Höher bauen im Thurgau
Mit zunehmendem Siedlungsdruck ist die Hochhausfrage auch im Thurgau angekommen. Besonders entlang der Bodenseestädte wurden in letzter Zeit Hochhausprojekte realisiert, weshalb sich Kreuzlingen, Romanshorn und Arbon zu Positionsbezügen durchrangen. Nun schafft die Denkmalpflege Thurgau baugeschichtliche Grundlagen für die Diskussion um diesen Bautyp.
Der Landschaftsraum Thurgau ist städtischer geworden. Während die Wachstumsringe des Metropolitanraums Zürich schon bis Weinfelden reichen, unterliegt die untere Seeregion ungebremstem Zuspruch aus Konstanz. Am Obersee wächst die Region St. Gallen in den Thurgau hinein. Dieser Dynamik, die nun das Hochhaus portiert, hält das Autorenteam um die Herausgeberinnen Beatrice Sendner und Bettina Hedinger Gelassenheit entgegen. Es baut historisches Bewusstsein auf und wagt mit dem Blick auf die Siedlungsentwicklung die Sinn- und Identitätsfrage: Wie lässt sich eine Kultur für einen städtischen Bautyp im ländlichen Raum Thurgau begründen? Felicitas Meile stellt die Ausformungen und Nutzungstrukturen der mittelalterlichen Burgtürme vor. Der Turm als Repräsentant der Mächtigen und Gebildeten strahlt freistehend von der Hügelspitze in sein Umland aus. Integriert in die Altstädte bildet er Stadtsilhouette und tritt in einen Bedeutungswettstreit mit den Kirchen. Während im 19. Jahrhundert ein neogotischer Höhenwettbewerb gelebt wurde, stand das 20. Jahrhundert im Zeichen bauplastisch gestalteter «Campanile», welche die skulpturale Moderne auch im Thurgauer Kirchenbau verankerten.
Unvermutete Qualität
Der Hochhausbau begann im Thurgau moderat, aber qualitativ hochstehend. Feingliedrige 1950er-Jahre-Bauten machten in Kreuzlingen, Arbon und Frauenfeld den Anfang, bevor 1960 mit dem Arboner «Saurer-Hochhaus» von Georges-Pierre Dubois der Höhepunkt erreicht wurde. Die darauffolgenden Grosssiedlungs-Gedanken blieben im Thurgau im Fragmentarischen stecken, was auch heute noch an bisweilen beklemmenden ortsbaulichen Situationen festgestellt werden kann. Das Hochhaus der 1960er- und 1970er-Jahre ist auch im Thurgau ein Vorbote der Agglomerationsstadt. Hochhäuser sind auch dort zu entdecken, wo man sie nicht erwarten würde. Ferenc Biedermann stellt eine Serie von Silobauten vor: Als dicht zusammen gebaute Ensembles von Zweckbauten entwickeln sie im Kontrast zur Landschaft kräftige Silhouetten. Oft an landschaftlich reizvoller Stelle und nahe an einem Fluss gelegen, unterliegen diese Strukturen heute einem erhöhten Umnutzungsdruck. Als Wohn- oder Geschäftssitz begehrt, zeugen sie von der positiven Kraft, die ein kompakter Siedlungskörper im Dialog mit intakter Landschaft entwickeln kann.