Wenn der Ge­mein­de­rat die Jury stellt

Vergabepraxis: Die SIA 144

Ein Architekturwettbewerb für ein Schulhaus, und der Gemeinderat stellt die Jury? Weil diesem meist die Fachkompetenz fehlt, ist das beim Wettbewerb nach SIA 142 unvorstellbar, aber wie ist es bei der Vergabe nach SIA 144?

Date de publication
15-12-2016
Revision
15-12-2016

Die Leistungsofferte nach SIA 144 wird je nach Planungsgattung oft, in einigen Bereichen fast immer angewandt. Eine vorgegebene Aufgabe wird ausgeschrieben. Die Angebote werden auf verschiedene Qualitätskriterien wie Referenzprojekte, Schlüssel­personen und Auftragsanalyse hin beurteilt und zusammen mit dem Kriterium Preis mit Punkten bewertet. Mit der Gewichtung dieser Zuschlagskriterien werden die Prioritäten gesetzt, wobei der Preis in der Regel ein Gewicht von 20 bis 60 % hat.

Hierzu ein Beispiel: Für einen Schulhausneubau gaben vier Geologen Angebote ab, die sich hinsichtlich der Untersuchungsmethode und der Kosten stark unterschieden. Für die beurteilenden Architekten waren die Unterschiede allerdings nicht nachvollziehbar. Im Zeitdruck und unter der Annahme, dass Baugrunduntersuchungen normiert seien, schlugen sie das billigste Angebot zur Vergabe vor. Wegen der kostengünstigen Untersuchungsmethode bestanden für den Bauingenieur ­Unsicherheiten; er entschied sich, auf Nummer sicher zu gehen, weshalb das Fundament 10 % teurer wurde.

Fachkompetenz gefordert

Die Ordnung SIA 144 fordert in den Artikeln 12.1 und 12.3 eine fachkompetente Beurteilung der Qualitätskriterien. Mit einer solchen fachkom­petenten Bewertung der Angebote hätte nicht das billigste Angebot den Zuschlag erhalten. 

Planungsleistungen sind intellektuelle Dienstleistungen und unterscheiden sich von Waren u. a. dadurch, dass sie nicht abschliessend normiert werden können. Das statische Konzept des Bauinge­nieurs ist nirgends normiert, bildet aber die Grundlage für wirtschaftliches Bauen und Betreiben. Auch Sondierart, -tiefe und -häufigkeit einer Baugrunduntersuchung sind nicht normiert, können aber unschöne geologisch bedingte Überraschungen verhindern. Und intelligent angeordnete Haustechnik ist nicht nur kostengünstiger, sondern auch im Betrieb flexibel. Um aber den Mehrwert qualitativ hochstehender Planungsleistungen nutzen zu können, müssen die Angebote fachkompetent beurteilt werden. In der Praxis fehlt den Bauherren, bei Fachplanerleistungen aber auch Architekten und Ingenieuren, oft die dafür nötige Kompetenz.

Differenzierte Betrachtung

Fachkompetenz bildet auch die Basis für eine differenzierte Bewertung der Qualitätskriterien Referenz­projekte, Schlüsselpersonen und Auftragsanalyse. Die differenzierte ­Beurteilung dieser subjektiven Kriterien ist anspruchsvoll und birgt ein Rekursrisiko. Diesem Risiko entgehen viele Vergabestellen, indem sie wenig differenziert beurteilen. Entsprechend liegen die Bewertungen in einer engen Spannbreite. Im Gegensatz zu den Qualitätskriterien nehmen viele Vergabeverantwortliche den Preis als objektive Grösse wahr. In der Praxis wird somit meist der günstigste Preis mit der maximalen, das Zweifache dieses Tiefstpreises mit null Punkten bewertet. Daraus resultiert oft eine grosse Spannbreite der Preisbewertungen und eine ungewollt hohe Gewichtung des Preises.

Konkret führt die undifferenzierte Bewertung der Qualitätskriterien zu einem überhöhten Gewicht des Preises und für die Bewerber schliesslich zu einem rui­nösen Preiskampf. Wie Abb. 1 zeigt, werden die Preise auf ganzer Bandbreite, die Qualitätskriterien mangels Differenzierung jedoch nur in einer engen Bandbreite von zwei Punkten bewertet. Dadurch erhält der günstigste Anbieter trotz tiefster Qualität auch dann den Zuschlag, wenn der Preis mit weniger als 20 % gewichtet ist (rosafarbene Linie). 

Die in der Schweiz praktizier­te Vergabepraxis ist preisorientiert. Das muss nicht sein: Das bestehende Vergaberecht könnte weitaus qualitätsorientierter praktiziert werden. Die aktivere Berücksichtigung qualitativer Kriterien hätte im Fall einer Anfechtung auch vor Gerichten Bestand, wie der Bundesrichter Marc Steiner unlängst gegenüber dem SIA unterstrich (vgl. TEC21 37/2016). Auch die Weltbank setzt mit der Quality Based Selection (QBS) auf ein qualitätsorientiertes Vergabeverfahren, und im europäischen Raum ist ebenso der Trend weg von der preis- und hin zur qualitätsorientierten Vergabe zu beobachten. Mit der differenzierten Beurteilung der Qualitätskriterien würden deren Bewertungen über eine grössere Bandbreite gespreizt und das effektive Bewertungsgewicht des Preises vermindert.

Fazit

Bei Leistungsofferten nach SIA 144 besteht die Jury im übertragenen Sinn regelmässig aus dem Gemeinderat: So wie wenn der Gemeinde-­rat die Wettbewerbseingaben juriert, werden Leistungsofferten ohne Fachkompetenz undifferenziert beurteilt, wodurch der Preis die Ver­gabe diktiert. Der Erwerb qualitativer Planungsleistungen erfordert mutige Vergabestellen mit adäquater Fachkompetenz. Erste nationale Infrastrukturbetreiber stellen sich diesen Forderungen. In einigen, auch von SIA-Mitgliedern beratenen Vergabeverfahren fehlt aber noch der Mut zu klaren und fachkompetenten Beurteilungen der Angebote.

Reihe Ordnungen praktisch

In dieser Reihe wird ein Thema aus den Vergabeordnungen SIA 142, 143 und 144 behandelt. Der aktuelle Text bezieht sich auf den Art. 12 der Ordnung SIA 144 für Ingenieur­ und Architekturleistungsofferten, der ein Bewertungsgremium unter der Beteiligung von Fachleuten fordert.

 

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