Ein klin­gendes Haus

Die neue Musikhochschule Luzern von Enzmann Fischer Architekten und Büro Konstrukt Architekten wird durch fünf Raumschichten akustisch gegliedert. Ein mehrstöckiges Foyer verbindet sie mit drei Veranstaltungs­räumen zu einem Klangkörper mit Werkstattcharakter.

Date de publication
10-09-2020

Wer das Haus betritt, ist auch schon mittendrin. Zu den Stirnseiten öffnet sich ein grosser, schier unermesslicher Raum, der sich zwischen hohen Wänden in die Tiefe erstreckt, von Treppen durchwirkt, die nach unten, vor allem aber nach oben in die Höhe führen, wo sich der Blick in weiteren Treppen, Plattformen und Lichträumen verliert. Es gibt offene und exponierte, aber auch ruhige und intime Bereiche, verbunden durch Treppen und Brücken. Ein dichter, differenzierter und gemeinschaftlicher Raum voller Angebote zur Aneignung und Möglichkeiten der Begegnung. Fast wie eine Altstadt, aber organisiert in der Vertikalen.

Was zunächst vielleicht zufällig oder malerisch erscheint, folgt organischen Prinzipien. Die Tiefe des Raums umfasst zwei städtebauliche Situationen und zwei Eingänge; ein offener Bereich, der nach unten und oben die Geschosse verknüpft, reflektiert die Lage der grossen Säle (vgl. Schnitte in der Bildergalerie); die nach oben führenden Treppen verbinden als Kaskade die vier Geschosse mit Verwaltung, Bibliothek, Forschungs-, Theorie- und Gruppenräumen, bevor die Richtung der Bewegung für die beiden obersten Ebenen wechselt, in denen die Musikzimmer für den Einzelunterricht und die kleineren Formationen untergebracht sind.

Dabei wird das Zwischengeschoss der Verwaltung gleichsam übersprungen, das wichtige, überhohe Geschoss der Bibliothek und der Unterrichtsräume dagegen durch eine Verschiebung der Bewegungs­achse ausgezeichnet. Die beiden Eingangsgeschosse schliesslich, in denen die Zugänge zu den Sälen und ihren Galerien liegen, sind durch eine eigene, die Topografie nachzeichnende Treppe verbunden.

Typologie der Dichte

Das klingt ziemlich kompliziert und ist es auch – nur wirkt es nicht so, weil man sich mit grosser Selbstverständlichkeit und ohne die Orientierung zu verlieren im Gebäude bewegt. Dieses versammelt in seinem kompakten Volumen eine Vielzahl unterschiedlicher ­Räume. Darin gleicht es dem benachbarten Erstling von Enzmann  Fischer, dem Ausbildungszentrum der Armee auf der Luzerner Allmend. Während aber dort die Funk­tionen in einer Art räumlichem Puzzle innerhalb eines abstrakten Volumens organisiert wurden, gibt es hier eine klar erkennbare typologische Ordnung: Der Bau ist in fünf parallelen Schichten organisiert (vgl. Grundrisse in der Bildergalerie), die von West nach Ost verlaufen.

Im Zentrum liegt der grosse Erschliessungsraum, der zwei unterschiedliche, aber gleichwertige Zugangsseiten verbindet. An sie schliessen zwei Schichten mit technischen Einrichtungen und den Nebenräumen an, die nicht zuletzt als akustische Schleusen dienen. Darauf folgen die eigen­tlichen Hauptnutzungen, die sich überwiegend nach Süden und Norden orientieren.

Dass sich die Tiefe der Nutzungsschichten nach der Grös­se der Säle richtet, führt in den obersten Geschossen mit den kleineren Räumen zu einer zusätzlichen Schicht innen liegender Zimmer. Dies wirkt akzeptabel, weil ihre Fenster gegen die Gänge so angeordnet sind, dass meist eine gewisse räumliche Weite über die einzelnen Räume hinweg entsteht, die zwar mit entsprechenden Einsichten einhergeht, aber über Vorhänge reguliert werden kann.

Problematischer erscheinen die beiden Untergeschosse mit ihren gefangenen Übungsräumen. Auch wenn die Musiker im Allgemeinen froh sein dürften, überhaupt eine Möglichkeit zum ­ungestörten Musizieren zu finden, stellt sich die Frage, warum solches in einem Neubau in der städtischen Peripherie offenbar unvermeidlich war. Dass das Grundstück für die gegebene Nutzung reichlich klein ist, ­hatte sich bereits im Wettbewerb gezeigt.

Babylonische Klänge und schräge Blicke

Die Architekten konnten in Anbetracht dieser Schwierigkeit von ihrer grossen Erfahrung mit dicht gepackten Gebäuden profitieren. Trotz einer Grund­fläche von rund 50 auf 60 m kommt das Haus ohne Lichthof aus – es sei denn, man bezeichnet die vier sogenannten Klangtürme als solche, die in den Nebenraumschichten das ganze Gebäude in der Vertikalen durchstossen und oben als Laternen über die Dachfläche hinausragen.

Damit würde man allerdings weder der Funktion noch dem Charakter dieser Räume gerecht, die in ihren Dimensionen an die Schächte Haussmann’scher Baublöcke erinnern. Sie sind ein Element der Trennung, indem sie die Tiefe der Nebenraumschicht erlebbar machen und über ihre inneren Fassaden die anschliessenden Schichten als ein Gegenüber aktivieren. Sie sind aber auch ein Element der Verbindung, indem sie Sichtbeziehungen in die Tiefe der anschliessenden Raumschichten und in die anderen Geschosse ermöglichen.

Ihre Lage im Grundriss und die Anordnung der Fenster suggerieren «schräge» Blicke und beleben so die rationale Orthogonalität der typologischen Ordnung. Da sie nicht Zenitallicht einfangen, sondern gebrochenes Laternenlicht in die Tiefe führen, nimmt man sie nicht als Höfe oder Lücken wahr, sondern als Teile einer porösen, durchlichteten Gebäudemasse. Ihre Bezeichnung als «Klangtürme» spielt ­auf die schier unendliche Nachhallzeit an. Man darf gespannt sein, ob und wie sich die babylonischen Klänge des Hauses in ihnen vermischen werden. Dass sie überdies zu einem aktiven Spiel mit der Akustik einladen, versteht sich von selbst. Eine erste Installation wird der Klangkünstler Andres Bosshard realisieren.

Innerhalb der beiden Nutzschichten sind die Räume durch ihren Ausbau charakterisiert. Die Musik- und Seminarräume sind grundsätzlich weiss, mit Vorhängen zur Steuerung von Licht, Sicht und Akustik und mit Akustikpaneelen an Decken und Wänden, die mit ihrem Relief eine Vielzahl von Farbnuancen erzeugen. Die Büros werden im Grossraum durch Holzwerkstoffwände unterteilt, deren Ständerstruktur zum gegliederten Rohbau passt. Der Kammermusiksaal zeigt sich als silbergrau schimmerndes Gefäss aus horizontalen Latten und Licht, die Blackbox als technisch geprägter Mehrzweckraum und der Jazzclub als robuste Höhle, gemauert aus Akustiksteinen.

Als Hintergrund für die Ausbauten dient eine Struktur aus Beton, die an vielen Stellen raumprägend bleibt und die zusätzlichen Schichten als solche erkennbar macht. Es gibt also eine deutliche Hierarchie zwischen den Elementen, eindeutig oder gar trivial ist diese allerdings nicht. So wurde zum Beispiel das Raum-im-Raum-Prinzip der Blackbox heruntergespielt und deren Rippen­struktur jener des Rohbaus angeglichen.

Andererseits ist die Primärstruktur dort, wo sie sichtbar ist, alles andere als roh. Die Betonoberflächen werden durch Bretterschalungen texturiert, und die Decken haben ein Relief, das mit seinen Rippen die typologische Ordnung reflektiert und hilft, Licht, Akustik und Technik zu integrieren. Diese Deckenstruktur findet, wo räumlich sinnvoll, ein Echo in einem Wandrelief mit Mauerstreifen, sogenannten Lisenen, das wiederum die Wandpfeilergliederung der äusseren Klinkerfassaden reflektiert.

Den vollständigen Artikel finden Sie in TEC21 27/2020 «Eine Werkstatt für die Musik».

Am Bau Beteiligte

Bauherrschaft
Luzerner Pensionskasse (LUPK), Luzern

Architektur / Generalplaner / Gesamtleitung
Enzmann Fischer Architekten, Zürich, und Büro Konstrukt Architekten, Luzern

Raumakustik
applied acoustics, Gelterkinden

Möblierungskonzept
Inchfurniture, Basel

Bauleitung
WeberWaber, Luzern

Kostenplanung
tgs bauökonomen, Luzern

Statik
Felder Ingenieure Planer, Luzern

Elektroplanung
Rebsamen, Horw

HLKS-, MSR-Planung
Dr. Eicher + Pauli, Luzern

Landschaftsarchitektur
freiraumarchitektur, Luzern

Bauphysik
Martinelli + Menti, Luzern

Lichtplanung
matí Lichtgestaltung, Adliswil

Innenfassade Jazzclub
Lüchinger Meyer Hermansen, Zürich

Daten zum Bau

Gebäudevolumen (SIA 416)
78 000 m3

Geschossflächen
18 000 m2

Nutzfläche
10 250 m2

Bauzeit
Herbst 2017 – Frühling 2020

Investitionsvolumen
81 Mio. Fr (inkl. Landkauf, Ausbau und Ausstattung)

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