Wi­ders­pens­ti­ger Al­bula

Wassereinbrüche, ein Gewölbeeinsturz, schwimmender zuckerkörniger ­Dolomit, der Ausfall des Bauunternehmens, abgelegene Baustellen, Zeitdruck und ein unverrückbarer Eröffnungstermin – keine Schwierigkeit des Tunnelbaus blieb der Rhätischen Bahn erspart, als sie von 1899 bis 1903 den Albulatunnel baute. Das ehrgeizige Vorhaben gelang trotz aller Widerstände, der Albulatunnel steht seit 110 Jahren im Dienst. Der Bericht der Bauleitung lässt die wechselvolle Baugeschichte wieder aufleben.

Date de publication
25-04-2013
Revision
25-10-2015

Im Juli 1898 wurden die technischen Vorarbeiten am Albulatunnel auf beiden Seiten auf­genommen. Als Baumethode war Sohlstollenbetrieb mit beidseitigem Sprengvortrieb mit hydraulischen Bohrmaschinen System Brandt, unter Nutzung der bei den Portalen zur Verfügung stehenden Wasserkräfte, vorgesehen. Der Lichtraum des 5864.5m langen, gerade angelegten Tunnels mit halbkreisförmigem Gewölbe ist 5m hoch und 4.5m breit, sein Querschnitt beträgt 19.91m2, und die Widerlager sind an den Innenseiten mit 1/20 Anzug aufgemauert.

An den Portalen von Preda im Albulatal auf der Nordseite und Spinas im Val Bever auf der Südseite wurden mechanische Werkstätten, Schmieden und je eine kleine Giesserei eingerichtet. Für die Arbeiter, Aufseher und Ingenieure mussten Barackenbauten bereitgestellt werden, zu denen sich Magazine und Werkstätten sowie Bauten für die Verpflegung der Arbeiter, für Bad, Spital, Gottesdienst, Schule, Post usw. gesellten. So entstand beidseits des Tunnels je eine Wohnkolonie, die mit Wasserleitung und Hydranten ausgestattet und in Preda auch mit elektrischem Licht versehen wurde.

Die bereits bei Baubeginn erstellten Stationsbauten in Preda und Spinas dienten zuerst ebenfalls als Unterkünfte. Für die Dynamitmagazine ­wurden den behördlichen Vorschriften entsprechende Standorte gefunden und eingerichtet. Im Lauf des Tunnelbaus verlegten die Mineure auf beiden Seiten bis zu 10km Baugleise, auf denen fünf kleine Lokomotiven bis zu 330 Rollwagen bewegten. 

Bei Beginn der Arbeiten waren 36 Arbeiter im Tunnel (bzw. in den Portalen) und 12 Personen im Freien beschäftigt. Die grösste Arbeiterzahl am Albulatunnel betrug im Juli 1902 auf ­beiden Seiten zusammen 1316 Mann, von denen 984 im Tunnel und 332 im Freien arbeiteten. Im Sommer musste auf jeder Seite Unterkunft für 600, im Winter für 500 Arbeiter vorhanden sein. Im letzten Baumonat, dem Juni 1903, waren noch 31 Arbeiter im Tunnel und 230 Mann im Freien tätig.

Der eigentliche Tunnelbau begann im Oktober 1898 mit der beidseitigen Inangriffnahme des Sohlstollens durch die Rhätische Bahn. Am 15. Februar 1899 übernahm die italienische Bauunternehmung Ronchi & Carlotti, später Ronchi & Majoli, den gesamten Tunnelbau. Als Termin für den Durchschlag des Sohlstollens war der 15. April 1902 festgesetzt. Sechs Monate später sollte der Tunnel vollendet sein.  

Viel Wasser an der Nordseite 

Auf der Nordseite wurden zunächst schwierige Verhältnisse für den Tunnelbau angetroffen, bis endlich nach 1528.5m der erwartete stabile Granit angefahren werden konnte. Am 13. Oktober 1899 begann bei 376m im Sohlstollen die maschinelle Bohrung mit zwei gleichzeitig arbeitenden Bohrmaschinen in verhältnismässig solidem Kalkschiefer, wobei zunächst ein monatlicher Stollenfortschritt von 100m erzielt wurde. Dabei traten bei 200m und 440m unproblematische Quellen von je ca. 8 l/s auf. Bei 618m wurde in brüchigem Gestein jedoch eine Quelle von 25 l/s angefahren, die den Stollen überflutete, sodass ­starker Stolleneinbau nötig wurde. Dieser Wasserzufluss begleitete, meist rückwärts nachklaffend, fortan den Stollenvortrieb.

Im Januar 1900 betrug der Wasserabfluss am Portal 41 l/s, von da an nahm er stetig zu und erreichte anfangs April bereits 74 l/s. Jedes Bohrloch war eine Quelle, die Wassertemperatur betrug in diesem Tunnelabschnitt im Winter und Sommer nur 6°C. Unter diesen Bedingungen nahm die Leistung der Mineure erheblich ab, und als Mitte April bei 1003m eine Quelle von 300 l/s einbrach und das Gleis bis 70cm hoch überschwemmte, mussten die Arbeiten einige Tage unterbrochen werden, bis das Wasser gefasst werden konnte. Am Ende der Bauzeit betrug der Wasserabfluss am Tunnelportal auf der Nordseite 244 l/s, wovon der grösste Teil auf die Eingangsstrecke entfällt.

Der Vortrieb des Sohlstollens ging mit häufigen Unterbrechungen nur noch langsam vorwärts. Infolge des Wassers wurde die Sohle durchweg ungenügend ausgesprengt, und an vielen Stellen wurde das Gleis beträchtlich gehoben, trotz 10‰ Gefälle von 600m bis 1200m im Sohlstollen musste man teils tief im Wasser, teils tief gebückt gehen. In der Wasserstrecke war das Gestein dünnschichtig und zerklüftet, sodass bei 840m und 1030m ­Deckenbrüche von 5m Höhe erfolgten, deren Abbau sehr mühsam und zeitraubend war. 

Stillstand im schwimmenden Gebirge

Das war aber erst der Beginn der bautechnischen Herausforderungen. Ende Mai erreichten die Mineure bei 1100m den Zellendolomit, der anfänglich den Charakter eines leichten ­Tuffsteins hatte und sich ohne Maschinenarbeit leicht gewinnen liess. Als der Stollen am 29. Juli 1900 bei 1192m anlangte, brach eine gewaltige Wassermenge in den Tunnel ein, die das Geleise und die ganze Stollensohle auf 500m Länge mit feinstem Dolomitsand bedeckte. 

In diesem schwimmenden Gebirge war nur mit sorgfältiger Getriebezimmerung vorwärts zu kommen. In 2.5 Monaten gelangten die Mineure bei dem von oben und unten zudringenden kalten Wasser nur um 6.3m vorwärts. Während 70m3 nützlichen Aushubs gemacht wurden, mussten 1500m3 Sand hinausgefahren werden. Ende Dezember 1900 musste der Vortrieb des Sohlstollens bei 1205m eingestellt werden. Diese unerwarteten Schwierig­keiten, zu ­denen noch ein Einsturz des südlichen Gewölbes kam, bewogen die Bauunternehmung am 24. Februar 1901, von ihrem Auftrag zurückzutreten. Die Arbeiten auf beiden Seiten wurden seither von der RhB in Regie weitergeführt. 

Der feste Fels konnte jedoch gemäss der an der Oberfläche über dem Tunnel erhobenen Formationsgrenze nicht mehr fern sein. Da der Sohlstollen die Sandüberlagerung teilweise entwässert hatte, wurde nun als Ultima Ratio der bis 1185m gelangte, etwas ­höher gelegene Firststollen weiter vorgetrieben. Mit einem mittleren Tagesfortschritt von 0.25m ­erreichte man am 15. April bei 1210m endlich das sichere Ufer des Casannaschiefers. Die wasserreiche Strecke war 600m lang. Im schwimmenden Gebirge befand sich der ­Tunnel nur auf 18m Länge. 

Während dieser Zeit war die Mauerung vom Portal bis zur Druckstrecke vollendet worden. In der Druckstrecke von 1190 bis 1210m wurde die Kalotte mit einem 75cm starken Gewölbe aus Granitquadern in Portlandzement-Mörtel gesichert, was von April bis Juni dauerte. Der Aushub und die Herstellung der Widerlager in Beton und Schichtstein-Mauerwerk erfolgte anschliessend bis zum 20. Juli. Nach dieser kritischen Strecke verläuft der Tunnel ab 1260m in solidem Granit, wo am 25. August die maschinelle Bohrung wieder aufgenommen wurde.

Im August war zugleich der Entwässerungskanal vollendet, sodass im September das eindringende Wasser endlich geordnet abfloss. Die Ausmauerung erfolgte mit Bruchsteinen der Triaskalke aus einem nahe gelegenen Steinbruch. Der Mörtel wurde in trockenen und feuchten Strecken mit hydraulischem Kalk, in nassen Strecken mit Portlandzement angemacht. Bei heftigem Wasserzudrang kam rasch abbindender Grenoblezement zum Einsatz. 

Einsturz auf der Südseite 

Nach dem Portal Preda wurde der Granit bereits nach 260m, auf denen nicht mit besonderen Schwierigkeiten gerechnet wurde, erwartet. Die südliche Eingangsstrecke verläuft in Sand mit grossen Findlingen. Zufliessendes Wasser machte den feinen Sand sehr beweglich. Die dadurch mobil gewordenen Felsblöcke übten oft konzentrierten Druck auf einzelne Stellen der Hölzung aus und verursachten seitliche und vertikale Verschiebungen des Einbaus und Setzungen der Hölzung. Fortwährend musste aufgefirstet werden, und in der Überlagerung bildete sich infolge des ausgespülten Sands ein tiefer Graben. 

Am 19. November 1899 gab der Einbau der beiden letzten Ringe bei 108m nach und fiel auf einer Länge von 12m zusammen, glücklicherweise ohne Opfer. Der Einbruchtrichter dehnte sich bis an die Erdoberfläche aus, ca. 25m hoch. Die Rekonstruktion erfolgte mithilfe eines stark konstruierten neuen Sohlstollens, auf dem eine Firstschlitz-Zimmerung aufgebaut war. Sie dauerte vier Monate und war Ende Juli 1900 beendet.

Während dieser Zeit war ein Firststollen weiter vorgetrieben worden, der im März 1900 bei 170m die feste Grundmoräne erreichte. Bei 260m wurde der Granit angefahren, und am 17. Oktober 1900 begann bei 323m die Bohrung mit zwei Maschinen. Auf der Südseite wurde die Ausmauerung mit Mörtel aus Palazzolokalk ausgeführt. Die für das Gewölbe verwendeten Granitsteine stammen meist von Findlingen aus der Umgebung des Portals.  

Schneller Fortschritt im harten Fels

Das Herzstück des Albulatunnels ist die 4346m lange Granitstrecke. Nach dem Ausscheiden der Bauunternehmung am 24. Februar 1901 führte die Rhätische Bahn die Arbeiten ab 1. April 1901 in Regie selbst weiter. Als am 25. August 1901 die Maschinenbohrung auf der Nordseite im Granit, bei 1260m, in Angriff genommen wurde, war man auf der Südseite bis 1485m gelangt. Somit war noch eine Stollenlänge von 3120m im Granit auszubrechen.

Der Stollenfortschritt im Granit der Südseite hatte bisher 120m im Monat betragen. Nach diesem Massstab hätte man 13 Monate, bis Ende September 1902, bis zum Durchschlag gebraucht, als Termin für den Durchschlag war aber der 15. April 1902 festgesetzt.

Um den Durchschlag so schnell als möglich herbeizuführen, wurde nun von beiden Seiten mit drei gleichzeitig arbeitenden Bohrmaschinen vorgegangen und dafür der Vollausbruch zurückgestellt. Damit sollte Gewissheit über die Gebirgsverhältnisse geschaffen und die ­Lüftung verbessert werden. Der hierbei zurückbleibende Vollausbruch und die Mauerungsarbeiten waren nach dem Durchschlag leicht nachzuholen. 

Der Durchschlag erfolgte am 29. Mai 1902 von Preda aus. Die fehlenden 3120m Stollen waren in 278 Tagen vollendet worden, davon 1771m auf der Nordseite. Im Granit betrug der mittlere tägliche Fortschritt auf der Nordseite 6.37m, auf der Südseite 4.85m. Der Durchschlag lag 3030.5m vom Nordportal entfernt nördlich der Scheitelhorizontalen. Am Durchschlagspunkt fiel die Sohle des Südstollens mit der Decke des Nordstollens zusammen. 

Die gemittelten monatlichen Tagesleistungen der Maschinenbohrung steigerten sich auf der Nordseite von 6.37m im Oktober 1901 auf bis 7.28m im April 1902. Auf der Südseite variierten sie in diesem Zeitraum zwischen 4.86m und 5.77m. Als absolute Tagesbestwerte wurden auf der Nordseite 9.30m und auf der Südseite 8.00m erreicht. Gearbeitet wurde im Dreischichtbetrieb, wobei innert 24h zwischen rund 3.7 und 5 Angriffe (Bohren der Sprenglöcher, Sprengen und Schuttern) ausgeführt werden konnten. Auf der Nordseite wurde der Sohlstollen bis 100m vor Ort verbreitert und ein Doppelgleis für die Stollenbahn verlegt. 

Der durchfahrene Granit war im Allgemeinen kompakt und stellenweise sehr quarzreich und hart. Häufig trat eine Zerklüftung auf, mit der gewöhnlich etwas Wasserzutritt verbunden war. Mehrfach hatte die Gebirgspressung eine gneisartige Struktur erzeugt, und längere Partien waren so zerquetscht, dass eine verstärkte Mauerung nötig wurde. Vielfach ergab sich eine senkrecht gestellte schiefrige Textur, die eine Widerlagerverkleidung ohne Deckengewölbe erforderte. Eine seltsamerweise im Granit angetroffene, 65m lange Strecke aus dunklen Liasschiefern war trocken und unproblematisch.

Neue Baumethoden für den Endspurt

Zur Zeit des Durchschlags waren insgesamt noch 1850m Firststollen, 2400m Kalottenausweitung und 2600m Vollausbruch auszubrechen. Die Mauerung war auf der Nordseite bis 1225m vor dem Durchschlagspunkt vollendet, auf der Südseite bis auf 1800m.

Etwa   der verbleibenden Strecken waren noch auszumauern. Diese Arbeiten mussten von Ende Mai 1902 bis Ende Februar 1903 ausgeführt werden. Der Eröffnungstermin vom 1. Juli 1903 bedingte, dass der Schotter im März eingebracht und das Gleis im Tunnel anfangs April gelegt wurden, um das Oberbaumaterial durch den Tunnel führen und die Oberbaulage vom Portal bis Celerina rechtzeitig vollenden zu können. Fast die Hälfte der gesamten Tunnellänge musste deshalb im Jahr 1902 hergestellt werden.

In dieser Zwangslage ging die Bauleitung im November 1901 auf der Nordseite bei 1320m zur Baumethode des Firstschlitzes über. Dabei stellten zwei Bohrmaschinen, ausgehend vom Sohlstollen, einen Schlitz bis zur Tunneldecke her. Ein separater Firststollen war nicht mehr erforderlich, was die Arbeit wesentlich einfacher gestaltete.

Im April 1902 wurde diese Methode auch auf der Südseite eingeführt. Mit Maschinenbohrung betrug der Fortschritt dieser Stollenerhöhung 500m monatlich. Der Vollausbruch war 1.5 Monate nach dem Firstschlitz vollendet. Am 3. Oktober 1902 wurde schliesslich die Maschinenbohrung eingestellt und im Januar 1903 die letzten Mineurarbeiten ausgeführt. 

Ende Februar 1903 waren auch die Mauerungsarbeiten abgeschlossen. In der Granitstrecke konnte die Verkleidung in rund 40% der Tunnellänge weggelassen werden, doch wurde auch hier das Profil für eine spätere Verkleidung ausgebrochen. Im gesamten Tunnel sind rund 30% unverkleidet ausgeführt, 12% sind gemauert ohne Gewölbe, 16% mit einem 0.3 bis 0.4m starken Gewölbe, 36% mit einem 0.45m starken Gewölbe und 6% mit einem 0.55 bis 0.75m starken Gewölbe. 

Dank den ausserordentlichen Arbeitsfortschritten in den letzten Baumonaten konnte der Rückstand weitgehend aufgeholt werden. Am 15. April war der Oberbau im Albulatunnel bereits gelegt, sodass mit der programmgemässen Eröffnung der Strecke Thusis–Celerina am 1. Juli 1903 auch im Oberengadin das Eisenbahnzeitalter begann. 

* Der vorliegende historische Baubericht ist eine gekürzte und bearbeitete Fassung des Kapitels «B. Der Albulatunnel. 5864.5 lang.» der Denkschrift «Projekt und Bau der Albulabahn» von Prof. Dr. F. Hennings, zur Bauzeit Oberingenieur der Rhätischen Bahn, Kommissions-Verlag von F. Schuler, Chur, 1908, S. 45–62. Mit freundlicher Genehmigung der Direktion der Rhätischen Bahn, Chur. 

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