Wil­de We­sen

Publikationsdatum
30-03-2020

Andere Länder, andere Sitten: Während man hierzulande Beton möglichst glatt und rechtwinklig schätzt, wählte ein Visionär für sein Wohnhaus in Kiew den gegenteiligen Weg. Das 1903 fertiggestellte Mehrfamilienhaus des Architekten Władysław Horodecki nennt man wegen der opulenten Dekoration aus Fabeltieren «das Haus mit den Chimären»; es trug ihm den Beinamen «Gaudí von Kiew» ein.

Der Bau im Zentrum von Kiew ist das bemerkenswerteste Beispiel des Jugendstils in der Ukraine und war seinerzeit das erste Haus mit Flachdach in der ukrainischen Hauptstadt. Der Architekt und Bauherr lebte und arbeitete selbst zehn Jahre lang darin – keine Selbstverständlichkeit, galt das steile Grundstück doch eigentlich als unbebaubar. Das Haus, in dem neben der Wohnung des Architekten noch zwei weitere Wohnungen untergebracht sind und das zudem Platz für eine Wäscherei sowie Stallungen und Räume für die Kutscher bot, ist in den Hang gebaut. Zur Bankovastrasse hin hat es drei Geschosse, an der Seite des Ivan-Franko-Theaters sind es sechs.

Ins Auge fällt die üppige Fassadendekoration mit Fabeltieren aus Zement, Werke des italienischen Bildhauer Elio Sala nach Entwürfen von Władysław Horodecki – Letzterer war ein passionierter Jäger. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde das Gebäude verstaatlicht, nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich darin viele Jahre lang eine Klinik für die kommunistische Elite.

Von 1998 bis 2004 wurde das «Chimärenhaus» restauriert, seit 2005 dient es als Museum und als Präsidentenresidenz.