Stadt­bäu­me der Zu­kunft

Um heisse Städte besser kühlen zu können, brauchen wir gesunde Bäume mit grossen Kronen. Eine effektive Verdunstungskühlung entwickeln Bäume aber erst ab einem gewissen Alter. Ein Mix aus Massnahmen und Neuanpflanzungen macht Stadtbäume fit für die Zukunft.

Publikationsdatum
02-08-2023

Schweizer Städte sind vom Klimawandel besonders stark betroffen. Seit der vorindustriellen Zeit hat sich die Durchschnittstemperatur hierzulande bereits um 2 °C erhöht, der weltweite Durchschnitt liegt bisher bei 1 °C. Wenn der Ausstoss von Treibhausgasen weiterhin zunimmt, könnte die Durchschnittstemperatur in der Schweiz bis 2100 um 7 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigen. Selbst optimistischere Klimaszenarien zeigen den dringenden Handlungsbedarf auf: Laut IPCC-Bericht 2022 sind Extremwetterereignisse wie Hitzewellen und Starkregen bei einer Erwärmung von 2 °C mindestens doppelt so intensiv wie bei einer Erwärmung um 1.5 °C.

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Um Städte abzukühlen, stehen verschiedene Anpassungsmassnahmen zur Verfügung. Eine davon ist die Beschattung durch Bäume. Doch damit unsere Stadtbäume mit den steigenden Temperaturen umgehen können, benötigen sie Hilfe. «Noch nie standen Stadtbäume unter so grossem Druck wie heute», sagt Stefan Stevanovic. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Pflanzenverwendung am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Weil beim Strassenkörper Werkleitungen und die Tragfähigkeit der Bauwerke im Vordergrund stehen, sind hochverdichtete Böden die Regel – kein Platz für Wurzeln also. Für eine nachhaltige Alterungsfähigkeit der Strassenbäume ist der durchwurzelte Raum aber der entscheidende Faktor, so ein Merkblatt von Grün Stadt Zürich für Planerinnen und Planer. Immer mehr Einschränkungen und weniger Platz sorgen dafür, dass sich die meisten Stadtbäume nie richtig entwickeln können.

Wurzelkamera gibt Auskunft

«Für die Zukunft benötigen wir grosskronige Bäume, die uns Schatten spenden, die Luft kühlen und Schadstoffe filtern. Dies ist bei Bäumen mit kleinem Wurzelraum kaum möglich, denn die Wurzel spiegelt den Kronenraum», berichtete Stefan Stevanovic an einer Veranstaltung im Rahmen der Botanica 2023: «Pflanzen der Zukunft – natürliche Schutzfunktionen» Anfang Juli. Der Wissenschaftler zeigte im Rahmen seiner Führung «Wie heiss(t) Herr Zukunftsbaum?» auf, dass ein grosser Wurzelraum und genügend Nährstoffe essenziell sind für vitale Bäume, die auch Stressperioden gut überstehen. Fehlt der Platz für Wurzeln, bleiben die Bäume in ihrer Entwicklung frühzeitig stehen, vergreisen zunehmend und verlieren ihre Vitalität. Dies führt zu höheren Pflegekosten und einer geringeren Beschattung.

Stefan Stevanovic schlägt deshalb vor, die Grünflächen von bestehenden Bäumen miteinander zu verbinden und grössere Baumscheiben zu schaffen, damit sich unter den Bäumen Vegetationssysteme entwickeln können. Weiter sollen überbaubare Substrate unter versiegelten Belägen verwendet werden. Derzeit testen der Wissenschaftler und sein Team auf dem Gelände der ZHAW in Wädenswil verschiedene Mischungen von Baumsubstraten auf Versuchsarealen, die Asphaltflächen in der Stadt simulieren.

Die Substrate beinhalten Schiefergestein, Pflanzenkohle und Kompost und dienen mit ihrem grossen Porenvolumen als Speicher für Regenwasser sowie als Wurzelraum. «Die Substrate geben Wasser und Nährstoffe langsam, aber mit grosser Wirkung ab», sagt Stefan Stevanovic. Wie sich die Wurzeln der Ulmus Rebona in den doch eher kleinen Versuchsflächen der ZHAW verhalten, verfolgen die Wissenschaftler über einen Zeitraum von drei Jahren unter anderem mithilfe einer unterirdischen Wurzelkamera.

Mehr Platz für Wurzeln

Während Bäumen in der Stadt früher 12 Kubikmeter Wurzelraum zugemessen wurden, empfehlen Experten heute, 36 Kubikmeter zur Verfügung zu stellen. Die dafür notwendigen Wurzelraumerweiterungen können unter Trottoirs, Velowegen und Parkplätzen erfolgen. Stefan Stevanovic stellt sich auch die Frage, ob nicht ein Trottoir pro Strasse reichen würde. Dann stünde mehr Platz für Bäume auf der anderen Strassenseite zur Verfügung. Er rät, Stadtbäume möglichst früh in die Planung aufzunehmen, also bereits bei der Raumentwicklung entsprechende Grünräume zu bestimmen und auszuweisen: «Man sollte den Stadtbäumen eine gewisse Priorität geben und eventuell unterirdische Leitungen umlegen, Gehwege abschnittsweise verkleinern und Grünflächen miteinander verbinden.»

Neue Bewässerungsstrategien

Eine weitere Verbesserung der Lebensbedingungen von Stadtbäumen wäre die Einleitung von Regenwasser, etwa durch eine Entwässerung des Trottoirs oder der Velowege. Gemäss Grün Stadt Zürich überwiegen hier die Vorteile gegenüber den Nachteilen. Um besonders Jungbäumen einen guten Start zu ermöglichen, sind spezielle Säcke im Einsatz. Diese werden unten am Baumstamm befestigt und mit Wasser gefüllt, das tropfenweise ausfliesst. Damit soll der Baum mehr Wasser aufnehmen können.

Doch Stefan Stevanovic ist nicht vollständig überzeugt von diesem System: «Ich habe Mühe mit dem zusätzlichen Plastik. Die Tröpfchenbewässerung in Stammnähe fördert zudem die dortige Feinwurzelentwicklung, sodass der Baum weniger Wurzeln in die Breite macht. Ausserdem staut sich dort die Hitze, was zu zusätzlichem Hitzestress führt und Lebensraum für potenzielle Schädlinge bietet.»

Das Schwammstadt-Konzept sieht vor, dass anfallendes Regenwasser in Städten lokal aufgenommen und im Boden gespeichert wird, anstatt es zu kanalisieren und abzuleiten. Dadurch sollen Überflutungen bei Starkregenereignissen vermieden, das Stadtklima verbessert und die Gesundheit von Stadtbäumen gefördert werden. Hierzu werden Schwammstadtbausteine wie Baumrigolen, sickerfähige Beläge, Regengärten und Gebäudebegrünungen an Hotspots eingesetzt und idealerweise so miteinander verbunden, dass sie ein kühlendes System bilden. Erste Pilotprojekte wurden beispielsweise an der Giessereistrasse in Zürich oder auf dem Areal Volta Nord in Basel umgesetzt.

Baumarten für die Zukunft

Gute Erfahrungen mit den hitzegestressten Birken auf dem Stadtzürcher Turbinenplatz machte man mit Unterpflanzungen aus Staudenmischungen und gehölzbetonten Pflanzensystemen. Die Baumgruben von mehreren Birken wurden teilweise unterirdisch verbunden und mit neuem Substrat gefüllt, sodass die Bäume mehr Wurzelraum bekamen. Zusätzlich ergänzte man die Baumscheiben mit einer artenreichen Hochstaudenflur. So werden die Bäume vor oberirdischer Belastung im direkten Wurzelbereich geschützt.

Gleichzeitig wird der Boden durch die Feinwurzeln der Stauden gelockert. Die Unterpflanzungen dienen als Laubschlucker und lassen eine wasserspeichernde Humusbildung zu, wodurch wiederum die biologische Aktivität im Boden, beziehungsweise im Substrat, erhöht wird. Durch die Unterpflanzung vergrösserte sich die Aufenthaltsattraktivität insbesondere zur Mittagszeit und viele Insekten finden das ganze Jahr hindurch Nahrungsquellen im vielfältigen Vegetationssystem.

Abgesehen von ausreichendem Wurzelraum und guter Bewässerung rät Stefan Stevanovic auch dazu, Pflanzensysteme zu schaffen, die mit den Temperaturen der kommenden Jahrzehnte zurechtkommen werden. «Um das Überleben der Bäume bei Stress und Krankheit zu sichern, ist eine gute Mischung aus heimischen und importierten Gehölzen und Bäumen wichtig, selbst in einer Allee.» Für Extremstandorte rät er zu Pioniergehölzen, die sowohl mit viel Wasser als auch mit langer Trockenzeit umgehen können.

Beim Stichwort Zukunftsbaum fallen Stevanovic spontan die Baumsorten Ulmus Rebola, Gleditschie oder die Purpur-Erle ein. Der Wissenschaftler macht zudem auf die Broschüre «Zukunftsbäume für die Stadt» der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz GALK aufmerksam, die online verfügbar ist. «Dort kann man sich einen guten Überblick über unsere Bäume der Zukunft verschaffen.» 

Für Interessierte: Am Donnerstag, 7. September 2023 findet an der ZHAW in Wädenswil die Fachtagung «Pflanzensysteme 2023 – Vegetationssysteme in der Schwammstadt» statt.

Zum Weiterlesen: Unser E-Dossier «Hitzeminderung» zeigt anhand der ersten Umsetzungsbeispiele, wie Kanton und Stadt Zürich gemeinsam für Abkühlung sorgen wollen.