Geht es ohne Biozide?
Vermeidung von Schadstoffen beim Bauen
Das Gebäude kann eine Schadstoffquelle für die Umwelt sein. Dagegen lassen sich wirksame Massnahmen treffen, mit der Auswahl von ökologischeren Produkten oder konstruktiven Anpassungen zum Bauteilschutz. Doch es gibt ein Informationsdefizit.
Das Bauen wird lebendiger und organischer. Ein Indiz dafür liefert der aktuelle Trend zur Fassadenbegrünung. Pflanzen und Sträucher sollen sich den Aussenwänden emporwinden und den Stadtraum stärker kühlen. Die Kulisse dahinter wird ebenfalls belebt, mit Baustoffen aus nachwachsenden Quellen. Holz, Hanf, Stroh und Co sollen den Klimafussabdruck beim Bau von neuen Gebäuden verringern.
Und trotz wachsender Bemühungen, den Klimawandel dadurch einzudämmen, werden Gebäude künftig vermehrt im Regen stehen. Die Klimaprognosen lassen erwarten, dass Aussenhüllen häufigeren und heftigeren Niederschlägen sowie grösseren Temperaturwechseln und Feuchtigkeitsschwankungen ausgesetzt sind.
Aber wie sind Fassadenverkleidungen zu schützen, ohne noch mehr umweltgefährdende Wirkstoffe als heute zu verwenden? Auf einiges kann offenbar verzichtet werden. «Holzschutzmittel an Fassaden braucht es eigentlich nicht», sagt Matthias Klingler, Baustoffgutachter für den Verein Ecobau. Zwar schützen sie Holzoberflächen vor einem Befall mit dem Bläuepilz. Doch dieser ist für Fassaden nicht substanziell gefährdend, sondern sorgt insbesondere «für die nicht überall beliebte, unregelmässige Verfärbung».
Eine Druckimprägnierung von Holzbauteilen ist ihrerseits nicht schadstofffrei, weil auch dafür biozide Wirkstoffe verwendet werden, die früher oder später in die Umwelt gelangen. Als Alternativen bieten sich dagegen biozidfreie Vergrauungslasuren oder vorbewittertes Holz an, so Klingler.
Hohe Labeldichte
Die inländische Baubranche gilt als ökologische Vorreiterin, was die Verwendung von schadstoffarmen Produkten betrifft. In keinem anderen europäischen Land ist die Dichte an Labels so hoch, die möglichst geringe Gehalte an Problemstoffen in Bauprodukten fordern.
Beim Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz lassen sich mit einem «biozidfreien Baustoff» mehrfache Punkte in den Bewertungsklassen «Baustoffe», «Natur und Landschaft» sowie «Wasser» sammeln. «Unter öffentlichen Bauherrschaften nimmt die Nachfrage nach diesen Umweltkriterien zu», bestätigt Matthias Klingler. In vielen Fällen gehe dies mit dem Interesse einher, die Bauökologie und gesundheitsrelevante Qualitäten miteinander zu kombinieren.
Darauf richtet sich die inländische Baustoffindustrie zunehmend aus und entwickelt eigene Labels für biozidreduzierte Produkte. Die «Umwelt-Etikette» der Schweizer Stiftung Farbe wurde vor über zehn Jahren eingeführt. Die grünen Farbcodes A und B bedeuten «biozidfrei». Gelb und orange sind C und D, was auf einen niedrigen Biozidgehalt hinweist respektive eine geringe Umweltgefährdung anzeigt.
Die Klassierung wird kontrolliert durch unabhängige Labors und eine technische Kommission. Inzwischen umfasst die geprüfte Produktepalette neben Farbanstrichen für aussen und innen auch Lacke und Holzschutzmittel.
Immer mehr bewertete Produkte
Eine spezifische Produktebewertung bietet auch der Verein Ecobau an. Hierfür wird wissenschaftlich abgeklärt, welche Biozidarten mit welchen Auswaschraten und Mengen effektiv in die Umwelt gelangen. «Eco 1»-Produkte sind vollständig biozidfrei. «Eco 2» bietet zumindest Gewähr, dass die Wirkstoffe nur in geringer Menge ausgewaschen werden respektive in der Umwelt gut abbaubar sind.
Den Nachweis «Eco» gibt es neuerdings für Flachdachabdichtungen mit Bitumen, in denen Stoffe vor einer Durchwurzelung schützen. «Dagegen steht eine spezifische Produktebewertung für Holzschutzmittel noch aus», ergänzt Baustoffexperte Klingler.
Im Vergleich zwischen der Umwelt-Etikette und der Eco-Bewertung werden Bestnoten unterschiedlich vergeben, weil neben dem Biozidgehalt jeweils weitere Umweltauswirkungen beurteilt werden. Das deutsche Umweltlabel «Blauer Engel» kennzeichnet seinerseits ökologisch nachhaltige Produkte in den Kategorien Fassadenputze und Wärmedämmverbundsysteme.
Informationen über die Inhaltsstoffe lassen sich allenfalls direkt bei der Bestellung einholen. Denn im Gegensatz zur Kennzeichnung ist die Auskunftspflicht von Herstellern und Anbietern gesetzlich eindeutiger geregelt. Auf entsprechende Lücken weisen Fachleute und Konsumentenschutzorganisationen – insbesondere mit Verweis auf den Heimwerkermarkt – schon länger hin.
Konstruktiver Fassadenschutz
Woran es allerdings nicht fehlt: Empfehlungen und Leitfäden zum Schutz der Gewässer vor Bioziden aus dem Gebäudebereich. Eine kompetente Quelle ist Lignum, der Holzwirtschaftsverband in der Schweiz. Umfangreiche Planungshilfen gibt auch das deutsche Umweltbundesamt heraus.
Der wichtigste Rat für einen umweltverträglichen Gebäudeschutz ist: Es gibt genügend Alternativen zu Bioziden, zum Beispiel im Sockelbereich von Fassaden: Hier schützen mineralische Verkleidungen wie Ziegel oder Keramik vor Feuchtigkeit. Oder bei einem Wärmedämmverbundsystem: Mineralische Dickschichtputzsysteme vermeiden den Algenbewuchs.
Unabhängig der Materialisierung schützen konstruktive Massnahmen jede Fassade dauerhaft vor Regenwasser. Dachüberstände, Vordächer und Fensterbänke mit Tropfkante halten Aussenwände trocken und verhindern dadurch einen Befall mit Algen oder Pilzen. Ein Spezialfall ist die Fassadenbegrünung: Zwar sorgt der Bewuchs am Gebäude für Tauwasser an der Aussenwand. Ist diese aber gut besonnt, kann sie schnell abtrocknen. Dadurch wird auch hier einem unerwünschten Befall durch Mikroorganismen vorgebeugt.
Nachweis bei Bewilligungsgesuch
Mit dem Design von Neubauten lässt sich die Gewässerbelastung an der Quelle mindern. Dies liegt im Eigeninteresse von Bauherrschaften, weil dadurch das Meteorwasser lokal versickern darf und keine zusätzliche Regenwasserbehandlung vor Ort erforderlich ist. Tatsächlich verlangt der Kanton Baselland zum Beispiel, dass die Dach- und Fassadenmaterialien mit Produktbezeichnung und Flächenangaben in einem Baugesuch zu deklarieren sind. Zudem ist für Dachabdichtungen aus Bitumen sogar der Nachweis vorzulegen, dass darin keine Biozide enthalten respektive nur geringe Abschwemmraten zu erwarten sind. Die Fachhochschule OST entwickelte ein Planungstool, das solche baustoffspezifischen Abschätzungen quantifiziert.
Nicht nur beim Neubau, auch aus dem Gebäudebestand sollen weniger Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Deshalb sind die kantonalen Umweltämter und der Verband Schweizer Gewässer- und Abwasserfachleute (VSA) daran, ein Merkblatt für die Fassadenreinigung zu erarbeiten.
Letzte Hürde: Entwässerung
Das lokale Entwässerungskonzept kann die letzte Hürde gegen eine Schadstoffausbreitung bilden. Belastetes Meteorwasser darf in der Regel nicht ungehindert abgeleitet werden. Berlin lässt zum Beispiel erforschen, wie sickerfähige Böden im Aussenraum in eine Biozidbarriere verwandelt werden können. Erprobt werden Spezialsubstrate mit Pflanzenkohle, die eine Filterwirkung auf belastetes Regenwasser ausüben.
Die Entwässerungspraxis in der Schweiz sieht zwei Interventionsstufen vor: Schwach belastetes Regenwasser darf vor Ort versickern, weil der natürliche Boden zum Schadstofffilter wird. Das weitere erledigen Kleinlebewesen im Untergrund: Sie wandeln umweltschädliche Wirkstoffe in unbedenkliche Substanzen um. Stärker belastetes Regenwasser muss dagegen technisch behandelt werden.
Entweder ist ein Anschluss an die Kanalisation erforderlich oder vor Ort werden spezielle Behandlungsanlagen installiert. Diese enthalten ein Adsorbermaterial, das unerwünschte Mikroverunreinigungen zurückhalten kann. Auch hier sind Qualitätsstandards zu beachten. Der VSA prüft lokale Regenwasserbehandlungsanlagen und veröffentlicht eine A-Liste der zur Verfügung stehenden Varianten.
Dieser Artikel entstand im Auftrag des Amts für Umwelt, Solothurn.
Weiterführende Links
Labels – Biozidfreie Bauprodukte
Handlungsanleitungen