Mar­cel Meili 1953–2019

Marcel Meili und Markus Peter waren ein Spitzenduo der Schweizer Architekturszene. Ihre Zusammenarbeit basierte auf dem Zwiegespräch zweier starker Persönlichkeiten. Der Wiener Architekt Adolf Krischanitz, ein Weggefährte der beiden, blickt zurück. Eine persönliche Würdigung.

Date de publication
21-11-2019

Die Komponenten der Arbeit von Marcel Meili und Markus Peter waren Intellektualität, architektonisches Talent, red­liche Skepsis und das Bestreben, mit pädagogischen Fähigkeiten und sozialer Kompetenz suchend und forschend die Welt zu betrachten. Die Qualität, die sie damit erreichten, war indes unvergleichlich höher als die Summe dessen, was aus den einzelnen Komponenten generierbar gewesen wäre.

«Unsere Arbeitstechniken, die wir aus einer persönlichen Freundschaft heraus entwickelt haben, sind sehr diskursiv und beruhen auf einer laufenden Auseinandersetzung darüber, welche Fragen und Ziele wir überhaupt entwickeln wollen.»1

     
Marcel Meili und Markus Peter

Marcel Meili und Markus Peter waren bzw. sind starke, individuelle Architektenpersönlichkeiten. Jeder stand – zunächst – für sich selbst. Die Zusammenarbeit zweier Partner, wie sie es waren, kann nicht immer einfach gewesen sein. Die erste Voraussetzung war, dass beide Partner präventiv einen Schritt zurück traten, gleichsam auf sicheres Terrain, von dem aus sich nicht nur solitäre Positionen entwickeln liessen, sondern auch Rücksichten möglich wurden, die genügend Platz für einen weiteren Standpunkt und dessen kreatives Umfeld schufen. Denn damit eine solche Entwurfsgemeinschaft gelingt, darf es nicht nur darum gehen, dem anderen Platz zu lassen. Entscheidend ist auch und vor allem ein kalkuliertes gemeinsames Denken – ein Denken, das auch das genaue Spüren der kreativen und psychologischen Fähigkeiten eines Partners einschliesst. Selbstredend bringt eine solche Teamarbeit zwingend einen Mehraufwand mit sich, dem jedoch – im Fall des Gelingens – in der Regel ein Mehrwert gegenübersteht.

Für Marcel Meili und Markus Peter unterlag die architektonische Arbeit – anders als die Kunst – einem dialogischen Prinzip. So ergab sich mit der Zeit eine Verfahrensweise, auf die sie kaum mehr verzichten konnten. Auch dem Widerstand und den Reibungsverlusten, die einer solchen Arbeitsform innewohnen, muss Raum und Zeit gegeben werden; denn gerade die entwerferischen «Färbungen» und «Verwerfungen», die dabei entstehen, generieren jene spezifischen Qualitäten, die von einem Einzelnen nicht zu leisten sind.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Umfor­mulierung der Aufgabe gleich nach Erhalt eines Bauprogramms. Meili und Peter betrachteten dies als ­notwendige Massnahme, um ein architektonisches Gedankenpotenzial zu erschliessen, das sich über den gesamten konzeptuellen Weg als grifffest erweist und bis zum Entwurfsende standhält. Die Definition des Programms ist der Schlüsselmoment im Entwurf: jener Augenblick, in dem eine funktionale, technische oder städtebauliche Fragestellung beginnt, architektonische Eigenschaften anzunehmen, aber noch nicht als Form, sondern eher als eine «Evokation» zur Form.

Für die beiden war es dieser präzise Moment, in dem sich das Arbeitsfeld unvermittelt auflud. Die Welt in ihrer bestehenden, permanenten Ausformung stellt den Hintergrund dar, vor dem das neue Werk in seiner Unterschiedlichkeit sichtbar wird. Die Gleichzeitigkeit von Wiedererkennung und Überraschung führt über die Differenz zum reflexiven Ausgleich. Das Werk setzt somit der realen Welt das eigene Sosein entgegen und teilt sie dann mehr oder weniger in oppositionelle Realitätssphären.

Diese Paarung von Redundanz und Varietät ermöglicht, ins richtige Verhältnis gesetzt, die Wahrnehmung mit ihrer gesamten Dynamik. Der Schweizer Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin schrieb 1886: «Körperliche Formen können charakterisiert sein nur dadurch, dass wir selbst einen Körper besitzen. Wären wir bloss optisch auffassende Wesen, so müsste uns eine ästhetische Beurteilung der Körperwelt stets versagt bleiben.»2 Damit kommen wir zu einer weiteren wichtigen Kategorie: dem Raum.

«Wir denken zumindest, dass Raum die einzige Reflexionsebene der Architektur ist, welche sie allein für sich beansprucht. Insofern stellt Raum tatsächlich unser zentrales Reflexionsmedium dar, wenn auch nicht das einzig mögliche. Alle anderen Ausdrucksebenen teilt die Architektur mit anderen Disziplinen. Beim Licht, beim Material, selbst beim plastischen Aufbau liegen Quellen der Architektur oft ausserhalb der Disziplin, es finden Kontaminationen in beide Richtungen statt – und die unscharfen Grenzen der Architektur sind ja gedanklich auch nicht ohne Reiz. Nicht so beim Raum. Dass die Ordnung des Raums in der Zeit und der Kultur spezifisch ist, spräche nicht gegen seinen theoretisch konstitu­ierenden Charakter. Die Sprache, in der sich das Denken verwirklicht, ist genauso an die Zeit gekettet.
Was das Reflexionsmedium allerdings auf paradoxe Weise herausfordert, ist die Eigenschaft, dass Raum letztlich gar nicht darstellbar ist, weil seine Wahrnehmung immer an die körperliche Anwesenheit des Betrachters gebunden ist. Das fördert nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Exklusivität des Raums als architek­tonisches Reflexionsmedium: Die Architekten sind letztlich jene, welche sich diesen nicht abbildbaren Raum dennoch tatsächlich vorstellen können.»
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Marcel Meili und Markus Peter

Raum ist ein Begriff, den Architekturschaffende immer wieder für sich beanspruchen, ohne einer Klärung im generellen Sinn wirklich näher zu kommen. Raum ist ein historisch und kulturell konditionierter Begriff – und damit keine absolute Grösse. Dennoch stellt sich die Frage, ob er für uns Architekturschaffende nicht trotzdem das einzig mögliche, primäre Reflexionsmedium ist. Für Marcel Meili und Markus Peter war die Antwort klar.


Marcel Meili 1953–2019

 

Geboren am 13. November 1953 in Küsnacht ZH

1973–1980 Studium an der ETH Zürich

1980 Mitarbeiter im Büro Prof. Dolf Schnebli, Zürich

1980–1982 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur gta, ETH Zürich

1983–1985 Mitarbeiter im Büro Prof. Dolf Schnebli

1985–1987 Assistent am Lehrstuhl Prof. M. Campi, ETH Zürich; daneben selbstständige Arbeit als Architekt, Zusammenarbeit mit Markus Peter

1987 Dozent an der Internationalen Sommerakademie in Berlin; Gründung des eigenen Büros zusammen mit Markus Peter in Zürich

1988–1991 Dozent an der Höheren Schule für Gestaltung Zürich

1990–1991 Gastdozent GSD Harvard University, Cambridge, USA

1993–1995 Gastdozent an der ETH Zürich zusammen mit Markus Peter

1999–2015 Prof. für Architektur im Studio Basel der ETH Zürich zusammen mit Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Roger Diener und Christian Schmid

2002 Gastdozent GSD Harvard Uni­versity, Cambridge, USA

2007 Eröffnung eines zweiten Büros in München zusammen mit Markus Peter

2015–2018 Entwurfslehrstuhl an der ETH Zürich

Gestorben am 18. März 2019 in Zürich

 

Ausgewählte Projekte


1993–1995 Holzbrücke, Murau (A)

1993–1995 Kino RiffRaff, Zürich, mit Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld

1991–1999 Schweizerische Holzfachschule Biel

1995–2000 Center for Global Dialogue, Swiss Re, Rüschlikon ZH

1995–1997 Perrondächer Hauptbahnhof Zürich, mit Knapkiewicz & Fickert, Zürich

1995–2004 Hyatt Hotel, Zürich

2000–2001 Parasite Pavilion, Rotterdam (NL)

2001–2010 Fussballstadion, Zürich

2003–2014 Wohnbauprojekt City West und Zölly Hochhaus, Zürich

2004–2009 Hauptsitz Helvetia Patria, Mailand (I)

2004–2016 Freilager Albisrieden, Zürich

2009–2014 City West Zürich – Zölly Hochhaus, Zürich

2009–2015 Sprengel Museum, Hannover (D)

Seit 2010 Klanghaus, Toggenburg, mit Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld

2006–2013 Hofstatt – Neugestaltung des Areals des Süddeutschen Verlags, München

Seit 2018 Swiss Re Mythenquai, Zürich, mit GFA Gruppe für Architektur GmbH


Anmerkungen
1 und 3 zitiert aus dem Gespräch mit Adolf Krischanitz in der Werkmonografie «Marcel Meili, Markus Peter 1987–2008», Scheidegger&Spiess, Zürich 2008.
2 Heinrich Wölfflin, Prologomena zu einer Psychologie der Architektur. Inaugural-Dissertation der hohen philosophischen Fakultät, München 1886.
Anm. der Red.: Adolf Krischanitz, Herrmann Czech und Gilbert Bretterbauer haben gemeinsam mit Meili, Peter die innere Ausstattung des Center for Global Dialogue der Swiss Re in Rüschlikon ZH entwickelt.

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