und vergessen. Sie schlägt auch die Bögen zur Erinnerung und zum Verdrängen, zum Déjà-vu und letztlich auch zum Unheimlichen. 

Körper in Datenräumen

Einen spannenden Ausflug in eine Gegenwart, die immer mehr von digitalen Informa­tionen beeinflusst wird, bietet die Gruppe «BridA». Die slowenischen Künstler lassen in Echtzeit die Bewegungen an ausgewählten städtischen Plätzen zu sich permanent wandelnden Kunstwerken werden. Passanten und Fahrzeuge hinterlassen Klänge und Li­nien, die nur so lange existieren, wie deren Erzeuger in Bewegung sind. Für diese audiovisuellen Sinfonien werden – kreativ zweckentfremdete – Überwachungskameras ein­gesetzt. Eine Aneignung von Stadtraum, die sich eines kritikwürdigen Verfahrens (des Sammelns individueller Daten) bedient, bringt so gleichzeitig Werke hervor, die sich durch ihren zufälligen Charakter dem traditionellen Zugriff der Kunstgeschichte entziehen. Das Individuum gerät in die Rolle des Datenlieferanten, prägt das Bild und verschwindet doch gleichzeitig unidentifizierbar in ihm. 

Das Umarbeiten von räumlichen Beziehungen thematisiert auch Helge Mooshammer, indem er die zeitgenössischen Praktiken des Performativen als Suche ansieht. Er zeigt das am Beispiel der schwulen Praxis des «Cruising», die als zufallsgesteuertes Erkunden den Raum zu einem Schauplatz des Abenteuers macht. Die Vermischung von Imagination und (städtischer) Landschaft erscheint hier wie die Einlösung der situationistischen Theorie des Umherschweifens der 1960er-Jahre. 

Libidinöse Bekleidungstheorie 

Ebenfalls einer sexuellen Ausdeutung des Gebauten spürt Doina Petrescu nach. Sie plädiert dafür, computergenerierte architektonische Form als «delirierende Konstruk­tion» zu verstehen und arbeitet sich hierzu am Ansatz von Gaëtan Gatian de Clérambault und dessen «drapierten Gewändern» entlang. In der textilen Faltungskunst liegt, so der französische Psychoanalytiker, «ein Wissen, das auf der Fähigkeit beruht, Form zu konstruieren, ohne zu sehen». Diese Tendenz der Körperlichkeit lässt den Stoff zur Leidenschaft werden. Hier schlägt die Autorin die Brücke zur parametrischen Oberfläche der animierten Form, denn auch sie ist ein «generativer, selbsterklärender und libidinös aufgeladener Prozess».

Zur Sinnlichkeit des Baue(n)s

Manche haben zur Psychoanalyse und zu deren Übervater Sigmund Freud ein gespaltenes Verhältnis. Der vorliegende Band sollte unter einem anderen Licht gesehen werden: Mit ihm gelingt es, sich klarer zu werden über die komplexe Interaktion zwischen Menschen, Räumen und Bauwerken. Mitsamt Gefühlen, Erinnerungen, Spuren, Körpern und Begierden ist der Umgang mit Gebautem nämlich «heiss» und nicht «kalt». Diese Lektion könnte bei Architekten viel Positives bewirken.

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