Nach­hal­tig­keit – in un­ge­wis­sen Zei­ten erst recht!

Mit Beiträgen zu den Themen «Skalierung der Kreislaufwirtschaft» sowie «Klimaschutz und soziale Verantwortung in Unternehmen» startete am 7. September 2022 in Winterthur das zehnte Swiss Green Economy Symposium. Dabei gab es – durchaus passend zum Motto «Verantwortungsvoll und mutig zusammenarbeiten» – eine kleine Überraschung.

Publikationsdatum
03-10-2022

Das Motto der Veranstaltung, so meinte der Co-Moderator und Beirat des Symposiums Dominique Reber in der Begrüssung, sei im Rückblick auf die Corona-Pandemie entstanden und bringe zum Ausdruck, dass ein Vorankommen in Sachen Nachhaltigkeit nur im Kollektiv, mit mutigen Schritten und im Bewusstsein von Verantwortung gelinge.

Es sei aber entstanden, bevor sich ab Anfang Jahr die geopolitischen Geschehnisse zu überschlagen begannen. Würde er hier und jetzt das Motto formulieren müssen, kämen darin alternativ die Begriffe «Sicherheit» und «Stabilität» vor. Wie wichtig es ist, trotz globaler Unruhen an Nachhaltigkeitbestrebungen festzuhalten, zeigten in der Folge die Beiträge in den drei Konferenz-Themenblöcken des ersten Veranstaltungstags.

Wie jedes Jahr entstand am Symposium ein interessanter Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Forschung auf und neben der Bühne. Allerdings schnitt dieses Jahr die Politik eher schlecht ab: Das Grusswort von Alec von Graffenried, dem Berner Stadtpräsidenten, wirkte platt – nichts, was man nicht schon mehrfach gehört hat –, und der Bundesrat musste sich zumindest von einem Referenten Unverantwortlichkeit vorwerfen lassen. Doch der Reihe nach.

Impulse mit Potenzial für Skalierung

Der erste Block widmete sich der Kreislaufwirtschaft (KLW) und den Möglichkeiten zur Skalierung. Die Inputreferate führten einmal mehr vor Augen, wie viel vermeidbarer Abfall hierzulande jedes Jahr produziert wird. Katrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamts für Umwelt, referierte über die hohen ökologischen und wirtschaftlichen Potenziale der KLW und verwies auf den Bericht des Bundesrats, der als Reaktion auf das Postulat des Zürcher Ständerats Ruedi Noser die Hürden gegen Ressourceneffizienz und KLW abbauen will.

Torsten Wintergerste vom lokalen Unternehmen Sulzer Chemtech zeigte anschliessend Möglichkeiten zur Separierung von Stoffen im Textilrecycling. Die Firma testet derzeit an einer Anlage, die einen jährlichen Output von bis zu 1000 t textilen Materials liefert. Die Skalierung einer solchen Anlage zu noch mehr Output sei möglich, aber derzeit eine der grössten Herausforderungen im Vorhaben. In der anschliessenden Paneldiskussion stellte der Moderator die legitime Frage, ob es denn nicht sinnvoller und simpler sei, einfach weniger zu produzieren und konsumieren, anstatt mit grossem Aufwand zu recyceln.

Aus der Diskussion zeigte sich jedoch, dass die Abhängigkeiten von Konsumpräferenzen und die Kosten recyclierter Produkte gegenüber herkömmlichen Produktionsprozessen derzeit noch sehr hoch sind. Als Schlüssel zur Überwindung dieser Hürden müssen erst das Bewusstsein der Konsumenten bezüglich der Unterschiede zwischen linearer Wirtschaft und KLW gestärkt sowie Skalierungsmassnahmen entwickelt und gefördert werden. Dies gelinge nur mit entsprechender Kommunikation und Einbezug aller Beteiligten im Kreislauf.

Dann folgte der Frontalangriff des Berner Nationalrats und Präsidenten der Grünliberalen Partei, Jürg Grossen, auf den Bundesrat. Er nahm die geopolitischen Unruhen und die dadurch gefährdete Versorgungssicherheit zum Anlass, um die seines Erachtens planlose Landesregierung zu kritisieren. Er, der sich die Dekarbonisierung der Schweiz quasi zum Lebensziel gemacht hat, erachtet das derzeitige Handeln des Bundesrats als «aus den Fugen geraten und verantwortungslos».

Am Beispiel seiner eigenen Liegenschaft zeigte er, dass mit entsprechenden Massnahmen eine Reduzierung von 80% des Strombedarfs sowie 70% des Wärmebedarfs machbar ist, und sprach sich für eine Dezentralisierung und Digitalisierung in der Energieversorgung aus: «Jedes Gebäude soll zum intelligenten Kraftwerk werden, jeder Bauherr soll nach Möglichkeiten Netto-Null bestellen.»

Die Überraschung ereignete sich in der darauffolgenden Paneldiskussion. Anlass dafür gab die Teilnahme von Zurich-CEO Juan Beer. Ob dieser störte sich offensichtlich eine Zürcher Kampagnenorganisation, die zusammen mit Vertretern von Klimastreik Winterthur die Bühne stürmte und der Versicherungsgesellschaft per Megafon ungenügende Klima-Policies bei der Versicherung von Öl- und Gasprojekten vorwarf.

Klar, man darf hierzu unterschiedlicher Meinung sein. Aber an einer Dialogveranstaltung zum Thema Nachhaltigkeit eine Bühne zu stürmen, ins Publikum zu schreien und sich anschliessend der angebotenen Diskussionsteilnahme zu verweigern – das löste bei aller Bewunderung für die gezeigte Courage sogar bei grundsätzlichen Sympathisanten wie Grossen nur Kopfschütteln aus. Dank guter Moderation fand die Runde aber schnell wieder zum eigentlichen Thema zurück und schloss mit der Erkenntnis, dass für einen effektiven Klimaschutz in Unternehmen eine solide, transparente und gut bewirtschaftete Datenbasis unabdingbar ist

Der letzte Block des Vormittags nahm sich dem gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen an. Er identifizierte insbesondere den Stellenwert der Zivilgesellschaft als Stakeholder für private Unternehmen. «Wenn wir als Unternehmen ausserhalb des Zeitgeists agieren, bewegen wir nicht viel», meinte etwa Bettina Stefanini, Präsidentin des Stiftungsrats für Kunst, Kultur und Geschichte treffend. Auch in dieser Runde kam man zum Schluss, dass Firmen nur dann eine seriöse Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen können, wenn alle Beteiligten eingebunden werden. Als Beispiel hierfür wurde die Umfrage der Migros zum Verkauf alkoholischer Produkte genannt.

Komplexe Logistik auf der letzten Meile

Eines der Innovationsforen am Nachmittag stellte schliesslich die Frage nach dem Schlüssel für eine nachhaltige letzte Meile in der kooperativen, urbanen Logistik. Eine interessante Mischung aus Impulsreferaten, thematischen Vertiefungsmodulen und einer Paneldiskussion führte beispielsweise zur Erkenntnis, dass nur eine Bündelung der verschiedenen Logistikkanäle zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der letzten Meile führt. Nachdem in den letzten Jahren die Logistik zunehmend aus den Städten verdrängt wurde, brauche es nun wieder zentrale Infrastrukturen für den Güterumschlag und -verkehr.

So waren sich die Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Logistikzweigen denn auch einig, dass zwar alle ihre eigenen Prozesse bereits weitgehend optimiert haben, jedoch noch grosses Potenzial in der gemeinsamen Koordination liegt. Am Wille dazu scheint es zumindest nicht zu liegen – alle signalisierten Bereitschaft zur Koordination –; nur sei die Komplexität in dieser Sache sehr hoch.

Die Veranstaltung zeigte einmal mehr, wie viel in einzelnen Institutionen und Unternehmen bereits in die Nachhaltigkeit investiert wird. Getreu dem Veranstaltungsmotto aber scheint es umso notwendiger, die nachhaltige Entwicklung als gemeinsames Vorhaben der gesamten Gesellschaft zu erklären und nicht erst einen Systemwechsel abzuwarten, bevor entsprechende Bemühungen in Angriff genommen werden.