Ge­wer­be­bau ver­ti­kal

Neubau Gebäude X, Werkstadt Zürich

Das Areal der SBB-Reparaturwerkstätten in Zürich-Altstetten ist ein Transformationsprojekt, das zuletzt mit der Umnutzung des «Gebäude Q» zur «Werkstadt» Raum für Kleinunternehmen und produzierendes Gewerbe in der Stadt geschaffen hat. Nun wird mit einem siebengeschossigen Büro- und Gewerbebau an der Hohlstrasse der erste Neubau realisiert.

Publikationsdatum
03-10-2024
Revision
03-10-2024

Zürich-Altstetten wächst. Betrug die Wohnbevölkerung 2010 noch 30 659 Personen, wird sie, so die Schätzung, 2033 bei 40 350 Personen liegen. Dies schlägt sich auch im Bedarf an Büro- und vor allem Gewerbeflächen nieder. Während der Leerstand für kleine und mittlere Betriebe schon lange gegen null tendiert, geht seit 2021 auch der Leerstand bei den Verwaltungsflächen zurück. Dass Stand­orte für Handwerk und Mittelständler fehlen, verwundert nicht, denn dort, wo einst Autohäuser und Gewerbebauten das Strassenbild bestimmten, entstehen seit gut 15 Jahren Ersatzneubauten, Wohn- und Dienst­leistungsensembles, die das Gesicht der stadtauswärts führenden Hohlstrasse grundlegend gewandelt haben. 

Von der Werkstätte zur Werkstadt

Hier liegen auch die SBB-Reparaturwerkstätten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus­serhalb der Stadt erbaut, waren sie eine von fünf Haupt­­werk­stätten, in denen das Rollmaterial unterhalten und repariert wurde. Heute liegt das Areal inmitten eines wachsenden Stadtteils und ist für dessen Angebotsvielfalt ein entscheidender Baustein. Die Anlage ist inzwischen im Inventar der Schutz­objekte von überkommunaler Be­deutung verzeichnet. 

Der umgenutzte Teil, die Werkstadt Zürich, ist als Ganzes ebenfalls unter Schutz gestellt. Der Mix aus Bestandsbauten und einer moderaten baulichen Verdichtung zielt darauf ab, Gewerbeflächen für kleine Unternehmen, die Kreativwirtschaft und Start-ups anzubieten. Langfristig sollen hier 105 000 m² Geschossfläche für Büro- und Gewerbenutzung entstehen. 

Mit dem Entscheid der Jury für «Gleis X» als Siegerprojekt des Wettbewerbs entsteht an der Hohlstrasse der erste Neubau, dem gemäss Masterplan weitere folgen werden. Zwischen den Gebäuden U und Y liegt eine der wenigen freien Bodenreserven. Bisher befand sich dort eine Filiale der «Stützliwösch»-­Autowaschanlage. Bis 2028 soll hier ein siebengeschossiger Neubau entstehen, das Gebäude X. 

Das Angebot ist für Alt­stetten insofern neu, als es einerseits produzierenden Klein­betrieben neuen Raum sowie Flächen für Büronutzung für nicht klassische Dienstleistende bietet und andererseits in der Verzahnung mit den Gewerbeflächen dem Konzept der Werkstadt entspricht. Der von SBB Immobilien ausgeschriebene Gesamtleistungswettbewerb forderte von den Teilnehmenden den Entwurf eines Gewerbebaus. Das erste Obergeschoss sollte als «Stadtgeschoss» mit Dienstleistungs- und Kulturangebot eine Schnittstelle zum Quartier schaffen. 

Weiter forderte die Ausloberin, dass das Bauwerk eine «Pionierrolle in Bezug auf zirkuläres Bauen einnimmt» sowie Bezüge zu den bestehenden historischen Bauten sucht. Für das Erdgeschoss ist zunächst die Nutzung als Anlieferungs- und Parkfläche vorgesehen, bis das im Masterplan geplante Parkhaus erstellt ist.

Eine eigene Typologie – Gewerbe vertikal gestapelt

SBB Immobilien führte den zwei­stu­figen Gesamtleistungswettbewerb mit Präqualifikation durch; das Verfahren bewertete der Beobachter für Wettbewerbe und Ausschreibungen (BWA) Zürich mit einem orangen Smiley mit «Tendenz zu Grün». Der Rahmen für den Gebäudeentwurf war eng gesteckt, die Kubatur des Neubaus mehr oder weniger vorgegeben. 

Aus den sieben Bewerbungen zur Prä­qualifikation wurden vier Teams zur Teilnahme an der ersten Stufe ausgewählt und daraus zwei für die weitere Bearbeitung in der zweiten Stufe. Der Entscheid der Jury für die Auswahl der beiden Projekte ist nachvollziehbar: 

Während die Totalunternehmerin Erne Holzbau und die Architektinnen und Architekten von Itten+Brechbühl in ihrem Beitrag «Xylo» einen Holzbau mit Lowtech-­Ansatz vorschlagen, dessen offenes Erdgeschoss ein einladendes Entrée zum Stadtraum formuliert und der das Tragwerk sowie den Ausbau als zukünftiges Bauteillager anlegt, ist das Projekt «Gleis X» von Totalunter­nehmer Leuthard Baumana­gement und Annette Gigon / Mike Guyer Architekten in Ausdruck und Disposition der Werkstadt verpflichtet. 

Der Entwurf verfolgt mit dem Einsatz von Eisenbahnschienen als Tragwerk, wiederverwendeten Fenstern und Fassadenelementen eine Re-­use-Strategie. Neben den zwei vielversprechenden Vorgehensweisen in Hinblick auf den Einsatz von Material, die Wahl der Konstruktion und deren mögliche künftige Weiterverwendung liegt der wesentliche Unterschied im Verständnis des Gebäudes in Bezug auf den Ort. 

«Xylo» ist als Scharnier zwischen Stadt und Areal gedacht und schafft ein hohes Mass an Öffentlichkeit. Diese Idee der Öffnung ist auch in der Anordnung der Geschosse zu spüren: Das Erdgeschoss kann nach dem Umbau als erweiterter Stadtraum gelesen werden. Während die Anlieferung zur auf dem Areal liegenden Hohlgasse ausgerichtet ist, führt die Treppe zum Stadtgeschoss sowie zur Kleingastronomie an der Hohl­stras­se. 

Durch die Verschränkung der Nutzungen kann es gelingen, ein öffentliches Angebot im ersten Obergeschoss zu integrieren. Folgerichtig ist der Co-Working-Bereich im zweiten Obergeschoss angesiedelt und mit dem Stadtgeschoss verknüpft. Die Gewerbeflächen sind in den Geschossen drei bis sieben angeordnet. Die Idee des Austauschs zieht sich durch das Gebäude; in allen Geschossen werden Flächen ausgewiesen, die als Kommunikationszonen dienen können und variable Nutzungen erlauben. 

Der technische Ausdruck der Fassaden mit den über die Gebäudehöhe geführten Lüftungskanälen verleiht dem Bau einen prägnanten Ausdruck mit Signalwirkung in den Stadtraum. «Xylo» besteht aus einer Holzhybridkonstruktion, die Holzstützen sind mit Stahlträgern und Hohl­kastendecken kombiniert, die auf wiederverwendeten Stahlträgern lagern. Zwei Erschlies­sungskerne mit je einem Waren- und Personenlift versorgen die Büro- und Gewerbeflächen. Eine Flurzone entlang der Nordfassade erschliesst die Stockwerke. 

Ein neuer Baustein für die Werkstadt

Das siegreiche Projekt «Gleis X» ist eindeutiger der Werkstadt zugeordnet. Die Nutzung des Erdgeschosses in Phase 2 ist für Werkstätten und Gewerbe angedacht, das Stadtgeschoss ist über Aussentreppe und Balkon wie auch bei «Xylo» gut an das Erdgeschossniveau angebunden; jedoch ist das zweitplatzierte Projekt aufgrund der städtebaulichen Disposition eher für die Nutzenden des Gebäudes und des Areals angelegt. Bei «Gleis X» folgen die vier Gewerbegeschosse auf das Stadt­geschoss, die zweigeschossigen Bereiche liegen an der Hohlgasse. Co-­Working und Kantine befinden sich im siebten Obergeschoss. Die Flächennutzung ist effizienter als bei «Xylo». 

Der Einsatz von gebrauchten Schienen als Stützen und Deckenträger in den Hauptgeschossen steht sinnbildlich für das Re-use-Konzept des Gewinnerprojekts. Die Gebäudehülle besteht aus Holzelementen, in die wiederverwendete Fenster­elemente als Kastenfenster eingebaut sind. Die Fassade ist mit gebrauchten Welleternitplatten verkleidet. Die Verfassenden haben bei diesem Beitrag jene Bauteile durch Re-use-Materialien ersetzt, die üblicherweise hohe CO2-­Emis­sionen aufweisen. Auch diese Konstruktion ist auf Demontierbarkeit für eine mögliche zukünftige Nutzung ausgelegt. 

Der Ausdruck der Fassaden ist zurückhaltender, die Anmutung der Kastenfenster und Fassadenelemente vermittelt auch in der Farbigkeit zum Areal. Daneben rücken der vorgeschlagene Mix an Bodenbelägen und das Weiterbauen des Zauns an der Hohl­strasse den Neubau stärker an den Bestand, als es der expressive Ausdruck von «Xylo» vermag.

«Gleis X» stellt eine gelungene Ergänzung der Werkstadt dar und ist in Organisation und Ausdruck ganz dieser verpflichtet. Die vertikale Stapelung der Gewerbenutzung ist überzeugend organisiert und als Modell für ein solches Angebot in dichten städtischen Strukturen zukunftsfähig. Den horizontal angeordneten historischen Hallen wird ein vertikal organisierter Baustein an die Seite gestellt. Das Quartier bekommt ein Angebot inzwischen rar gewordener Gewerbeflächen.

Das offene Konzept von «Xylo» könnte dagegen gut als Solitär und aktiver Quartierbaustein an anderer Stelle funktionieren. Auch hier überzeugt die Gebäude­organisation und die Verzahnung der Nutzungen ist für ein zu verdichtendes Quartier eine bereichernde Möglichkeit.

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Neubau Gebäude X, Werkstadt Zürich
Gesamtleistungswettbewerb im selektiven Verfahren


Projekte STUFE 2


Siegerprojekt: «Gleis X»
Leuthard Baumanagement, Merenschwand / Gigon Guyer Architekten, Zürich; WaltGalmarini, Zürich; Gartenmann Engineering, Basel; Zirkular, Basel; Adrian Kiesel, Zürich; Komfonie Engineering, Zürich; R+B Engineering, Zürich; Amberg Loglay, Zürich; Antón Landschaft, Zürich


Würdigung: «Xylo»
Erne Holzbau, Schweiz / Itten+Brechbühl, Zürich; Wh-p Ingenieure, Basel; Transsolar Energietechnik, Stuttgart; Eicher+Pauli, Zürich; HKG Engineering, Schlieren; Bakus Bauphysik, Zürich; Emch+Berger, Schweiz; Emch+Berger ImmoConsult, Zürich; Ghiggi Paesaggi, Zürich


Fachjury

Christian Hönger, Architekt, Zürich; Rachelle Carroz, Architektin, Zürich; Tivadar Puskas, Bauingenieur, Zürich; Lukas Auf der Maur, kantonale Denkmalpflege Zürich; Ania Tschenett,  Amt für Städtebau Zürich


Sachjury

Markus Siemienik, SBB Immobilien, Leiter Anlageobjekte Ost; Barbara Zeleny, SBB Immobilien, Leiterin Anlageobjekte Entwicklung Urban; Gabriele Bühler, SBB Immobilien, Gesamtprojektleiterin (Ersatz)

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