Kreis­lauf­wirts­chaft: Kön­nen wir die ver­lo­rene Zeit auf­ho­len?

Während die europäische Kommission bereits 2015 ihren ersten Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft verabschiedete, lassen die entsprechenden Rahmenbedingungen in der Schweiz zu wünschen übrig. Die parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» soll diese Schwachstelle beheben. Die Bau- und Planungsbranche rechnet daher mit drastischen Veränderungen.

Date de publication
11-05-2022
Julia Jeanloz
Redaktorin in ­Verant­wortung für die SIA-Beiträge bei der Zeitschrift Tracés

Anfang November 2021 hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats (UREK-N) einen Vorentwurf zur Änderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (USG) in die Vernehmlassung gegeben. Der Vorentwurf zielt darauf ab, eine parlamentarische Initiative zur Kreislaufwirtschaft von 2020 gesetzlich zu verankern, sodass die Transition in der Schweiz Fahrt aufnehmen kann – dies unter Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen in der Europäischen Union. Mehrere Dachorganisationen aus dem Bauwesen sowie öffentliche Akteure haben an der Vernehmlassung teilgenommen.

Was soll man von einem Gesetzesentwurf halten, der sich vor allem auf Anreize, Regulierungsbefugnisse und Förderinstrumente stützt und dabei dem Bundesrat einen beträchtlichen Handlungsspielraum einräumt, ohne ihn jedoch zur Umsetzung zu verpflichten: Ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung? Oder eine Mogelpackung?

Eines ist sicher: Wenn der parlamentarische Prozess nur schleppend vorankommt, werden Kantone und Gemeinden die Zügel in die Hand nehmen, damit ein lokaler Markt entstehen kann, der nach den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft funktioniert. Während die Schweiz bei der Abfallbewirtschaftung und beim Recycling als Musterschülerin gilt, nimmt sie punkto Rohstoffverbrauch einen wenig rühmlichen Platz in der ersten Reihe ein: Jedes Jahr fliessen 119 Millionen Tonnen Material in die Wirtschaft, wovon 87 Millionen Tonnen – davon 40 Millionen Tonnen Beton – verbraucht werden. Alle konsultierten Akteure sind sich darüber einig, dass die Erhaltung der natürlichen Ressourcen Bestandteil dieser Gesetzesrevision sein muss.

Schwammige Prioritätensetzung

Bei der Lektüre des Texts wird jedoch deutlich, dass dem Entwurf eine einheitliche Klassifizierung der Strategien fehlt. Cirkla, der Verband aller Akteurinnen und Akteure der Wiederverwendung, äussert sich zu diesem Punkt kritisch: «Es ist unabdingbar, dass der Vorentwurf die Methoden der Abfallbewirtschaftung ihrer Bedeutung nach hierarchisch gruppiert: zunächst die Wiederverwertung und an letzter Stelle – if all else fails – das Recycling», erklärt Catherine De Wolf, Vorstandsmitglied von Cirkla und Tenure-Track-Assistenzprofessorin für «Circular Engineering for Architecture» an der ETH Zürich. Dieser Ansicht sind auch zahlreiche weitere Organisationen, darunter der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) und Circular Economy Switzerland (CES). Cirkla erklärt, dass einer möglichst langen Erhaltung bestehender Strukturen gegenüber jeder Recyclingstrategie der Vorzug zu geben ist, da Recycling die Lebensdauer des entsprechenden Materials verkürzt.

Die Stellungnahmen von Circular Economy Switzerland und bauenschweiz finden Sie hier.

Ressourcenschonendes Bauen

Der für die Bauwirtschaft massgebliche Teil des Vorentwurfs wird von Bauenschweiz, dem Bund Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA) und dem SIA insgesamt begrüsst. Letzterer fordert noch die Präzisierung, dass neben dem Bund auch bundesnahe Unternehmen wie die SBB «bei der Planung, dem Bau, dem Betrieb, der Renovation und dem Rückbau ihrer eigenen Bauten ihre Vorbildfunktion wahrnehmen». Hier ist anzumerken, dass einige Akteure, wie beispielsweise die Kantone Waadt und Freiburg, selbst der Ansicht sind, dass auch sie eine Vorbildrolle wahrnehmen sollten.

Interessant ist, dass die Dachverbände weiter gehen als die UREK-N. So schlagen der BSA und der SIA dort, wo die Kommission dem Bundesrat die Möglichkeit gibt, «Anforderungen» zu stellen, verpflichtende Vorgaben vor. Darüber hinaus fordert der SIA, dass der Hinweis auf die Verwendung von umweltfreundlichen, wiederaufbereiteten, trennbaren oder wiederverwendeten Baumaterialien und -teilen durch die Verpflichtung ersetzt wird, einzig den Grundsatz der Trennbarkeit zu beachten. Im Hinblick auf den Vorschriftenerlass für ein Zertifikat über den Ressourcenverbrauch von Bauwerken – einer Art «Materialpass» – fordert der SIA, dass dieses Instrument im Rahmen von Rückbaubewilligungen verpflichtend wird, und zwar insbesondere für Neubauten und grössere Renovationen. Cirkla wiederum zielt darauf ab, schweizweit Renovationen und Wiederverwertung durch finanzielle Anreize bei Baugesuchen zu fördern, wobei die Mindestanforderung für wiederverwendete Materialien aus der Schweiz bei 25% liegen soll.

Nutzung und Finanzierung von Plattformen

Die Artikel 10h Abs. 2 und 49a betreffen zum einen die Übertragung von Regulierungsbefugnissen für den Betrieb von «Plattformen zur Ressourcenschonung» und zum anderen deren Finanzierung. In diesem Zusammenhang weist Cirkla darauf hin, dass eine Finanzierung von 50% nicht ausreicht, um Informations- und Beratungsprojekte im Zusammenhang mit dem Umweltschutz sowie Plattformen zur Ressourcenschonung zu fördern. Sie schlägt daher vor, die Fördergrenze wie beim Ressourcenprogramm des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) auf 80% anzuheben. Catherine De Wolf räumt ein, dass der Übergang von einem Nischen- zu einem Massenmarkt eine ehrgeizige und langfristige Kofinanzierung erfordert: «Daraus würde ein Wettbewerbsvorteil gegenüber allen anderen Projekten entstehen, die auf einem linearen Wirtschaftskonzept basieren.»

Pilotprojekte auf den Weg gebracht

Aus den oben genannten Gründen erscheint der Vorentwurf noch nicht vollständig ausgereift. Bis zu den nächsten parlamentarischen Diskussionen könnten die ersten Antworten sehr wohl auf kantonaler und kommunaler Ebene zu finden sein. So plant der Kanton Genf, die Wiederverwertung auf Baustellen bis 2035 verpflichtend zu machen. Im Genfer Quartier Pointe-Nord des Perimeters Praille Acacias Vernets soll der ehemalige Standort des Firmenich-Turms als Testprojekt dienen: Dieser wird renoviert statt einem Neubau zu weichen. Baumaterialien werden wiederverwertet, Mobiliar und Einrichtung instandgesetzt.

Jenseits der Saane will die Stadt Zürich in Zürich-Altstetten ein neues Recyclingzentrum errichten – ein Pilotprojekt für die Wiederverwertung von Bauteilen. Die Auflagen sehen einen möglichst hohen Anteil an wiederverwendeten Bauteilen vor. Auch wenn der Vorstoss der UREK-N zu begrüssen ist, da er den Weg in ein neues Zeitalter ebnet, fehlen dem Vorentwurf jedoch die Verankerung verbindlicher, überprüfbarer Ziele und die Verpflichtung, diese regelmässig zu kontrollieren. Im weiteren Sinne geht es neben der Branchenregulierung auch darum, den entsprechenden Akteuren, die in ihren Märkten auch Kriterien der Kreislaufwirtschaft berücksichtigen wollen, das Experimentieren zu erleichtern, und zwar durch die Anpassung von Normen, Datenblättern und Reglementen an den aktuellen Stand der Technik. Ein kürzlich erschienener Bericht des Bundesrats als Antwort auf ein Postulat hat verdeutlicht, dass der aktuelle gesetzliche Rahmen ein Hemmnis für nachhaltige Praktiken darstellt. Warum werden nicht die Voraussetzungen geschaffen, mit denen wir unsere ambitionierten Ziele erreichen können?

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