Na­ch­hal­tige Im­mo­bi­lien als Eins­tieg­shilfe

Die Finanzwelt sucht den «Green Deal» und entdeckt nachhaltige Immobilien. Versicherungen und Banken gehen zweigleisig vor: Sich selbst bauen sie einen klimafreund­lichen Geschäftssitz; für externe Investments sucht man ebensolche Liegenschaften, weil sie ein weniger riskantes Geschäft versprechen. 

Date de publication
16-09-2020

Klimakrise und Klimanotstand, Netto-Null und 2000-Watt-Gesellschaft: Wofür die junge Fridays-for-Future-Generation demonstriert und worüber die Politik kontrovers debattiert, findet ein Echo an diskreteren Orten: Auch in den Chefetagen grosser Finanzplayer denkt man immer öfter über eine klimagerechte Zukunft nach. Versicherungen, Banken und Pensionskassen gründeten letzten Herbst sogar eine globale Klimaallianz. Die «Net-Zero Asset Owner Alliance» will unter dem Patronat der Vereinten Nationen mithelfen, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, und vor allem dort Geld investieren, wo der CO2-Ausstoss bis 2050 auf null zu senken ist. Zu den Klimainves­toren der ersten Stunde gehören zwei Schweizer Unternehmungen, die Rückversicherungs-Gesellschaft SwissRe und die ­Zurich Versicherungs-Gesellschaft.

Der Zufall will, dass beide Konzerne seit der vorletzten Jahrhundertwende am Zürcher Seebecken direkt nebeneinander residieren. Und auch jetzt dürften sie sich kaum abgesprochen haben, ihre eigenen Hauptsitze am Mythenquai zu erweitern und zu verdichten. Die Art und Weise dieser Standorttransfor­ma­tionen lässt jedoch Parallelen erkennen, die aktuellen Architekturtrends und dem gemeinsamen Klimaversprechen geschuldet sind. Beide Versicherungskonzerne präsentieren funkelnde und schimmernde Glasbauten, die für ein ­visuelles Spektakel inmitten der Grün­derzeit­paläste aus Stein sorgen. Letztere sind schon über 100 Jahre alt und werden nun möglichst ressourcenschonend den heutigen Komfort- und Arbeitsplatzanforderungen angepasst.

Fossilfreie Hauptenergiequelle

Die «Zurich» strebt gleich drei Nachhaltigkeitsstandards an: Neubau und Historie sollen mit den nationalen Marken «Minergie-P-Eco» und «2000-Watt-Areal» sowie dem US-amerikanischen Pendant «Leed» ausgezeichnet werden. Zusätzlich wird für die Gebäudekühlung und -heizung neu Seewasser als fossil­freie Hauptenergiequelle genutzt.

Diese lokale, erneuerbare Versorgungsvariante bezieht auch der Nachbar SwissRe, der seinen Standort ebenfalls 2000-Watt-tauglich transformieren will. Dafür muss der Fussabdruck der insgesamt acht Bürohäuser in den Kategorien Bau, Betrieb und Mobilität der Mitarbeitenden aber beträchtlich schrumpfen. Der Umbau der SwissRe-Zentrale wird an hohen Vorgaben gemessen, die in den Kategorien Energieef­fi­zienz, Anbindung an öffentliche ­Verkehrsmittel, Einsatz nachhaltiger Materialien und Wohlbefinden der Nutzer zu erfüllen sind.

Zweck dieser Efforts ist nicht etwa ein «Greenwashing». «Klimafreundliche Gebäude- und Arealstandards sind Teil unserer langfristigen Wertschöpfungsstrategie», bestätigt Claudia Bolli, Head Responsible Investing beim SwissRe-Konzern. Immobilien, selbst genutzt oder als Anlagevermögen verwaltet, werden konsequent auf einschlägig bekannte Nachhaltigkeitskriterien überprüft.

Beliebteste Investitionskategorie

In Sachen Ökologie kann der Südquai von Zürich in vielem punkten. Dennoch ist der Standort nur einer unter mehreren, von denen einige weit ambitionierter sind. Was er am wichtigsten Finanzplatz der Schweiz allerdings manifestiert, wirkt gut platziert und einzigartig: Institutionelle Investoren finden Gefallen am Nachhaltigkeitsthema und entdecken den Wert grüner Immobilien. «Mit einem Anteil von 24,2 % sind sie die beliebteste Kategorie für nachhaltige Anlagen in der Schweiz», bestätigt eine Studie des Branchenverbands Swiss Sustainable Finance.1

Zwar gehen Schätzungen bei der ­Anlagesumme von deutlich unter 10 Mrd. Franken aus; doch ständig kommen ­weitere grüne Gebäude dazu. Ökonomen der Hochschule Luzern bezeichnen Immobilien sogar als ideale Einstiegshilfe für eine nachhaltige Anlagestrategie. Denn hier können Investoren selbst Einfluss nehmen, etwa indem sie das Klima schützen und so den Marktwert erhöhen. Als zusätzlichen Vorteil nennt das Luzerner Institut für Finanzdienstleistungen: «Der Erfolg der angeordneten Massnahmen lässt sich direkt überprüfen.»2

Das Risiko minimieren

Investitionen in das nachhaltige Bauen sollen sich aus weiteren Gründen lohnen. Finanzanalysten der Zürcher Rating­firma Inrate3 sprechen von gesellschaftlicher Verantwortung und Risikominimierung. Investoren dürften regulatorische Risiken und die eigene Reputation im Immobiliengeschäft nicht länger ignorieren. Vielmehr sei die Energiestrategie des Bundes oder das Klimaabkommen von Paris aktiv in Betracht zu ziehen.

Allerdings ist noch zu klären, was der Finanzsektor dafür leisten kann. Weil ein übergeordneter Konsens fehlt, weiss niemand so genau, wie eine handelbare, nachhaltige Immobilienanlage aussehen soll. Der Bausektor verfügt zwar über eine Reihe von Standards, doch deren Vielfalt und Detaillierungsgrad schrecken einige Investoren ab. Deshalb stellt die Finanzbranche derzeit lieber eigene Regeln auf, um die von ihr verwalteten Immobilien hinsichtlich der Nachhaltigkeit zu beurteilen. Auf europäischer Ebene sind der «Global Real Estate Sustainability Benchmark GRESB» und die «Sustainability Reporting Guidelines» beispielhaft dafür, wobei sich diese Bewertungsinstrumente auch als Ergänzung zu einem Gebäudezertifikat verstehen.

Aber auch in der Schweiz werden die Lücken zwischen Finanzwelt und Bauwirtschaft geschlossen: So stellt der inländische Pensionskassenverband einen Nachhaltigkeitsleitfaden zur Verfügung; zudem sind einzelne Fondsanbieter daran, eigene Ratingtools zu entwickeln.

Klimatest für Pensionskassen

In den meisten Fällen leiten sich solche Beurteilungswerkzeuge aber von einem ESG-Modell ab. Es liefert Standards für Klima und Umwelt (Environmental), Gesellschaft (Social) und Governance, um bislang einseitig auf Finanzkriterien ausgerichtete Entscheidungsgrundlagen zu erweitern. Diesbezüglich ist nun auch die Politik hellhörig geworden: Das Bundesamt für Umwelt fördert die Eigeninitia­tive der Investmentbranche und bietet allen Pensionskassen, Ver­sicherungen, Banken und Vermögensverwaltern einen Klimaverträglichkeitstest für ihre Immobilienportfolios4 an.

Einen Schritt weiter geht die Europäische Union. Anfang Jahr hat sie eine ­einheitliche Taxonomie verabschiedet. Demnach darf ein Anlagegeschäft unter anderem nur dann als «ökologisch nachhaltig» gelten, wenn die Investition den Klimawandel mindert und sich an soziale Mindeststandards hält. Dies ist gedacht als eine Massnahme des «Green Deal»-Pakets der EU, das aus Europa bis 2050 den ersten klimaneutralen Kontinent machen soll.

Mit Unterstützung von energieschweiz sind bei espazium –Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»
 

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

Quellen und weiterführende Informationen:

1 Schweizer Marktstudie Nachhaltige Anlagen, Swiss Sustainable Finance, UZH 2019
2 IFZ Sustainable Investments Studie, Differenzierung nachhaltiger Anlagen bei Investoren, IFZ HSLU 2018
3 Sector Analysis: Housing; Inrate 2019
4 Der Weg aus dem Nebel; Klimaverträglichkeitsanalyse von Schweizer Pensionskassen- und Versicherungsport­folien, Bafu 2017
Nachhaltigkeit im Finanzsektor Schweiz; eine Auslege­ordnung und Positionierung mit Fokus auf Umweltaspekte, Bericht des Bundesrats 2020

 

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