Co­rona spielt Mo­no­poly

Stadt oder Land? Die Wohnpräferenz erhält mit der Pandemieerfahrung neue Bedeutung. Welche Standorte gewinnen an Attraktivität? Das fragte die Universität Zürich mehrere Urbanisten aus Europa und Nordamerika.

Date de publication
29-06-2020

Das Coronavirus stellt den Alltag infrage: Ist Homeoffice beliebter als das externe Büro? Könnte man auf das tägliche Pendeln nicht weitgehend verzichten, angesichts bestens funktionierender Internetverbindungen? Und wo lebt es sich krisensicherer und attraktiver: in der Stadt oder auf dem Land? Die Pandemie der letzten Wochen hinterfragt bislang unwidersprochene Wohn- und Arbeitsroutinen plötzlich.

Ob die Bevölkerung das Stadtleben meiden wird, wollte auch das Center for Urban & Real Estate Management (Curem) der Universität Zürich wissen. Ein kurzfristig organisiertes Online-Panel zur Krisenresistenz im Städtebau versammelte Urbanisten, Mobilitäts- und Verhaltensforscher aus den USA, Kanada, Grossbritannien und der Schweiz. Die Fachleute konnten keine abschliessenden Antworten, aber erste Einschätzungen geben, mit Bezug auf Erhebungen der letzten Wochen. Tatsächlich sei eine verstärkte Abwanderung aus den Städten zu beobachten, so der Tenor.

Städte weniger begehrt

Der Trend manifestiert sich bereits in der Schweiz – anhand neuester Zahlen des Immobilienmarkts: Die Nachfrage nach Wohneigentum steige, und Käufer hielten danach speziell in kleinen Zentren Ausschau, erklärt Dieter Marmet vom Analysebüro Realmatch 360. «Die Möglichkeit, sich dank Homeoffice dezentraler zu organisieren, treibt diese Entwicklung an.» Dass grosse Städte weniger begehrte Wohnstandorte seien, habe sich gemäss Marmet aber schon vor der Pandemie abgezeichnet.

Treibt das Virus die Leute auch anderswo aufs Land? «Die Metropolen in Nordamerika sind stark von der Stadtflucht betroffen», bejaht Richard Florida, Buchautor und Professor an der Rotman School of Cities in Toronto. Vor allem Familien und beruflich hoch qualifizierte Personen bevorzugten überschaubare, grüne Kleinstädte zum Wohnen. Der Auszug aus den Grossstädten sei in Übersee schon länger im Gang; die Pandemie erhöhe das Tempo jedoch, ist Stadtforscher Florida überzeugt. Das «social distancing» sei mit der Urbanisierung schlecht vereinbar; Städte hätten sich in dieser Krise als besonders verwundbar erwiesen. Einig war sich die Gesprächsrunde deshalb, dass man städteplanerisch und -baulich mehr als bisher unternehmen müsse, um – in normalen wie in unsicheren Zeiten – attraktiv zu bleiben.

Einen wunden Punkt getroffen

Umstritten ist, was genau die neu entdeckte Landlust ausgelöst haben soll. Florida nennt eine unglückliche Mischung aus «dicht gebauten und stark bevölkerten Wohnquartieren». Harvard-Ökonom Edward Glaeser ergänzt, dass sozioökonomische Aspekte ebenso relevant sind wie die bauliche Dichte. «Wo die soziale und materielle Lebensqualität niedrig ist, steigt die Ansteckungsgefahr», so Glaeser. Was ihm noch stärker auffalle: Der Coronavirus trifft die urbane Wohn- und Lebenskultur auch ökonomisch an einem wunden Punkt: «Der Urban Service Worker leidet unter den Einschränkungen im sozialen und kulturellen Alltag zuerst.» In normalen Zeiten sind solche Jobs, etwa im Einzelhandel, in der Gastro- oder Kunstszene, zwar ein beliebtes Sujet im Stadtmarketing. Jetzt aber sind das Abrufsystem und das Auskommen der Betroffenen gefährdet; die Geschäfte stehen weitgehend still.

Aber wie können sich die Zentren vor der drohenden Leere schützen? Städtebaulich heisst ein Rezept für den Neustart: «mehr Resilienz». Richard Florida versteht darunter weiträumigere Strassen und grosszügigere Aussenräume. Urbanist Glaeser hofft derweil auf das Kreativpotenzial, das Städte sowieso in sich tragen, und verweist auf den Gesundheitsschutz als historischen Treiber in der Stadtentwicklung. «Auf diese Erfahrung werden wir zurückgreifen müssen.»

Wandel auch in der Mobilität?

Das urbane Redesign betrifft auch die Mobilität, ist die Curem-Expertenrunde überzeugt. Der öffentliche Verkehr, der grosse Massen von A nach B bewegt, sei mindestens so sehr Ursache wie Lösung des Problems, verdeutlicht Harvard-Professor Glaeser. Demgegenüber erwartet Kay Axhausen, der den Lehrstuhl für Verkehrsplanung an der ETH Zürich innehat, ein neues Gleichgewicht im städtischen Transportsystem. Ihm fiel auf, wie viele europäische Städte die Lockdown-Phase zur aktiven Förderung von Veloverkehr und Fussgängern nutzten. Die Krise wirke als Katalysator, «denn die Vorteile, wie effizient sich der Stadtverkehr damit organisieren lässt, sind bereits bekannt», so Axhausen.

Insofern wollte niemand aus der Curem-Runde das Ende der Städte prognostizieren. Die Fachleute erwarten vielmehr, dass die Umsetzung bekannter Ideen für lebenswertere Zentren vorangetrieben werde: «Städte erfinden sich immer wieder neu, nicht zuletzt solcher Krisen wegen.»

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