Mit Wär­me und Käl­te aus dem Gen­fer­see

Morges will neue Quartiere mit Energie aus dem See versorgen. Die Pumpstation wird die Stadt mit einer Nachbargemeinde ­teilen, die Vergleichbares plant.

Publikationsdatum
26-11-2021

Morges hat sich für nachhaltige Entwicklung und eine koordinierte Wär­me­versorgung entschieden. Der erste Schritt dazu ist ein klimafreundliches Hydro­thermieprojekt. Dabei soll der thermische Gehalt des Genfersees als Wärme- oder Kältequelle dienen. Die Technik ist bekannt. Doch das unternehmerische Ri­siko eines solchen Vorhabens darf nicht ­unterschätzt werden. Deshalb war es für die Stadtbehörde unerlässlich, frühzeitig Energieabnehmer zu finden.

Die Entwicklung zweier neuer Stadtteile zwischen der Altstadt und dem Bahnhof für mehr als 1300 Einwohnerinnen und Einwohner bot diese Gelegenheit. Als künftige Nachbarn wollten die Immobilieninves­toren zunächst gemeinsam das lokale geothermische Angebot nutzen. Das Feld aus Erdwärmesonden im Untergrund wäre jedoch sehr dicht geworden. Zu befürchten war unter anderem, dass die kontinuierliche Wärmeentnahme das Erdreich derart stark abkühlt, dass Gebiete in der Nähe der Bahninfrastruktur vereisen könnten. Stattdessen entschieden sich die Standortentwickler für den Genfersee als Wärme- oder Kältequelle. Dies war der Startschuss für das thermische Seewasserprojekt «MorgesLac».

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Die Gemeinde arbeitet dafür mit dem re­gionalen Energieversorgungsunternehmen zusammen. Zu den Hauptleistungen ge­hören der Bau einer Pumpstation und das Verlegen von Leitungen, die Seewasser an Wärmetauscher führen und danach zurück in den Wasserkörper leiten. Die Gemeinde wünschte sich jedoch mehr: Um die lokalen Grundwasserreserven zu schützen, wollte man das Seewasser nicht nur thermisch, sondern auch physisch nutzen. Die Wasserfassung sollte den Bedarf für das öffentliche Schwimmbad und die Bewässerung der Quai- und Parkanlagen decken. Dieses Nebengeschäft ist clever gedacht: Weil die Stadtwerke bisher für die Gasversorgung zuständig sind, suchen sie neue Einnahmequellen, die kompatibel mit der Energiewende sind. Das Vorhaben der Behörde, inskünftig auf eine Energieversorgung mit lokalen Quellen zu setzen, kommt aber nicht unverhofft: Eine räum­liche Energieplanung gab den Anstoss, das Potenzial und die Machbarkeit von «MorgesLac» zu analysieren.

Ähnliche Entwicklungsfragen wälzte die Nachbargemeinde Tolochenaz, als sie den Quartierplan für ein gemischtes ­Neubauquartier erarbeitete. «Sud Village» sah Wohnraum für fast 2500 Personen vor. Zur Wärmeversorgung dachten sich die Verantwortlichen das Projekt «EnerLac» aus, das seinerseits das thermische Angebot des Seewassers zur Wärmeversorgung im Siedlungsgebiet nutzen will. Und noch etwas mehr: Unweit des Entwicklungs­gebiets im Süden von Tolochenaz wartete ein Me­dizinalunternehmen darauf, das Produk­tionswerk mit Wärme und Kälte aus ­ökologischen Quellen zu versorgen. Der Gewerbestandort wird nun an «EnerLac» angeschlossen. Nicht aber das geplante Quartier «Sud Village»: Die Umzonung wurde in einer Volksabstimmung abgelehnt. Entsprechend musste das Seewasserprojekt redimensioniert werden.

Eine einzige Pumpstation

In Gesprächen mit den Gemeinden Morges und Tolochenaz formulierte die Energie­behörde des Kantons Waadt einen Wunsch zur Koordination: Die Wasserentnahme sollte zusammengelegt werden, was die Nachbarn mit einem gemeinsamen Pumpwerk erfüllten. Morges übernahm die alleinige Konzession für die Wasserentnahme in der Pumpstation. Danach wird das Wasser an Land in getrennten Leitungen für die unterschiedlichen Verwendungszwecke verteilt. Vereinbarungen zwischen den Gemeinden und den Energiedienstleistungsunternehmen regeln die Schnittstellen.

Für die thermische Nutzung sind folgende Details bedeutend: Das Seewasser wird aus einer Tiefe von 45 m entnommen, wo die Ausgangstemperatur konstant bei 8 bis 9 °C liegt. Weil der Seegrund jedoch nur wenig geneigt ist, erfolgt die Entnahme rund einen Kilometer vom Ufer entfernt. Die ­lange Leitung dafür wurde aus Röhren mit Durchmesser von 1000 mm in Villeneuve zusammengesteckt, fast 50 km weit weg am Ostufer des Genfersees. Gewichte sollen verhindern, dass sich Fischernetze an der auf dem Grund aufliegenden Leitung verfangen. Zudem war die Seewasserfassung baulich vor einer Verstopfung durch invasive Quagga-Muscheln zu schützen.

Im Vergleich dazu fällt die Wasserrückleitung wesentlich kürzer aus: Der Ausfluss liegt nur 120 m weit im See; das eingeleitete Wasser ist 3 bis 4 °C kälter als bei der Entnahme. Auch hier musste der Ursprungsplan abgeändert werden: Hätte das Wasser in den Fluss Morges zurückgeleitet werden dürfen, wäre die Leitung fast 1000 m kürzer geworden. Die Gewässerökologie wurde jedoch als derart empfindlich beurteilt, dass man darauf verzichten musste.

«MorgesLac» und «EnerLac» lassen sich in Zukunft erweitern. Die Wärmekapazität des Seewassers reicht aus, um weitere Gebäude an der Bahnhofstrasse in Morges anzuschliessen. Aber nur unter der Voraussetzung, dass diese vorgängig energetisch saniert werden. So wird es sich weit mehr lohnen, Häuser mit dem CO2-freien Niedertemperaturnetz und dem Genfersee als Energiequelle zu versorgen.

Morgeslac / Enerlac

 

Energiequelle: Seewasser

 

Nutzungsart: Heizen, Kühlen

 

Planungsgrundlagen: räumliche Energieplanung der Gemeinden Morges bzw. Tolochenaz VD

 

Projektstart: 2017 resp. 2019

 

Leistung (Endausbau): 4,7 MW Wärme, 1,0 MW Kälte / ca. 8 MW Wärme, 4 MW Kälte

 

Projektverantwortung: Ville de Morges / Energie 360° (Contracting)

 

Beteiligte: Romande Energie / Energie 360°, Bouygues E&S InTec Suisse, CSD Ingenieure

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