«Es ist beein­druc­kend, wie gross das Selbst­bewus­stsein der Ar­chi­tek­ten ist»

Studium an der ETH, Büro in Deutschland

In einer kleinen Serie präsentieren wir junge deutsche Architekturbüros mit Verbindung zur ETHZ. Westner Schührer Zöhrer Architekten arbeiten an vielfältigen Entwurfsaufgaben und beschäftigen sich dabei mit den alltäglichen Situationen des jeweiligen Orts.

Data di pubblicazione
14-10-2020

Das Büro Westner Schührer Zöhrer wurde 2016 in München gegründet. Andy Westner, Werner Schührer und Christian Zöhrer studierten Architektur und Urban Design an der Hochschule München und an der ETH Zürich. Sie waren seit 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiter an der TU München tätig. Die Projekte des Büros stehen in direkter Verbindung zu den örtlichen Begebenheiten und Bedürfnissen.

espazium: Was sehen Sie als (grösste) Chance in Ihrer Stadt / Region?

Westner Schührer Zöhrer Architekten: München als Standort und Ausgangspunkt für die eigene Architekturproduktion hat zwei interessante Rahmenbedingungen: Erstens gibt es aufgrund des Wachstums der Stadt auf beengtem Raum eine Vielzahl an Aufgaben, und zweitens war München mit seiner interessanten und vielfältigen Architekturkultur in den letzten 30 Jahren in einer Art Dornröschenschlaf. Bis auf ein paar Ausnahmen war die Vielfalt der architektonischen Ansätze und die Lust am Gestalten sehr viel weniger ausgeprägt als im Vergleich zur Olympiade 1972 oder zum Beginn des 20. Jahrhunderts.
Als wir Anfang der 2000er-Jahre in München studierten, waren es einige wenige Positionen, die in ihren Entwürfen und Gebäuden interessante Ergebnisse hervorbrachten. Das hat sich in den letzten fünf bis zehn Jahren, so denken wir, geändert – und zwar zum Guten. Das liegt an der guten Auftragslage, die vielen aus der jüngeren Architektenschaft das Selbstvertrauen gibt, den Sprung in die Selbstständigkeit zu versuchen und den eigenen Ansatz auszuprobieren. Die Lehre an den drei Architekturhochschulen TU, Hochschule und Akademie hat sich in den letzten Jahren ebenfalls positiv entwickelt, sodass in diesem Umfeld sehr viele neue interessante Büros entstanden sind, die auch untereinander im Austausch stehen.
Die Ausstellung «The Next Possible City» hat einen guten Einblick dazu vermittelt. Man merkt, dass sich die Architekten in diesem Umfeld wieder mehr zutrauen. Das kommt der Vielfalt, den Ansätzen und Positionen zugute. Deshalb macht es für uns gerade grossen Spass, in diesem Umfeld an eigenen Bauaufgaben zu arbeiten.

espazium: Wo ist der Bezug zur ETH / Schweiz in Ihrer Arbeit spürbar?

Westner Schührer Zöhrer Architekten: Die Experimentierfreudigkeit der jungen Münchner Architekten hat viel mit der Schweiz zu tun. In unserer Tätigkeit als Assistenten an der TU München, die wir in den letzten Jahren neben dem Büro noch innehatten, haben wir mitbekommen, wie eine sehr grosse Zahl der Studenten und Absolventen in die Schweiz gegangen sind und mit den Inhalten der Architekturausbildung und Arbeitslandschaft wiedergekommen sind. Da gibt es Parallelen zu unserer eigenen Biografie, denn wir sind alle drei nach Studium und praktischer Tätigkeit 2008 von München in die Schweiz gegangen, um unseren architektonischen Horizont zu erweitern. Es gab bei uns zwar bereits Erfahrung mit der Schweiz, aber die ETH war für uns während dieser drei Jahre in Zürich als sozialer und als intellektueller Motor für unsere Auseinandersetzung mit Architektur und Städtebau wichtig.
Für uns war es weniger ein Meisterschüler-Interesse, das uns an die ETH geführt hat, um bei einer der vielen Koryphäen zu diplomieren, als die Reibungsfläche zwischen diesen Positionen, wie wir sie an Vorträgen und vor allem in den Kritiken erlebt haben. Die Bedeutung, die dem Architekten in der Schweiz in Bau- und Gestaltungsfragen beigemessen wird, fanden wir interessant, und zum Teil ist es beeindruckend, wie gross das Selbstbewusstsein ist. Wie wichtig der gestalterische Wert und die konzeptionelle Auseinandersetzung mit der Aufgabe und der Architektur in der eigenen Tätigkeit ist, das ist eine wichtige Prägung, die wir in der Schweiz erhalten haben.

espazium: Was sind aktuelle Inspirationen Ihrer Arbeit?

Westner Schührer Zöhrer Architekten: Für uns ist bei jeder Bauaufgabe die jeweils vorhandene Situation spannend. Da zählt die Atmosphäre des Orts genauso dazu wie die vor Ort direkt und indirekt beteiligten Personen oder die Bedingungen, die für die Produktion des Raums wichtig sind. Das Alltägliche und Unfertige an den vorgefundenen Orten und Situationen und ein dialogischer Umgang damit interessiert uns dabei viel mehr als die Vorstellung, dem Bauplatz ein architektonisches Konzept aufzuerlegen.
Bei W. G. Sebald gibt es einen Erzählton, der entlang von historischen und biografischen Gegebenheiten eine darüber hinausweisende Qualität erzeugt, eine Art Blick, der die Dinge in einem anderen, in einem Zwischenzustand schwebenden Zusammenhang erscheinen lässt. Sebalds leise «Kunst der Levitation» ist eine Methodik, die sich vielleicht bei unseren Bauprojekten in Ansätzen wiedererkennen lässt. Nicht der Bruch der Syntax des Orts durch das architektonische Objekt ist dabei entscheidend, sondern das Anwenden syntaktischer Muster des Vorhandenen für den eigenen spielerischen Umgang damit.

Portfolio: Atelierhaus, Vereinsgebäude, Pfarrzentrum

Zu ihrem Portfolio gehört das Atelierhaus für einen Künstler in einer sogenannten Mondscheinsiedlung, einer nachträglich legalisierten Schwarzbau-Siedlung im Münchner Norden. Das Atelierhaus sucht über Dachform, Materialisierung sowie über seine rohe Erscheinung einerseits den atmosphärischen Bezug zur Umgebung mit ihren improvisierten Bauten und verschliesst sich dieser andererseits durch seine nahezu fensterlose Fassade. Das klar geschnittene Volumen besteht aus gemauerten, einschaligen Wänden, die auf Höhe der Traufe durch die auflagernde Betondecke gegliedert werden und in das steile, mit Bitumen überzogene Satteldach übergehen. Auch der introvertierte Innenraum, der sich mit seiner Galerie bis ins steile Dach erstreckt, lebt durch die direkte Materialisierung des roh belassenen Bimssteinmauerwerks, der Betonflächen und der mit Holzwerkstoffplatten verkleideten Dachuntersichten. Nordlicht fällt über ein grossflächiges Dachflächenfenster in den Raum.

Das Vereinsgebäude am nördlichen Ende des Münchner Olympiaparks wirkt zwar winzig vor dem Hintergrund der angrenzenden, hohen Hotel- und Gewerbebebauung, bezieht sich in seiner Serialität jedoch wiederum auf diese. Der lange, eingeschossige Baukörper steht zwischen Strasse und Spielfeld. Der Holzmodulbau wird durch den Rhythmus von Stützen, Dachbalken und grüner Ausfachung gegliedert und orientiert sich zur Weite der Spielfelder.

Die katholische Kirche St. Thomas Morus in München aus dem Jahr 1964 besticht durch ihre Gebäudekomposition, ihre Betonstruktur mit unterschiedlichen Ausfachungen sowie die prägnante Raum- und Dachform. In den Sakralraum soll ein Pfarrsaal integriert werden. Die Architekten strukturieren den Eingangsbereich neu und führen eine Treppe auf die leicht erweiterte Empore. Auf dieser entfaltet sich der Saal vor dem grossen, farbigen Glasmosaik. Über die transparente Glaswand koexistieren die profane und die sakrale Nutzung direkt nebeneinander und teilen sich sozusagen den Kirchenraum, der weiterhin vom Lichteinfall des Mosaiks bestimmt wird.

In unserer Online-Serie «Debüt» präsentieren wir die Werke junger Architekturbüros. Dieser Beitrag  ist Teil einer Reihe, die den Schwerpunkt auf Architektinnen und Architekten mit Bezug zur Schweiz setzt, die ihr Büro in Deutschland gründeten.