Ba­by­boo­mer woh­nen bun­ter

Der «Mathysweg» in Zürich von Allemann Bauer Eigenmann Architekten zeigt beispielhaft, was die neue Altersstrategie der Stadt für die Architektur bedeutet: Es sollen Kosten reduziert, aber auch breitere Möglichkeiten für das Leben in der dritten Altersetappe eröffnet werden.

Publikationsdatum
11-01-2023

Mit der Babyboomer-Genera­tion werden nicht nur mehr Menschen älter, sie haben auch andere Ansprüche an das Leben im Alter. Während der Zeit des Wirtschaftswachstums aufgewachsen, sind sie offen für neue Formen wie das Singleleben oder Wohngemeinschaften, interessieren sich für ge­nerationenübergreifendes Clusterwohnen, Hausgemeinschaften oder wohnen in Siedlungen nur mit älteren Menschen zusammen.

Laut Report der Age Stiftung kann sich fast ein Drittel der 65- bis 74-Jährigen in der Deutschschweiz vorstellen, in einer Hausgemeinschaft zu wohnen. Erste genossenschaftliche Projekte des gemeinschaftlichen Wohnens im Alter kommen dem entgegen, wie das Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite oder die Gemeinschaft 55+ der Allgemeinen Baugenossenschaft (ABZ) zeigen.

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Dieser Feststellung steht die gegenwärtige Realität gegenüber. In der Stadt Zürich wohnt fast jede zehnte Person über 65 in einem Alters- oder Pflegeheim. Bei den über 80-Jährigen sind es sogar etwas mehr als ein Fünftel. Dem will die neue Altersstrategie der Stadt entgegenwirken.

Eine wichtige Anpassung der Strategie betrifft die Alters- und Pflegezentren an rund 40 Standorten. Diese wurden zusammengelegt zu «Gesundheitszentren für das Alter». Das bedeutet, dass es kein örtliches «Entweder/Oder» abhängig vom Pflegebedarf eines Bewohnenden mehr gibt. Ziel der neuen Strategie ist es, allen Zürcherinnen und Zürchern auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen – unabhängig von ihrer wirtschaftlichen, sozialen oder gesundheitlichen Situation.

Neue Nutzungen, mehr Offenheit

Der im Frühjahr 2023 eröffnete «Mathysweg» von Allemann Bauer Eigenmann Architekten ist ein solches Zentrum und zeigt exemplarisch, was diese Zusammenlegung für die Architektur bedeuten kann. Das Haus mit 97 Ein- und 12 Zwei-Zimmer-Appartments1 ist grosszügiger, schicker und komfortabler als manches bescheidene Altersheim der Vergangenheit; es wirkt eher wie ein gutes Mittelklassehotel. Dazu tragen neben der Detaillierung die grosszügige räumliche und funktionale Offenheit und einige neue, für ein Altersheim ungewohnte Nutzungen, vor allem im Erd- und im Untergeschoss, bei. Eine Bibliothek, ein Fitnessraum mit altersgerechten Kraftgeräten, eine Wärmekabine, ein hauseigener Coiffeursalon sowie individuelle Schrankabteile, Wasch- und Schuhräume mit Schränken auf den Etagen und für das Quartier geöffnete Bereiche ergänzen die bisher konventionellen Einrichtungen.

Der Unterschied zur früheren Wohnform lässt sich auch anschaulich am Thema Essen erläutern. Es gibt mehrere Orte, um eine Mahlzeit einzunehmen: Kochnischen in einigen Zimmern, gemeinschaftliche Etagen­küchen mit grossen Sitzzonen mit Blick auf die grüne Umgebung, der Speisesaal «Tavola» für die Bewohnenden oder das öffentliche Restaurant «Farfalla». Trotz der Zusammenlegung gibt es im Mathysweg eine Besonderheit, denn unter dem Dach ist eine ab­getrennte Demenzabteilung untergebracht. Da sich hier Menschen aufhalten, deren Betreuung oft herausfordernd ist, lässt sich diese Abteilung nicht integrieren.

Beton, Holz, Glas und Durchblicke

Der tragende Betonbau wurde fast genauso umgesetzt, wie ihn Allemann Bauer Eigenmann Architekten im Wettbewerb im Jahr 2013 vorgeschlagen hatten. Den tiefen, kompakten Baukörper, der vom Grundriss her an eine Acht erinnert, gliedern zwei Innenhöfe, die auf den Etagen von Erschliessungszonen umgeben sind. Der erste umfasst den Eingangs­bereich mit Empfang und einem ­Fumoir. Im zweiten Hof bieten ­Fensterreihen aus allen Etagen Ausblicke auf das Geschehen im Erd­geschoss, wo sich die Tische des Restaurants befinden.

Wenig erstaunlich also, dass das architektonische Thema des Hauses die vielfältigen Durchblicke im Inneren, aber auch nach aussen sind.
Die Raumhöhe war baurechtlich beschränkt. Das zeigt sich vor allem im Mehrzwecksaal, dessen Höhe für die Raumgrösse etwas knapp bemessen wirkt. Schade ist auch, dass auf eine ursprünglich geplante Haupttreppe in der Eingangshalle verzichtet wurde – auch wenn diese von den Bewohnenden wohl nicht so häufig genutzt worden wäre.

Der Künstler Pedro Wirz hat das auffällige, farbige Hängeglas-Spiel im Restauranthof und über dem Entree entworfen. «Pupa», Schmetter­lingspuppe, – passend zum Wettbewerbsnamen «Farfalla» des Projekts der Architekten. Aus Hergis­wiler Glas liess der Künstler für ­sämtliche 121 Bewohnerinnen und Be­wohner je einen Kokon anfertigen. Sie hängen nun über den Köpfen der Speisenden. So wie sich die Bewohnenden in allen Bereichen des Hauses bewegen können, sind auch Restaurant und Mehrzwecksaal für die Menschen aus dem Quartier geöffnet.

Ein Schuppenkleid

Die bereits im Wettbewerb vorgeschlagene Betonelementfassade spiegele die lange Planungszeit wider, heute hätte man mehr mit Holz gemacht, meint Martin Bauer fast ein wenig entschuldigend. Das geschossweise versetzte Raster vor den Balkonen wurde über die gesamte Fassade gezogen, damit sie nicht zergliedert wird. Dahinter bilden sich schuppenartig feine terracottafarbene Eternitschindeln ab. Ein kleidsames und klassisches Äusseres, das dem Bau Charakter verleiht und ihn von Modeströmungen der Fassadengestaltung abhebt.


Anmerkung
1 Die Hotellerietaxe für die Apartments im Mathysweg beläuft sich bei einem Doppelzimmer mit Küche auf 116.50 Fr. pro Person und Tag, ein Doppelzimmer ohne Küche kostet gleich viel, hinzu kommt noch die Betreuungstaxe.

Gesundheitszentrum für das Alter Mathysweg, Zürich

 

Bauherrschaft
Stadt Zürich


Architektur
Allemann Bauer Eigenmann Architekten, Zürich


Landschaftsarchitektur
Kuhn Landschaftsarchitekten, Zürich


Tragkonstruktion
Ingenieurbüro Heierli, Zürich


Energie- und Umwelt­ingenieurwesen
durable Planung und Beratung, Zürich


Gebäudetechnik
Amstein + Walthert, Zürich


Baukosten
BKP 1–9: 57.5 Mio. Fr.
BKP 2: 43 Mio. Fr.