Was­ser, Ve­ge­ta­ti­on und Bo­den im Zen­trum des Land­schafts­kon­gres­ses 2020

Die zweite Ausgabe des Kongresses widmete sich der Grenze und beleuchtete Kernthemen rund um die Landschaft. Es waren zwei spannende Tage – sogar online.

Publikationsdatum
23-11-2020

Landschaft besteht aus natürlichen Komponenten wie Boden, Wasser, Vegetation oder Klima und kulturellen Komponenten, d.h. allen Wechselwirkungen zwischen ihnen und dem Menschen. In dieser weit gefassten Definition lassen sich die meisten Themen verankern, die in dieser zweiten Ausgabe des Landschaftskongresses behandelt wurden.

Der nationale Anlass fand am 19. und 20. Oktober statt und wurde schlussendlich online durchgeführt. Trotz einem dichten Programm verlief er überraschend reibungslos. Das Prinzip der Plenarsitzung mit Vorträgen, die ins Deutsche oder Französische übersetzt wurden, und Nebenveranstaltungen mit Debatten in Kleingruppen, die oft von Tandems geleitet wurden, förderte den Austausch zwischen den gut 370 Teilnehmenden.

Dank der Flexibilität regionaler Berufsleute, die kurzerhand zur Kamera griffen, um so den Kongressteilnehmenden einige der Lausanner Projekte zu zeigen, konnten sogar die Besuche durchgeführt werden. Das vernetzte Publikum musste der Versuchung widerstehen, nicht nur einzelne Veranstaltungen herauszupicken, um nicht die Quintessenz der Vorträge und Debatten zu verpassen – eine der Schwierigkeiten von Online-Veranstaltungen. Denn Dichte und Lebensqualität, urbane und grenzüberschreitende Landschaften, Wasser und Bäume in der Stadt waren nur einige der Themen, die weniger der Vollständigkeit als der Innovationskraft halber behandelt wurden.

Der lebende Boden – ein Gemeingut

Zum Auftakt der Veranstaltung gibt es wohl kein besseres Thema als den «Boden als Sockel der Landschaft». Der Eröffnungsvortrag von Paola Viganò und Claire Guenat, Architektin bzw. Biologin an der ETH Lausanne, warf eine grundlegende Frage im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel auf, allem voran im städtischen Kontext. Wie kann aus einer Technopolis eine Agropolis werden? Indem wir den Wert der Böden überdenken. Jeder einzelne sei wertvoll, betont Paola Viganò, sogar die, die unzugänglich und versiegelt unter Strassen oder Parkplätzen liegen. Denn durch eine Neugestaltung und Sanierung können sie ihre Schlüsselfunktionen im Kampf gegen die Klimaerwärmung wieder einnehmen, wie beispielsweise die der CO2-Speicherung, der Versickerung des Oberflächenwassers und natürlich der Fruchtbarkeit.

Die beiden Referentinnen verwiesen auf die biologische Funktion des lebenden Bodens als Ort der Nahrungsmittelproduktion, aber auch als Lebensraum, den es zu beschützen gelte. Das sei notwendig, weil unsere Gesundheit eng mit der des Bodens zusammenhänge. «Die individuelle Gesundheit existiert nicht. Es gibt weder meine, deine noch eine sektorale, wie die des Bodens, der Luft oder des Wassers, sondern nur eine Gesundheit», erklärte Paola Viganò und bezog sich auf das Konzept «One Health», bei dem die Gesundheit als Gemeingut verstanden wird. «Diese Auffassung verändert die Sicht auf die Stadt und die Stadtplanung von Grund auf.» Das Duo, bestehend aus einer Architektin und einer Biologin, das sich für den Boden stark macht, steht stellvertretend für ein neues Paradigma in der Raumplanung: Planer und Städtebauer schliessen sich endlich Leuten wie Biologen oder Landschaftsgärtnern an, die sich mit der Natur auskennen und damit arbeiten und für die der Boden schon immer im Mittelpunkt stand.

Das Wasser als verbindendes Element

Eine andere Landschaftsthematik – das Wasser – war Gegenstand vieler Debatten, insbesondere in Zusammenhang mit der Grenze, dem übergeordneten Thema dieses zweiten Kongresses. In der Geschichte fungierte es als physische Begrenzung zwischen zwei oder sogar drei Verwaltungseinheiten, Gemeinden, Kantonen oder Ländern, wird sie heute als gemeinsamer Ort betrachtet, an dem eine grenzübergreifende Landschaft entsteht. So sieht beispielsweise das Basler Projekt des Rheinparks den Zusammenschluss von Freiräumen in Frankreich, der Schweiz und Deutschland vor, denen die Nähe zum Fluss gemein ist. Das Projekt beschäftigt sich auch mit der Frage des öffentlichen Zugangs zum Wasser und dem Ausbau von Freizeitanlagen und Langsamverkehr – Die Planung verantworten die drei Länder dabei gemeinsam.

In Genf, wo die Idee eines Rhoneparks auf dem Vormarsch ist, war das Gewässernetz Gegenstand einer Studie im Rahmen des Masters für territoriale Entwicklung, getragen von der Hochschule für Landschaft, Technik und Architektur (HEPIA) sowie der Universität. Studierende aus den Bereichen Landschaftsarchitektur, Geografie, Soziologie und Architektur schlossen sich zusammen, um vorhandene Wege entlang der Wasserläufe zu erfassen. Eine gute Möglichkeit, den Grossraum Genf zu entdecken – ob zu Land oder sogar zu Wasser – und dabei obendrein das Konzept der Grenze zu vergessen.

Wie der Mensch die Landschaft und den öffentlichen Raum nutzt

Was Landschaft bedeutet, ist auch immer eine Frage der Wahrnehmung und unterscheidet sich je nach Person und sozialer Gruppe. Das wird am Beispiel der Frauen und ihrer Beziehung zum öffentlichen Raum deutlich. Der Film «Chemins de femmes, toutes accès à l’espace public» ergründet die fassbaren und quantifizierbaren Hindernisse, aber auch die diffuseren, die einer gleichberechtigten Nutzung des öffentlichen Raums im Weg stehen.

Die Frage der Wahrnehmung spielt auch eine Rolle im Kontext der (neuen) Energielandschaften, die in der Bevölkerung auf grossen Widerstand stossen; dadurch verzögert sich die Umsetzung der Energiestrategie 2050 des Bundes. Oft werden beispielsweise geplante Windparks oder neue Hochspannungsleitungen aus Gründen des Landschaftsschutzes abgelehnt. Die ETH Zürich entwickelte deshalb ein Vermittlungsinstrument, mit dem unter Einbezug aller erdenklichen Aspekte eine «Karte des Widerstands» erstellt werden kann.

In sensiblen Gebieten können Faktoren wie der «Landschaftsschutz» stärker gewichtet werden, damit der technischen Leistungsfähigkeit gegenüber der Landschaft nicht mehr systematisch einen höheren Stellenwert eingeräumt wird, was bis anhin oftmals der Fall war. Denn vielleicht geht es schlussendlich vor allem darum, zwischen den verschiedenen Interessen, die auf dem Spiel stehen, zu vermitteln.

Die Vegetation als Retterin der Städte

Der besonders engagierte Workshop «Arbres en ville» brachte die Erkenntnis hervor, dass der Akt des Pflanzens noch immer viel Überzeugungsarbeit erfordert und zwar in fast allen Teilbereichen der Stadt, auch wenn an den Ökosystem-Dienstleistungen kaum Zweifel bestehen. Das Pflanzen ist und bleibt ein militanter Akt, denn ein Baum wiegt gegenüber Konkurrenten wie unterirdischen Netzen, Verkehr oder Siedlungsdruck wenig. Und dennoch ist sowohl die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz als auch die Grün Stadt Zürich der Meinung, dass mehr und qualitativer gepflanzt werden muss: Im Kampf gegen die Klimaerwärmung spielt das Blätterdach eine zentrale Rolle.

Ein Referent brachte sogar die Idee ins Spiel, Bäume vom Eigentum zu entkoppeln und sie zu Gemeingut zu erklären, das darüber hinaus dringend inventarisiert, geschützt und gefördert werden muss. Andere mögliche Strategien wären die Beseitigung gebauter Untergeschosse zur Wiederherstellung der Verbindung der Bäume mit dem Boden oder die Nutzung des Regenwassers zur Bewässerung der Pflanzengruben. All diesen Ideen gemeinsam ist die Notwendigkeit, der Vegetation wieder einen Platz einzuräumen. Die Gefahr freilich, dass selbst die kämpferischsten NGOs ohne das Zutun der Politik nichts ausrichten können, sei nicht von der Hand zu weisen.

Weitere Infos: landschaftskongress.ch

Übersetzung aus dem Französischen: Judith Gerber.