Vor­tei­le des Ar­chi­tek­tur­wett­be­werbs im of­fe­nen Ver­fah­ren

Ordnungen praktisch

Sollen Architekturwettbewerbe im offenen oder im selektiven Verfahren durchgeführt werden? Die grössere Konkurrenz, die damit einhergehende höhere Innovation und die bessere Nachwuchsförderung sprechen bei der Grosszahl von Ausschreibungen für das offene Verfahren.

Publikationsdatum
24-01-2019
Revision
28-01-2019
Monika Jauch-Stolz
Presidente della commissione SIA 142/143 per concorsi e mandati di studio paralleli

Architektur- und Ingenieurwettbewerbe, durchgeführt nach der Ordnung SIA 142, haben seit 140 Jahren eine über die Grenzen der Schweiz hinaus strahlende Tradition. Die ihnen inhärente Konkurrenz fördert die Innovation und trägt zur Verbesserung der architektonischen und ingenieurtechnischen Qualität, Funktionalität, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und nicht zuletzt der gesellschaftlichen Wertschätzung eines Bauwerks bei. Wettbewerbe fördern ­deshalb wie kaum ein anderes Ins­trument eine hochwertige Baukultur.

So geht offen, so geht selektiv

Der Wettbewerb nach der Ordnung SIA 142 für Architektur- und Ingenieurwettbewerbe kann offen, selektiv oder auf Einladung durchgeführt werden. Private Bauherrschaften sind in der Wahl des Verfahrens vollkommen frei, sie können Aufträge sogar direkt vergeben. Bund, Kantone und Gemeinden oder andere dem öffentlichen Beschaffungswesen unterstellte Institutionen sind hingegen verpflichtet, Planungs- und Bauaufträge, ­deren Kosten einen bestimmten Schwellenwert übersteigen, als Konkurrenzverfahren öffentlich auszuschreiben und die Vergabe nach den rechtlichen Vorgaben durchzuführen. In diesem Fall haben sie die Wahl zwischen einem offenen oder einem selektiven Verfahren.

Beim offenen Verfahren schreibt der Auftraggeber den Wettbewerb öffentlich aus. Alle interessierten und teilnahmeberechtigten Fachleute können einen Lösungsvorschlag einreichen.

Auch beim selektiven Verfahren wird öffentlich ausgeschrieben. Hier müssen sich die interessierten Planer und Planerinnen aber vorab für eine Teilnahme bewerben. Anschliessend wählt die Ausloberschaft mittels Qualifikationsver­fahren diejenigen Fachleute aus, die sich aufgrund ihres Leistungs- und Fähigkeitsnachweises für die Lösung der gestellten Aufgabe am besten eignen.

Über alles betrachtet – das zeigt die Erfahrung des SIA bei der Begutachtung von eingereichten Wettbewerbsprogrammen – gibt es heute eine klare Tendenz hin zur Präselektion.

Anschein eines verkappten Einladungsverfahrens

Bei selektiven Verfahren erfüllen in der Regel mehr Fachleute die Teilnahme- und Qualifikationsbedingungen, als die Ausloberschaft ­vor­gesehen hat. Die eingereichten Referenzprojekte müssen einander gegenübergestellt und vom Preisgericht beurteilt und bewertet werden. Ohne eine vollumfängliche Dokumentation – die knapp gehaltenen Layoutvorgaben machen sie nicht möglich – erweist sich dies jedoch häufig als schwierig.

Da beim selektiven Verfahren die Vorauswahl nicht anonym durchgeführt wird, kann von aussen betrachtet mitunter der Eindruck entstehen, die Büros würden von den Jurymitgliedern aufgrund der Personen und nicht der bau­lichen Referenzen ermittelt. Dies kann den Anschein eines verkappten Einladungsverfahrens erwecken, was gemäss dem öffentlichen Beschaffungsrecht nicht zulässig wäre und die Gefahr eines Rekurses erhöhen könnte.

Präselektion ist kein Garant für die bessere Lösung

Durch die Beschränkung des Teilnehmerfelds auf die am besten geeigneten Bewerber versprechen sich viele Auslober von der Präselektion weniger Organisationsaufwand und eine höhere Qualität der Beiträge. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass das selektive Verfahren für beides kein Garant ist. Oftmals werden überflüssige Unterlagen ­eingefordert, und damit wird der Aufwand für deren Vorprüfung immer grösser.

Zudem ist die Qualität der Wettbewerbsbeiträge nicht zwingend höher – auch gute Büros können nicht immer und zu jeder Aufgabe eine hervorragende Lösung einbringen. Möglicherweise bekommen die Büros gleichzeitig mehrere Einladungen und geraten so an ihre Kapa­zitätsgrenzen. Oder es stellt sich – weil für die gleiche Aufgabenstellung immer dieselben Bewerber zum Zuge kommen – mitunter eine gewisse innovationshemmende Entwurfsroutine ein.

Mit der Präselektion wird für Fachleute zudem der falsche Anreiz geschaffen, sich auf einzelne Bauaufgaben zu spezialisieren, um bei selektiven Verfahren zu ebensolchen Aufgaben den Qualifikations­kriterien besser zu genügen und damit eine grössere Chance auf eine Teilnahme zu haben.

Und schliesslich ist es für junge und unerfahrene Planerinnen und Planer äusserst schwierig, teilzunehmen. In der Regel wird zwar auch eine begrenzte Anzahl von ihnen zugelassen. Sie können sich zum Beispiel mit Wettbewerbsbeiträgen bewerben, die nicht direkt mit der gestellten Aufgabe zu tun haben, oder mit Projekten, an denen sie als freie Mitarbeiter in anderen Büros mitgewirkt haben. Letzteres birgt die Schwierigkeit zu erkennen, welche Leistungen effektiv von ihnen erbracht wurden.

Offenes Verfahren: «volkswirtschaftlicher Unsinn»?

Bei offenen Verfahren hingegen ist die Chancengleichheit auch für junge und unerfahrene Büros gegeben. Sie können wichtige Erfahrungen sammeln und ihren Leistungs- und Fähigkeitsausweis konsolidieren. Zwar ist nicht zuletzt deshalb die Teilnehmerzahl höher als bei einer Präselektion und die Organisation der Ausstellung etwas aufwendiger, doch dafür erhält die Auftraggeberschaft das breiteste Spektrum an Lösungsansätzen und kann daraus die optimale Lösung wählen.

Allein dieses Argument müsste in einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie auch die Lebensader der Schweiz ist, zur Entkräftung des häufig gehörten Vorurteils beitragen, offene Wettbewerbe seien ein volkswirtschaftlicher Unsinn. Und schlies­slich bieten offene Wettbewerbe den Architekturschaffenden auch die Gelegenheit, sich in einem viel grösseren Konkurrenzfeld mit ihresgleichen zu messen und ihre Leistungen zu verbessern.

2 : 1 für das offene Verfahren

In der Regel ist für eine Grosszahl der Bauaufgaben der offene Wettbewerb die geeignete Verfahrensart. Das selektive Verfahren mag bei einzelnen, hochkomplexen Aufgabenstellungen Sinn machen, wie zum Beispiel bei einem Gefängnis- oder einem Spitalbau. Die Aufwendungen an Zeit und Kosten sind bei beiden Verfahren etwa gleich gross. Über alles betrachtet sprechen aber die grössere Konkurrenz, die damit einhergehende Förderung der Innovation und nicht zuletzt der freie Zugang für junge Fachleute für das offene Verfahren.
 

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