«Wich­tig ist eine zeit­nahe Be­zah­lung der wäh­rend der Krise ge­leis­te­ten Ar­bei­ten»

Die IM Maggia Engineering AG in Locarno bearbeitet unter anderem Kraftwerksprojekte – derzeit das Kraftwerk Ritom im Tessin. Der Baustellenunterbruch wegen der Corona-Krise bekommt durch die erforderlichen Stauabsenkungen des Ritomsees eine weitere tragische Komponente. Direktor Urs Müller gab uns ein schriftliches Interview.

Date de publication
19-04-2020

Espazium: Herr Müller, welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Arbeit bei IM Maggia Engineering?

Urs Müller: Die derzeitige Situation mit dem Coronavirus im Tessin fordert uns alle. Wir sind derzeit alle gesund, arbeiten aber mehrheitlich von zu Hause aus. Es sind nur noch Leute, die direkt mit der Administration zu tun haben, unter Einhaltung der erforderlichen Abstandsbedingungen im Büro. Innert kürzester Zeit mussten die IT-Installationen auf die grosse Anzahl von externen Serverzugriffen infolge der Heimarbeit unserer Mitarbeiter angepasst werden. Das Sitzungswesen und die Kommunikation läuft derzeit praktisch vollständig dezentral über die modernen Kommunikationsprogramme.


Wie sieht es auf den Baustellen aus? Derzeit arbeitet Ihr Ingenieurbüro ja unter anderem an der Erneuerung des Kraftwerks Ritom im Tessin .

Am Kraftwerk Ritom stehen die Arbeiten ebenfalls, und der Arbeitsunterbruch infolge des Coronavirus trifft uns in einem etwas ungünstigen Moment. Der Ritomsee ist entleert und auf das Absenkziel abgesenkt, um die Aushub- und Ausbrucharbeiten für die Triebwasserarbeiten auszuführen. Die Arbeiten stehen, da die Zufahrt hinauf zur Staumauer Piora wegen Lawinengefahr noch nicht offen ist und der Transport der Arbeiter mit dem Helikopter wegen der Abstandsregeln im Zusammenhang mit dem Coronavirus nicht zulässig ist. Sämtliche Untertagbauarbeiten sowie die Arbeiten am Zentralengebäude wurden ebenfalls eingestellt.


Gibt es schon Planungen, was geschieht, wenn die Zufahrt zur Staumauer wieder möglich sein wird, die Corona-Beschränkungen aber noch gültig sind? Wäre es etwa realistisch, nur getestete Arbeitende auf die Baustelle zu schicken? Ein Corona-Schnelltest steht ja scheinbar vor der Marktreife.

Mit der ausführenden Unternehmung wurden Risikoanalysen der verschiedenen Arbeiten ausgearbeitet und verschiedene Arbeitsbereiche definiert, wo unter Einhaltung der Sicherheitsauflagen des BAG und der vorgeschriebenen Abstandsregeln gearbeitet werden könnte. Dazu gehören auch die Arbeiten bei der Triebwasserfassung im abgesenkten Stausee Ritom. Hier stehen derzeit vor allem Aushub- und Felsausbrucharbeiten mit Maschineneinsatz im Freien an. Die Einhaltung der Abstandsregeln stellen dabei kein Problem dar. Beim kantonalen Krisenstab konnte eine Genehmigung für diese Arbeiten erwirkt werden. Mit den Arbeiten zur Öffnung der Zufahrtsstrasse und den Aushubarbeiten im Ritomsee soll daher trotz allgemeinem kantonalen Arbeitsverbot auf Baustellen Anfang April 2020 begonnen werden.

Theoretisch wäre es möglich, nur getestete Arbeitende auf die Baustelle zu schicken und auch auf den Untertagbaustellen mit den Arbeiten in engen Stollen- und Schachtquerschnitten weiterzufahren. Voraussetzung dafür wäre aber eine vollständige Isolierung der Arbeitsgruppen in Baustellencamps über längere Zeiten, was derzeit als nur schwer machbar beurteilt wird.


Noch ist es ungewiss, wie lang die Corona-Krise anhält respektive die Beschränkungen aufrechterhalten bleiben. Wie lang sah das ursprüngliche Bauprogramm die Absenkung des Ritomsees für die Bauarbeiten vor?

Der Ritomsee wird jeweils in drei Frühjahrsperioden zwischen Anfangs März und Mitte Mai abgesenkt. In diesen dreimal 21/2 Monaten müssen die Arbeiten ausgeführt werden. Nach Mitte Mai kann der See wegen der grossen Schmelzwasserzuflüsse nicht mehr auf dem Absenkziel gehalten werden, und die Arbeiten an der tief liegenden Wasserfassung sind zu unterbrechen. Wenn dieses Jahr wegen der Corona-Krise nicht ein genügender Arbeitsfortschritt erreicht wird, ist eine vierte Seeabsenkung unausweichlich. Dies würde zu einer Verzögerung der Inbetriebnahme der erneuerten Kraftwerksanlage führen.


Falls der ursprüngliche Zeitplan nicht mehr aufgeholt werden kann und es im schlechten Fall zu einer längeren Absenkung des Sees kommen sollte, stehen dann Pönalstrafen im Raum? Oder liegt das Risiko aufgrund höherer Gewalt bei der Bauherrschaft?

Im Werkvertrag mit der Bauunternehmung ist der Endtermin der Arbeiten an der Triebwasserfassung im Ritomsee pönalisiert. Wenn der Unternehmer diesen Endtermin wegen des Corona-bedingten Unterbruchs der Baustelle oder auch wegen Witterungseinflüssen nicht halten kann, wird das Risiko aufgrund höherer Gewalt bei der Bauherrschaft liegen.


Was kann Ihr Berufsverband (SIA, usic, VSI etc.) für Sie tun, respektive: Was erwarten Sie von Ihrem Berufsverband?

Erfahrungsaustausch im Umgang mit der ausserordentlichen Situation, Beihilfen im Verhalten gegenüber Bauherren und Amtsstellen bei krisenbedingten Arbeitsunterbrüchen, Unterstützung im Erwirken von Genehmigungen und Beihilfen in Gesuchen für Entschädigungen bei Arbeits- und Ertragsausfällen, branchenspezifische Informationen für den Planungsbereich, Einbringen der Anliegen des Planungsbereichs bei öffentlichen Bauherrn und Behörden


Welche Hilfe erwarten Sie von der öffentlichen Hand?

Weiterführung der Projekte und zeitnahe Bezahlung der während der Krisenzeit geleisteten Arbeiten. Zudem sollen klare Bedingungen für die Ausführung der Arbeiten definiert werden und auch eine kontrollierte und geplante Normalisierung der Arbeitsabläufe nach dem Shutdown geplant werden


An welchen anderen Projekten arbeitet Ingegneria Maggia derzeit (Beispiel), und gibt es bei diesen ebenfalls Auswirkungen der Corona-Krise?

Bei den weiteren Projekten wird grösstenteils vom Homeoffice und in beschränktem Rahmen auch aus dem Büro weitergearbeitet. Auswirkungen durch die Corona-Krise betreffen primär die Bauleiter, die wegen der teilweise eingestellten Bauarbeiten vor allem hier im Tessin nicht weiterarbeiten können. Diese Personen werden primär mit dem Nachführen der Abrechnungen und administrativen Arbeiten der Bauleitung weiterbeschäftigt. Sollte die Krise länger andauern müssen für diese Angestellten neue Einsatzmöglichkeiten in anderen Projekten gefunden werden. Dies wäre aber eher schwierig, da diese Personen nach einer Wiederaufnahme der Arbeiten sofort wieder als Bauleiter zur Verfügung stehen müssen.

 

Zur Person

Urs Müller, Direktor IM Maggia Engineering AG, Präsident des Verwaltungsrats der Engineering-Gruppe

Zum Unternehmen

IM Maggia Engineering AG, Locarno

  • Partner: IUB Engineering AG, Bern
  • Anzahl Mitarbeitende: ca. 280 (IM und IUB)
  • Anzahl laufender Baustellen / Projekte IM + IUB: je ca. 70 / 54
  • Auswahl laufender Baustellen / Projekte / Wettbewerbe; Erneuerung Kraftwerke Ritom, Tannuwald und Mottec, Umfahrung Visp, Unterhalt verschiedener Kunstbauten sowie Erneuerung BSA-Anlagen an Nationalstrassen etc.

 

Baukultur in Zeiten von Covid-19
Die Krise, die wir derzeit erleben, trifft alle Planerinnen und Planer. Wie bewältigen sie die wirtschaftlichen und juristischen Schwierigkeiten, die die Pandemie mit sich bringt? Was sind die Auswirkungen auf die Schweizer Baukultur? Antworten von Baufachleuten, Links und Informationen versammeln wir im E-Dossier «Covid-19» – als Austauschplattform und als Hilfe in unsicheren Zeiten.

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