Nach­hal­ti­ge «Ver­kehrs­ma­schi­ne»

Das Tiefbauamt der Stadt Wil hat für das Vorprojekt zur Aufwertung des Stadtraums rund um den Bahnhof den Standard SNBS-Infrastruktur angewendet. Im Rückblick brachte das nicht nur eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen, sondern auch Mehrwerte aus technischer Sicht.

Publikationsdatum
08-05-2024

Der Bahnhof in Wil SG darf kommendes Jahr auf eine 170-jährige Entwicklungsgeschichte zurückblicken. Gleichzeitig stehen der regional wichtigen Verkehrsdrehscheibe bis ins Jahr 2031 grosse bauliche Veränderungen bevor. Ausgehend vom Masterplan «Zukunft Bahnhof Wil» hat die Stadt ein Gesamtprojekt zur Aufwertung des Stadtraums rund um den Bahnhof erarbeitet und will damit unter anderem die Kapazitäten für den lokalen und regionalen öffentlichen Verkehr erhöhen. 

Das Gesamtprojekt umfasst mehrere Module, die eine koordinierte Planung bedingen und zahlreiche Beteiligte involvieren. Kernelemente des Projekts sind die baulichen und betrieblichen Anpassungen des Bahnhofplatzes, die Umgestaltung der angrenzenden Allee und die Verschiebung der Endhaltestelle der Frauenfeld-Wil-Bahn. Der Projektumfang und die Investitionskosten in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe machen das Vorhaben zu einem «Grossprojekt in allen Belangen», wie Marcel Frei, der verantwortliche Leiter des städtischen Tiefbauamts, es nennt. 

Auf den ersten Blick könnte man dennoch meinen, das Wiler Projekt sei eines von vielen, die derzeit in mittelgrossen Städten im Gleichschritt mit dem Angebotsausbau des öffentlichen Verkehrs geplant oder realisiert werden. Nun hat aber der Wiler Stadtrat im Mai 2020 die «Klima- und Energiecharta Städte und Gemeinden» unterzeichnet, daraufhin die klimarelevanten kommunalen Planungs- und Strategiegrundlagen analysiert und daraus elf wesentliche Ziele formuliert – Ziele, zu deren Erreichung sich sämtliche städtischen Departemente in ihrem Handeln verpflichten.

SNBS-Infrastruktur als Schlüssel

Das städtische Tiefbauamt stand somit vor der Herausforderung, ein vorwiegend «graues» Infrastrukturprojekt mit den Klima- und Energiezielen der Stadt in Einklang zu bringen. Frei und sein Team suchten nach systematischen Lösungsansätzen und im Austausch mit beigezogenen Experten gelang es dann, das Gesamtprojekt zu strukturieren, umfassend auf Nachhaltigkeitsaspekte zu prüfen und daraus gezielte Massnahmen abzuleiten. Den nötigen Schlüssel dazu fand man unter den «Standards Nachhaltiges Bauen Schweiz» (SNBS), die es mittlerweile für Anwendungen in den Bereichen Hochbau, Areale und Infrastruktur gibt.

Der SNBS-Infrastruktur basiert auf der Norm SIA 112/2 Nachhaltiges Bauen – Tiefbau und Infrastrukturen und befand sich zum Zeitpunkt der Spruchreife in Wil gerade in der Finalisierung. Der Standard bietet konkrete Instrumente, Hilfsmittel und Bewertungstools, um Projekte in frühen Planungsphasen nach den Zielen der kommunalen Energie- und Nachhaltigkeitspolitik auszurichten. Der SNBS umfasst vier Bereiche (neben der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Umwelt auch transversale Themen), zehn Themen, 29 Kriterien und 75 Indikatoren.

Nachhaltigkeit auf 25 Faktenblättern

Mit diesem Hilfsmittel gelang es innerhalb eines Jahres, das Projekt an den städtischen Klimaschutzzielen zu spiegeln, sieben Handlungsfelder zu evaluieren und entsprechende Massnahmen zu formulieren. Die Handlungsfelder reichen von der Nutzung von erneuerbaren Energien und Hinterfragung der Materialisierung über die Ausgestaltung des Bahnhofsplatzes als Mobilitätshub, eine Sicherstellung der Nutzungsflexibilität der Infrastruktur, die integrale Gestaltung der Busperrondächer, eine umweltfreundliche Platzgestaltung, die Schaffung von Aussenraumqualitäten bis hin zur Etablierung eines Lebenszykluskosten-, Nachhaltigkeits- und Risikomanagements. 

Ergebnis dieser Arbeit sind eine Matrix, die die einzelnen Massnahmen mit individueller Gewichtung den Klimaschutzzielen zuordnet und insgesamt 25 Faktenblätter mit Detailerläuterungen zu den einzelnen Massnahmen. Darauf ist jeweils die Massnahme beschrieben und kontextualisiert, der Bezug zu den SNBS-Kriterien ausgewiesen und ein Entscheid festgehalten, wie und wann die Massnahme im Projekt umgesetzt werden soll.

Nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Weg dahin zählt

Angesprochen auf den Prozess und das Ergebnis zeigt sich Frei überzeugt. Im Bewusstsein, dass durch die Nachhaltigkeits-Kur aus der «grauen» nicht einfach eine «grüne» Infrastruktur entsteht, sieht er vordergründig das Potenzial für langfristige Mehrwerte, die die Anwendung des SNBS-Infrastruktur für die Allgemeinheit schafft, und die nicht unwesentlichen technischen Optimierungen als Begleiterscheinung für das Projekt. Er meint: «Der SNBS-Infrastruktur half uns, wesentliche Aspekte der Nachhaltigkeit in die Planung einer ‹Verkehrsmaschine› – und das wird der umgestaltete Bahnhofsplatz mit seinen 17 fahrplanmässigen Bushaltekanten etwas salopp ausgedrückt einst sein – einzubringen und das Projekt zu optimieren.» 

Letztere zeigen sich etwa bei der Tragwerksdimensionierung unter Berücksichtigung möglicher Nutzungsänderungen, der widerstandsfähigen und zweckorientierten Material- und Konstruktionswahl für die Perrondächer oder der Abwägung alternativer Beläge. Frei erkennt dabei nicht nur die konkreten Massnahmen, die auf Papier gebracht werden konnten, sondern auch eine Veränderung in der Herangehensweise an ein Projekt. Auch bei weiteren anstehenden Projekten will er sich am SNBS orientieren und die nun gemachten Erfahrungen einbringen.

Erfahrungen mit dem Standard hat derweil nicht nur das Wiler Planungsamt gesammelt: Auch der Kanton Neuenburg machte sich bei einem Projekt zur Sanierung eines 50-jährigen Strassentunnels die Instrumente und Hilfsmittel des SNBS zunutze. Momentan wird das Vorprojekt für das Gesamtprojekt «Aufwertung Stadtraum Bahnhof Wil» finalisiert. Wenn alles nach Plan läuft, sollen per Anfang 2026 der Baukredit genehmigt werden und nach Abschluss der Bewilligungsverfahren im Jahr 2028 die Bauarbeiten beginnen. 

Aufwertung Stadtraum Bahnhof Wil

 

Auftraggeber
Stadt Wil


Architektur
Cometti Truffer Hodel Architekten, Luzern


Gesamtprojektleitung, Bauingenieurwesen, Tiefbau
B3 Brühwiler, Wil


Umsetzung SNBS-Infrastruktur
brücker+ernst, Luzern


Landschaftsarchitektur, Raumplanung
Uniola, Zürich


Verkehrsplanung
Basler & Hofmann, Zürich


Bauherrenunterstützung
Kieliger & Gregorini, Bäch SZ


Beratung nachhaltige Infrastruktur
Steiner Consulting, Uster; Berner Fachhochschule, Institut Infrastruktur und Umwelt, Burgdorf