Seit 100 Jah­ren über den Tel­le­rand

Die Gestaltung unserer dichten Kulturlandschaft und wachsenden Siedlungen ist eine komplexe Aufgabe. Um die Vielzahl divergierender Inter­essen zu vereinbaren, ist eine interdisziplinäre Betrachtung notwendig. Dass diese Einsicht keineswegs neu ist, zeigt die Natur- und Heimatschutzkommission NHK des Kantons Zürich, die heuer auf 100 Jahre Beratungstätigkeit zurückblickt.

Date de publication
25-10-2012
Revision
01-09-2015

Die Tatsache allein, dass die NHK ihr 100-jähriges Bestehen feiert, wäre für das Fachpublikum keine Meldung wert. Interessant dagegen ist, dass weder die fachübergreifende Arbeitsweise des Gremiums noch die Themen, mit denen es sich befasst, bis heute an Aktualität eingebüsst haben. Als der Regierungsrat des Kantons Zürich 1912 die Kommission ins Leben rief, tat er es im Bewusstsein, dass Landschaften und Siedlungen aus einem historischen Zusammenspiel von ökonomischen, gestalterischen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren resultieren, die eine einzelne Fachperson unmöglich überblicken kann. Eingriffe in ein so komplexes System bedürfen einer umfassenden Betrachtung. Deshalb wurde die Kommission von Anfang an interdisziplinär zusammengestellt; ihre heutigen Mitglieder stammen aus den Bereichen Architektur, Ingenieurwissenschaften, Landschaftsarchitektur, Kunst, Biologie, Raumplanung und Agronomie.

Solaranlagen und Windparks

Als Thinktank avant la lettre hat die NHK stets versucht, die Tragweite einer Intervention in die Landschaft oder in ein Ortsbild ganzheitlich zu beurteilen. Es geht also weniger um das einzelne Objekt als vielmehr um den landschaftlichen und baulichen Zusammenhang, in dem es sich befindet. Die vertretenen Anliegen – der sorgfältige Umgang mit der Kulturlandschaft, die Rücksicht auf einzigartige historische Ortsbilder und der Schutz der verbliebenen Naturwerte – zielen primär auf die Schonung kultureller und natürlicher Ressourcen. Doch die Erhaltung und Weiterentwicklung bestehender Qualitäten schliesst fortschrittliche Ideen nicht aus.Von Anfang an hat sich die Kommission für Architekturwettbewerbe als Mittel zur Erhöhung der baulichen Qualität eingesetzt. Auch die Konsequenzen der jüngst ausgerufenen Energiewende auf Siedlung und Kulturlandschaft beschäftigen sie seit geraumer Zeit. Bereits 1975 verfasste sie als Folge der Öl­krise ein internes Memorandum über die ­Integration von Solaranlagen; in den letzten Jahren hat sie angeregt, dass die Forschung Folgen und Chancen von neuen «Energielandschaften» untersuchen möge – etwa die Behandlung von Windrädern als landschaftsarchitektonische Gestaltungselemente.

Unabhängige Reflexion

Formal ist die NHK eine vom Regierungsrat des Kantons Zürich gewählte, für ein symbolisches Entgelt arbeitende Sachverständigenkommission. Sie verfügt über keinerlei Entscheidungsbefugnisse und beschränkt sich darauf, Entscheidungsträger von Kanton und Gemeinden zu beraten. Zuweilen tut sie dies auch in Bereichen, in denen es eine ­entsprechende Amtsstelle gibt; der Mehrwert besteht in der Interdisziplinarität und in der fachlichen Unabhängigkeit des Gremiums, dessen Gutachten nicht zuletzt auch bei ­juristischen Auseinandersetzungen beige­zogen werden. Doch das wahre Potenzial ­einer solchen Kommission besteht in der Möglichkeit, anhand konkreter Fragestellungen frühzeitig grundsätzliche Überlegungen zu Themen anzustellen, die über den Kompetenzbereich einzelner Amtsstellen oder Disziplinen hinausgehen – eine Arbeitsweise, die in unserer spezialisierten Berufswelt zuweilen gewöhnungsbedürftig, für die nachhaltige Entwicklung unseres Lebensraums jedoch unerlässlich ist.

 

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