Wer kann sich die Stadt noch leis­ten?

Die Erschwinglichkeit von Wohnraum sinkt im Rekordtempo. In den grossen Metropolen können die Menschen der Arbeiter- und Mittelschicht die Mieten kaum mehr bezahlen. Sie werden aus ihrem Zuhause gedrängt, weil es für sie zu teuer geworden ist. Warum das so ist, erzählt der Dokumentarfilm «Push».

Date de publication
18-06-2019

Der Film «Push» des schwedischen Regisseurs Fredrik Gertten begleitet Leilani Farha, UNO-Sonderberichterstatterin für das Recht auf angemessenes Wohnen, auf ihrer Reise in die Metropolen der Welt. Farha will herausfinden, warum sich immer mehr Menschen ihre Miete nicht mehr leisten können und somit aus den Städten gepusht werden. Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler, die Sozio­login Saskia Sassen und Roberto Saviano, Journalist und Autor, unterstützen Farha auf ihrer Suche nach Antworten.

Einer der apokalyptischen Reiter: der Vintage-Laden

Eine gemütliche Bar in einer englischsprachigen Stadt. Der Barkee­per spendiert eine Runde und fragt seine Gäste launig: «Woran erkennt man, dass man sein Viertel verlassen muss?» Die Antwort gibt er sich gleich selbst: «Vintage-Klamottenläden! Für ein Viertel gibt es nichts Schlimmeres als arme Leute mit Stil. Die hängen dann in Cafés herum und sprechen über ihre Film- und Musikprojekte. Dann gilt das Viertel als cool, die Immobilienpreise steigen und alle müssen raus.» Das sperrige Wort «Gentrifizierung» hängt unausgesprochen im Raum.

Steigende Urbanisierung, stagnierende Gehälter

Fokus auf London: Der Film zeigt auf einer Karte mittels roten Punkten den Immobilienbesitz ausländischer Firmen. Die Punkte leuchten wie ein schwerer allergischer Ausschlag. 80 % dieser Immobilien sind seit Jahren unbewohnt – die entsprechenden Viertel wirken aus­gestorben. Angesichts der vielen Obdachlosen in London ist das schwer verdaulich.

Dann geht es Stadt auf Stadt: Überall das gleiche Bild, ob in Barce­lona, Hongkong, London, New York, Stockholm, Toronto oder Valpara­íso – Men­schen werden aus ihrem Zuhause gedrängt, weil die Miete aufgrund von Sanierungen für sie untragbar hoch geworden ist. Oder Gebäude werden abgerissen und durch neue ersetzt. Bloss kann sich in diesen niemand mehr die Mieten leisten.

Ursache dieser Entwicklung ist eine steigende Urbanisierung, die auf stagnierende Gehälter trifft, sowie Pensionskassen und Fonds, die ­Mietwohnungen zu Kapitalanlagen machen. In Zahlen heisst das: Die Summe aller Immobilien, die als Vermögenswerte gehandelt werden, liegt bei 217 Billionen Dollar. Das ist mehr als das globale Brutto­inlandsprodukt, so die Soziologin Saskia Sassen.

Das Bild der Welt von Wohnraum ändern

Die Sache scheint klar: hier die hilflosen Mieter, dort der ungezügelte Kapitalismus. Aber die Wahrheit ist komplexer, als sie auf den ersten Blick scheint. Denn wir alle sind ­­interessiert daran, dass unsere ­Pensionskassengelder und unser ­Erspartes Gewinne erwirtschaften. Pensionskassen dürfen beispielsweise nur wenige Aktien halten, ­Anleihen bringen derzeit kaum Ertrag; also weichen sie auf Immobilien aus. Dennoch ist es moralisch fragwürdig, dass beispielsweise Blackstone, eine amerikanische Investmentgesellschaft, der grösste Eigentümer von Sozialwohnungen in Schweden ist. Und auf Kosten der Schwachen Geld scheffelt.

Was ist also zu tun? Die Politik in die Verantwortung nehmen? Mehr Regulierung, wie sie Joseph Stiglitz fordert? Solange, besonders in den USA, «Reiche Politik für Reiche machen», wie der Ökonom ­Branko Milanovic unlängst in einem Interview der «NZZ am Sonntag» ­erklärt hat, solange in der Schweiz Politiker in städtischen Wohnungen zu nicht marktgerechten Mietpreisen wohnen, delegieren wir nur das Problem. Es geht vielmehr um ein Sowohl-als-auch.

Denn auch wir sind in der Verantwortung und sollten, wie es Regisseur Fredrik Gertten zusammenfasst, «dem Geschehenen einen Namen geben. Wir müssen verstehen was los ist, um darüber zu sprechen. Wir brauchen eine deutlichere Sprache und einen tieferen Einblick.» Der Film liefert keine Antworten und schon gar keine Lösungen. Aber er eröffnet eine dringend notwendige Diskussion.

«Push – für das Grundrecht auf Wohnen»
Ein Film von Fredrik Gertten mit Leilani Farha, Saskia Sassen, ­Joseph Stiglitz, Roberto Saviano.
Seit Juni 2019 In den Kinos der Deutschschweiz.

Trailer zum Film: www.movies.ch/de/film/push2019/media_trailer_0.html

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