Gros­se Auf­ga­ben für den Ju­bi­lar

Auftakt zum 175-Jahr-Jubiläum des SIA

Im Beisein von über 600 Gästen, Präsident Stefan Cadosch und Bundesrätin Doris Leuthard hat der SIA am 4. Mai 2012 in Aarau sein 175-jähriges Bestehen gefeiert. Angesichts der grossen Herausforderungen, war das Fest weniger eines der Rückbesinnung als des Ausblicks; geprägt von Zuversicht und – wohl ähnlich wie vor 175 Jahren – von einer neu erwachten Aufbruchstimmung.

Publikationsdatum
10-05-2012
Revision
01-09-2015

«Wenn ich den Worten von Stefan Cadosch lausche, könnte ich mindestens Passivmitglied des SIA sein», so Bundesrätin Doris Leuthard zu Beginn ihrer Ansprache anlässlich des grossen Jubiläumsfests des SIA am 4. Mai 2012. Nach Stadtammann Marcel Guignard, Regierungsrat Urs Hofmann und SIA-Präsident Stefan Cadosch war die Vorsteherin des UVEK an diesem Abend im ausgebuchten Kultur- und Kongresshaus Aarau (KUK) die dritte Persönlichkeit aus der Politik, welche das Wort an die über 600 angereisten Gäste richtete. Gemeinsam war allen Festreden, dass sie die Wichtigkeit der SIA-Berufe in der heutigen Zeit der schwindenden Landreserven und offenen Energiefragen betonten und dabei insbesondere den Beitrag des SIA. Angesichts der grossen anstehenden Herausforderungen war dieser 175. Geburtstag weniger einer der Rückbesinnung als des Ausblicks; geprägt von der Gewissheit, dass der SIA bei der Gestaltung unseres zukünftigen Lebensraums eine treibende Kraft sein kann und muss. Oder in den Worten des Chefredaktors Christophe Catsaros in der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Tracés: «non pas le garant de l’ordre établi, mais un vecteur de changement» (nicht der Garant der etablierten Ordnung, sondern ein Vektor der Veränderung). 

Die vierte Revolution

Stefan Cadosch, seit November 2011 Präsident des SIA, begann seine Ansprache an die «SIA-Familie» mit einer kurzen Reise zurück ins Gründungsjahr des SIA 1837: keine Eisenbahn auf Schweizer Boden, kein fliessendes Wasser und keine nutzbare Elektrizität in den Häusern. Wollte man das Feld nicht ausländischen Planern überlassen, war der Erfahrungsaustausch – ursprünglicher Gründungszweck des Vereins – oberstes Gebot der Stunde. Nach der ersten und der zweiten industriellen Revolution sowie der digitalen Revolution stehe nun eine neuerliche Transformationsphase an: die vierte Revolution, die laut Cadosch allenfalls dereinst als «Energierevolution» in die Geschichte eingehen werde. Nach dem Hinweis, dass der SIA heute gut aufgestellt sei und auf Aufgebautem weiterarbeiten müsse, machte Cadosch auf einige Missstände und dringliche Ziele aufmerksam: die eklatante Ausdünnung des Frauenanteils nach der Ausbildung zuungunsten der Frau, vor allem in Führungsfunktionen; das Lohndumping durch Zutun der eigenen Mitglieder, aber auch aufgrund eines mangelnden Sensoriums seitens der Bauherrschaften; die regelmässige Missachtung planerischer Leistungen als geistiges Eigentum und schlies-
slich Handlungsbedarf beim Aufnahmeverfahren in den SIA, das noch gravierende Lücken aufweise.
Bevor Cadosch das Podium der Vorsteherin des UVEK überliess, wies er auf den Stand der Diskussionen bei den aktuell politisch brisanten Kernthemen des Vereins hin: Raumplanung, Energie und Baukultur. In Bezug auf Letzteres hob Cadosch nochmals die «erschreckende Abwesenheit» der zeitgenössischen Baukultur in der Kulturbotschaft 2012–2015 hervor: «Der Entwicklungsstand einer Gesellschaft drückt sich in ihren Bauten und Strukturen aus.» In der Raumplanung forderte er eine «grenzüberschreitende Planung», in der nicht «überall alles möglich ist». Und zum brennenden Thema Energie schliesslich betonte der SIA-Präsident, dass sich die vom Bund präsentierten Massnahmen mit dem Fokus Effizienzsteigerung und Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem Energieleitbild des SIA decken. Die konsequente Weiterverfolgung dieser Politik hin zur Energiewende bezeichnete er als «mutig und – wie zu erwarten – heftig umstritten». Gaskombikraftwerke mit CO2-Kompensation seien vielleicht nicht innovativ, doch brauche es für die Übergangszeit bis 2050 eine Lösung, und besser als Stromimporte aus ineffizienten Anlagen sei diese mit Sicherheit, so Cadosch zum derzeit wohl umstrittensten Punkt. 

«Croissance sans gaspillage!»

Erwartungsgemäss griff Bundesrätin Leuthard den Faden auf und fokussierte in ihrer Ansprache auf die Themen Raumplanung und Energie. Dabei verurteilte sie die bisher vor allem auf Wachstum ausgerichtete Entwicklung, für die sie Politik, Wirtschaft sowie Gesellschaft gleichermassen verantwortlich machte. Sie rief aber nicht zu einer das Wachstum einschränkenden Sicht auf: «Niemand will das Streben nach Entfaltung und Wachstum einengen.» Unter anderem appellierte sie an Offenheit: trotz enger werdenden Platzverhältnisse sollten wir nicht zuwanderungsfeindlich werden. «Croissance sans gaspillage!» (Wachstum ohne Verschwendung) zitierte sie schliesslich den Satz der Stunde, der zu einer intelligenten Wachstumspolitik leiten sollte. Konkrete Schritte in diese Richtung hat der Bund bereits unternommen, oder sie sind seit kurzem in Bearbeitung. Was die Raumplanung betrifft, wies Leuthard auf die anstehende zweite Revision des Raumplanungsgesetzes hin, die laufenden Förderprogramme Agglomerationsprogramm und Pärkepolitik sowie neuerdings die (noch zu erarbeitende) Umsetzung der Zweitwohnungs-Initiative. In Bezug auf die Energiestrategie 2050 betonte sie, dass der Ersatz der Kernenergie nur möglich sein werde, wenn das gesamte Potenzial an Wind, Biomasse, Fotovoltaik und Geothermie ausgeschöpft werde die Verteil- und Übertragungsnetze erneuert und mehr auf die europäischen Stromzuflüsse einerseits ausgebaut sowie die Energieinfrastruktur für die zunehmend dezentrale Einspeisung andererseits fit gemacht würden wir intelligente Energietechnologien, kluge Anwendungen und einen sparsamen Umgang entwickeln.
«Je conte sur vous!» (Ich zähle auf Sie), so Doris Leuthard im Hinblick auf die anstehen den Aufgaben, für deren Lösung es Menschen brauche, die verändern wollen und Grenzen überschreiten.
Die Aufgaben werden uns nicht ausgehen, resümierte Cadosch analog. Zuletzt aber rief er die SIA-Mitglieder dazu auf, darüber nie zu vergessen, dass wir alle immer auch Teil der Gesellschaft sind, und lud schliesslich zum Fest ein mit den Worten des deutschen Schriftstellers Sigmund von Radecki: «Unser aller Beruf ist es, Mensch zu sein. Aber wer hat schon immer diesen Ehrgeiz » 

Atomarische Aufgaben

Ansprachen der anderen Art beendeten den offiziellen Teil des Abends, durch den die Schauspielerin Anet Corti mit eingestreuten «Auflockerungsübungen» führte, bzw. die mit dem Charme eines Mauerblümchens ausgestattete «Assistentin des KUK». Der Komiker Massimo Rocchi warnte Doris Leuthard vor den anstehenden planerischen Herausforderungen: «Atomarische Aufgaben stehen an, Madame Leuthard, und dann gibt es noch die Kantone!» Und er kommentierte die Wachstumsproblematik: «Ich bin auch ein Schweizer. Ich war es nicht schon immer, und werde auch nicht der letzte sein.»
In einer Inszenierung von Peter Zumthors Texten, «ein Gebäude sein – être un bâtiment», riefen die Journalistin und Redaktorin bei Tracés Anna Hohler sowie die Schauspielerin Hélène Cattin an die Adresse von Bauten wie von Menschen dazu auf, «nicht etwas darzustellen, sondern etwas/jemand zu sein».
Beim Eindunkeln luden die Funk-Beats der Band Soul Massage die anwesenden Gäste zum Tanz ein. Währenddessen baute draussen der Artist Georg Traber seinen «Turm zum Himmel» ein kleines Wahrzeichen für die Schöpfungskraft von Pioniergeist.
 

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