Das Ta­ne Gar­den House auf dem Vi­tra Cam­pus

Fassade aus Schilfrohr, Aussentreppe mit kunstvoll verknüpftem Geländerseil, polygonaler Grundriss – das im Juni fertiggestellte Tane Garden House des japanischen, in Paris tätigen Architekten Tsuyoshi Tane besticht durch seine Form und ungewöhnlichen Baumaterialien.

Publikationsdatum
12-07-2023

Das Haus mit der ungewöhnlichen Aussenwirkung steigert zudem die Nutzungsmöglichkeiten, die dieser Gebäudekategorie eigen sind. Denn es dient nicht nur dem Gartenteam des Vitra Campus als Pausenraum, sondern lockt auch Besucherinnen und Besucher über die Aussentreppe hinauf auf die Dachterrasse.

Rundumblick und Innensicht

Aus 4.70 Meter Höhe schweift der Blick über den üppig blühenden Staudengarten des niederländischen Gartenarchitekten Piet Oudolf, dem die Eingangstüre des Gartenhauses zugewandt ist. Im Innenraum findet sich auf 15 Quadratmetern eine Kaffeeecke, ein Tisch für acht Personen sowie ein Wasch- und Toilettenraum. Vom Spülbecken aus schaut man auf den Küchengarten. Das Fleckchen Nutzgarten vervollständigt den bildmächtigen Dreiklang aus Blumenpracht, Selbstversorgung mit Gemüse und – nach getaner Arbeit – wohltuender Entspannung im Gartenhäuschen.      

Nicht weit vom Vitra Campus entfernt finden sich am Tüllinger Hügel viele Freizeitgärten, die die Tradition von Eigenanbau lebendig halten. Dort Erbautes, ob Lauben, Schuppen, «Holzhüsli» im Eigenbau oder aus dem Baumarkt, summiert sich zu einem Patchwork anonymer Architektur.

Element Wasser

Im krassen Gegensatz dazu steht das Tane Garden House für zeichenhafte Architektur. Der Vorzeigebau gleicht einem kompakten Gefäss aus Schilfrohr. In einem zum Haus querstehenden, ausgehöhlten Stamm einer Douglasie plätschert ein Wasserstrahl. Eine weitere Assoziation an Wasser wecken Granitpoller als Fundament. Starkregen kann kommen!

Die Konstruktion besteht bis auf das Schilfrohr (aus Österreich) aus heimischen Baustoffen: Holz aus dem Schwarzwald, Granit aus dem Kleinen Wiesental. Lokale und regionale Handwerksbetriebe fertigten das Bauwerk. Exzellent handgefertigt erscheint das Häuschen. Doch die «Handarbeit» war aufwendig, und letztlich ohne Hightech und industrielle Rohstoffgewinnung nicht machbar. Ein Beispiel ist der Granit. Rund zehn Tonnen waren notwendig, um aus dieser Masse die rund drei Tonnen des benötigten Granits zu erhalten, da im Steinbruch, einem Schotterwerk, die Granitblöcke aus der Wand gesprengt werden.

Naturmaterialien und Witterung 

Auch das filigrane Muster des Seils für das Treppengeländer ist genau besehen nicht das Produkt einer romantischen Verklärung von Handgefertigtem aus Öko-Material. Denn ein naturbelassenes Hanfseil für die Aussentreppe hätte der Witterung nicht lange standgehalten, erläutert Erik Frey von der Seilerei Frey die Entscheidung für Kunststoff in Hanfoptik. Ein dünnes, im Rohr verlaufendes Edelstahlseil sorgt für Festigkeit von Seil und Schlaufen, und damit für Sicherheit treppauf, treppab. Die Witterung wird freilich vor allem am Schilf, dem dämmstarken Naturmaterial der Fassade, Spuren hinterlassen, die warm schimmernde hellbraune Farbe wird vergrauen.        

Architektur als Archäologie der Zukunft

Im Tane Garden House verschmelzen Bauweise und die optisch eindrückliche Fassade zu einem Bild ungewöhnlicher Einzigartigkeit. Diese Wirkung resultiert aus einer raum-zeitlichen Dimension, mit der der Architekt den Entwurf sozusagen erdet. Als «Archäologie der Zukunft»  bezeichnet er seine Vorgehensweise, Erkundungen der Geschichte eines Orts als Antriebskraft für neue, überraschende Bauformen zu nutzen.  

Als Zeitzeuge outet sich Rolf Fehlbaum. Der Chairman Emeritus von Vitra schilderte dem Architekten seine Erinnerungen an die Obstbaumwiesen von Weil am Rhein, auf deren Flächen sich der Möbelhersteller ansiedelte. Dieser Rückblick auf die Transformation des Areals und eine Besichtigung des Freilichtmuseums Ballenberg gaben den Impuls, ein besonderes Gartenhaus für den Campus zu erfinden. Tane zeichnete viele Varianten und bereicherte mit dem definitiven Entwurf die Campus-Kleinbauten, das Tiny House «Diogene» (Renzo Piano, 2013) und die Blockhütte aus Polarholz (Thomas Schütte, 2018) um einen weiteren originellen Solitär.

Architektur als «Archäologie der Zukunft» praktiziert, schürft tief, um Fragen für künftiges Bauen, Leben und Wohnen aufzuwerfen. Wo die Grenzen von ökologischem Bauen und der Verarbeitung von Naturmaterial liegen, ist dabei nur eine der Fragen, über die man auf der Aussenbank des Häuschens nachdenken kann.

Weitere Informationen: vitra.com