Mi­hail Ama­riei: Wohn­haus Via Gia­como Rizzi in Men­dri­sio

Architekten unter 40

Von Rumänien nach Mendrisio: Mihail Amariei studierte zunächst in Bukarest, dann in Mendrisio Architektur. Im Herbst 2016 konnte er sein Erstlingswerk einweihen, ein sorgfältig komponiertes Mehrfamilienhaus. – Die ersten Folgen unserer neuen Serie präsentieren junge Architektinnen und Architekten mit Verbindung zum Tessin.

Date de publication
15-02-2018
Revision
15-03-2018

Von Rumänien ins Tessin

Mihail Amariei wurde 1976 in Piatra Neamț in der Region Westmoldau in Rumänien geboren. Nach seinem ersten Studienjahr an der Ion Mincu University of Architecture and Urbanism in Bukarest erhielt er 1996 ein Stipendium für die damals eben erst von Mario Botta gegründete Accademia di Architettura in Mendrisio. Von diesem Moment an verlief Amarieis berufliches und privates Leben parallel zur Geschichte der Accademia.

Amariei entschied sich, im Tessin zu bleiben, belegte Planungskurse und absolvierte ein Praktikum im Atelier von Bruno Keller in Lugano. Nach seinem Diplom 2002 arbeitete er beim Bündner Architekturbüro Bearth & Deplazes und war unter anderem am Projekt für das Bundesstrafgericht in Bellinzona beteiligt. Gleichzeitig war er als Assistent von Professor Valentin Bearth an der Accademia tätig und gab das Buch Microcosmi heraus, das die Lehre in Bearths Entwurfsateliers von 2004 bis 2012 dokumentiert.

Erstlingswerk: Wohnhaus in Mendrisio

2013 gründete er ein eigenes Büro. Das im Herbst 2016 vollendete Erstlingswerk ist ein Wohnhaus an der Via Giacomo Rizzi in Mendrisio, nur wenige Schritte von der Altstadt und der Accademia di Architettura entfernt. Das Quartier, das ursprünglich von frei stehenden Häusern mit Garten geprägt war, erlebt zurzeit einen raschen Wandel, da die kommunale Raumplanung mehr bauliche Verdichtung fordert.

Das neue Mehrfamilienhaus ist Teil dieses Transformationsprozesses. Es erscheint als kompakter Betonblock, bar jeder formalen Aufdringlichkeit. Die regelmässig angeordneten, tiefen Fensteröffnungen und die an den Ecken platzierten Einbuchtungen für die Loggien lassen das Volumen eine solide und erdverbundene wirken.

Das viergeschossige Wohnhaus beherbergt ein Büro und 14 Wohnungen mit 50 bis 85 m2 Fläche. Alle Wohnungen sind an einer Ecke auf einem der vier Geschosse angeordnet. Sie verfügen über ein einheitliches Raumkonzept und eine Aussenloggia, die über die Hauptöffnung des Wohnzimmers zugänglich ist. In dem stark verdichteten Umfeld sind die Öffnungen so organisiert, dass ausgewogene Distanzen zu den benachbarten Häusern und weite Fluchten entstehen, was für überraschend viel Privatsphäre im Innern sorgt.

Die überaus grosszügigen Fensteröffnungen in der Betonfläche sind auf der Innenseite massgenau mit Irokoholz eingefasst. Die durch die Öffnungen hervorgehobene Stärke der Aussenwände erzeugt den Eindruck einer perforierten Masse und ermöglicht es gleichzeitig, die Aussenstoren zu verbergen.

Mit seinem ersten Werk leistet Amariei einen interessanten Beitrag zur Tessiner Wohnarchitektur. Die sorgfältige Komposition und die hohe bauliche Qualität tragen zur Ausstrahlung des Gebäudes bei. Es reagiert mit konventionellen Elementen auf die praktischen Anforderungen des Alltags und das Bedürfnis nach vertrauter Natürlichkeit in den Wohnräumen.

Amariei fragt nach dem Sinn eines Gebäudes in seiner spezifischen urbanen Situation. Mit seinem Neubau, der ohne erkennbare Hierarchie nach allen vier Seiten ausgerichtet ist, schöpft er die Möglichkeiten des Standorts voll aus. Seine architektonische Sprache ist vertraut, doch die Aussage geht über den spezifischen kulturellen Bedeutungsrahmen hinaus: Der für die Tessiner Architektur typische Sichtbeton, die abstrakte Fassadenkomposition und die präzisen baulichen Details verleihen dem Bau Selbstständigkeit im wahrsten Sinn des Wortes.

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