Enges Zu­sam­mens­piel: Eu­ro­codes Se­cond Ge­ne­ra­tion und SIA-Trag­werks­nor­men

Mit der zweiten Generation Eurocodes sollen praxistaugliche Normen geschaffen werden, die sich als anerkannte Regeln der Baukunde durchsetzen. Auf ihrem Weg zu diesem Ziel hat sie der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) massgeblich begleitet.

Date de publication
12-10-2022

Das Kürzel EC2G bedeutet Eurocodes Second Generation. Das Projekt EC2G (Verstärktes Engagement bei der Erarbeitung der Eurocodes zweiter Generation) wiederum war ein Projekt des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Verwaltung und Privatwirtschaft.

Ziel dieses Projekts war es, bei der Überarbeitung der europaweit angewendeten Eurocodes die Philosophie der konsistenten, praxistauglichen SIA-Tragwerksnormen einzubringen und damit eine Annäherung der Eurocodes an die Schweizer Tragwerksnormen zu erreichen. Der von der EU-Kommission und der EFTA an das CEN (Europäisches Komitee für Normung) erteilte Normungsauftrag Mandat M/515 «Mandate for amending existing Eurocodes and extending the scope of structural Eurocodes» startete am 1. Januar 2016.

20 Experten, 32 Positionen

Es gelang, wichtige Partner von der Relevanz des Projekts zu überzeugen und sie für die Unterstützung zu
gewinnen. Das ermöglichte, ausgewiesene Schweizer Experten mit grossem Fachwissen, praktischer Erfahrung und guter Einbindung in die Kommissionen für Tragwerksnormen (KTN) des SIA für die Arbeiten in den europäischen Gremien zu verpflichten. Insgesamt waren im Projekt zwanzig Experten in 32 Positionen / Gremien tätig – darunter in sieben leitenden Funktionen als Chairman oder Vice-Chairman eines Sub-Committees, als Convenor einer Working Group oder als Leader eines Projektteams. Die Mitarbeit und der Input der Schweizer Experten bei der Erarbeitung der Eurocodes zweiter Generation waren in allen CEN-Gremien hochwillkommen.

Die Normenkommissionen SIA 260 bis 268 als Verfasserinnen der schweizerischen Tragwerksnormen nahmen die Aufgaben als Spiegelkommissionen wahr. Die Projektsteuerung und der Informationsaustausch zwischen der Kommission für Tragwerksnormen, der Projektleitung und den Projektpartnern wurden durch einen Lenkungsausschuss sichergestellt.

Projekt-Zielsetzung erreicht

Den Stand der zum Projektende vorliegenden Entwürfe der Eurocodes der zweiten Generation und den
Erfüllungsgrad der Projekt-Zielsetzungen stuft die Projektleitung mehrheitlich als gut bis sehr gut ein. Zudem erwartet sie, dass diese zweite Generation Eurocodes praxistaugliche und anwenderfreundliche Normen sein werden, die als anerkannte Regeln der Baukunde bestätigt werden.

Als spezielle Erfolge des Einsatzes der EC2G-Experten sind folgende Punkte für ausgewählte Eurocodes der zweiten Generation bzw. Gremien erwähnenswert:

  • Eurocode 0 – EN 1990 «Grundlagen der Tragwerksplanung»: Die Prägnanz der Norm und die Konsistenz zu den anderen Eurocodes wurden stark verbessert. Ein ausführlicher Bericht zum Hintergrund der Teilsicherheitsbeiwerte als Basis für die Bestimmung der Schweizer Teilsicherheitswerte liegt vor. Die Konvergenz zur Norm SIA 260 wird als gut beurteilt.
  • Eurocode 0 – EN 1990-2 «Grundlagen der Tragwerksplanung – Bestehende Tragwerke»: Der vorliegende Schlussentwurf der Norm ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung der bereits genehmigten technischen Spezifikation CEN/TS 17440, die stark an die Norm SIA 269 angelehnt ist; das heisst, es wird eine gute Konvergenz zur Norm SIA 269 erwartet.
  • Eurocode 2 – EN 1992 «Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken»: Die Zielsetzung der Inte­gration der bisherigen Teile 2 «Betonbrücken» und 3 «Silos und Behälterbauwerke aus Beton» in den Teil 1-1 «Allgemeine Regeln – Regeln für Hochbauten, Brücken und Ingenieurbauwerke» wurde erfolgreich umgesetzt. Damit wurde eine Reduktion der Anzahl der Normteile erreicht. Es gelang, eine signifikante Reduktion der Anzahl der bisherigen national zu bestimmenden Parameter zu erreichen. Zudem wurden neue Themen (Materialien, Bauweisen) und Regelungen, die eine nachhaltigere Bemessung und den Nachweis der Dauerhaftigkeit von Betontragwerken erlauben, aufgenommen. Die Konvergenz zur Norm SIA 262 wird als gut beurteilt.
  • Eurocode 3 – EN 1993 «Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten»: Der Aufbau des Teils 1-1 «Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau» wurde massgeblich gestrafft und die Navigation und die Konsistenz mit weiteren Teilen des Eurocodes 3 stark verbessert. Weiter wurden klare Fortschritte bei der Ermüdungsbemessung von Tragwerken erzielt. Die Konvergenz der wichtigen Teile des Eurocodes 3 zur Norm SIA 263 wird als gut beurteilt.
  • Eurocode 4 – EN 1994 «Bemessung und Konstruktion von Verbundtragwerken aus Stahl und Beton»: Die bereits gute Konvergenz zur Norm SIA 264 wurde verbessert.
  • Eurocode 5 – EN 1995 «Bemessung und Konstruktion von Holzbauten»: Der Aufbau und die Struktur der einzelnen Teile der EN 1995 konnten verbessert und gleichzeitig eine Reduktion der Anzahl alternativer Bemessungsverfahren erreicht werden. Die Konvergenz zur Norm SIA 265 wurde mehrheitlich verbessert, gewisse Vorbehalte bleiben aber noch hinsichtlich der Stabilitätsnachweise. Der Teil 1–2 «Allgemeine Regeln – Tragwerksbemessung für den Brandfall» konvergiert gut mit der Norm SIA 265 und den Lignum-Brandschutzdokumenten.
  • Eurocode 11 – CEN/TS 19100 «Bemessung und Konstruktion von Tragwerken aus Glas»: Die als Basis für den zukünftigen Eurocode 11 erarbeitete technische Spezifikation zeigt eine gute Konvergenz mit dem Merkblatt SIA 2057.

Einführungsdokumente und -kurse für die Praxis

Aufgrund der guten Zielerreichung des Projekts EC2G hat die KTN an ihrer Sitzung im vergangenen März beschlossen, die Tragwerksnormen SIA 260 bis SIA 267 nach Publikation der Eurocodes der zweiten
Generation (ca. 2026) und der dazugehörigen Nationalen Anhänge nach einer ausreichenden Übergangsfrist zurückzuziehen.

Bis zur Einführung der zweiten Generation Eurocodes in der Schweiz bleibt noch einiges zu tun: Zuerst sind die Nationalen Anhänge mit den national zu bestimmenden Parametern (NDP) zu erstellen. Weiter sind für eine Mehrheit der zweiten Generation Eurocodes Hilfsdokumente für die Einführung in die Praxis und als Unterstützung der Planenden zu erarbeiten sowie Einführungskurse für die Praxis vorzubereiten und durchzuführen.

Während die Einführung von EN 1990 sowie EN 1992 bis EN 1996 in der Schweiz relativ einfach erscheint, sind für EN 1991 «Einwirkungen auf Tragwerke», EN 1997 «Entwurf, Berechnung und Bemessung in der Geotechnik» und EN 1998 «Aus­legung von Bauwerken gegen Erdbeben» noch einige Fragen zu diskutieren und zu beantworten:

  • Bei den Einwirkungen betreffen diese vor allem die Windeinwirkungen, die unterschiedlich zur SIA 261 dargestellt sind.
  • Die zur Auswahl stehenden europäischen Verfahren für den Nachweis der Tragsicherheit in der Geotechnik unterscheiden sich von der Schweizer Praxis. Es gilt zu klären, welches dieser europäischen Verfahren sich für die Einführung in der Schweiz eignet und welche relevanten Unterschiede zur heutigen Praxis allenfalls vorliegen.
  • In den heutigen SIA-Tragwerksnormen sind die wenigen Regelungen zur Erdbebenbemessung in den einzelnen Normen zu den Bauweisen integriert. In den Eurocodes sind diese Regelungen in einer eigenen, umfangreichen Norm (Eurocode 8) mit insgesamt sieben Teilen enthalten – es ist zu diskutieren, welche der Eurocode-8-Regelungen für die Anwendung in der Schweiz erforderlich sind.

Nachfolgeprojekt gestartet

Die Diskussion zur zukünftigen Normenlandschaft in der Schweiz wird in der KTN und zusammen mit der Berufsgruppe Ingenieurbau (BGI), der Geschäftsstelle und dem Vorstand des SIA nach Abschluss des Projekts EC2G weitergeführt. Ebenso galt es auch, sich optimal für die Arbeiten an den Schlussfassungen der 2nd Generation Eurocodes zu organisieren und sich aktiv an deren weiteren Bearbeitung zu beteiligen. Für diese Phase der CEN-Umfragen und der formellen Abstimmungen wurde das Nachfolgeprojekt EC2G+ gestartet.

 

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