«Ich habe Res­pekt vor mei­ner Ar­beit»

Urs Tappolet ist gelernter Zimmermann und hat 1998 am Abendtechnikum der Ingenieurschule Zürich diplomiert. Seit über zehn Jahren übt er seinen Beruf als Bauingenieur bei Staubli Kurath und Partner AG aus, nimmt Schadensbilder von Bauwerken auf und analysiert bestehende Bausubstanz – und dies zu einem grossen Teil unter Wasser.

Date de publication
17-08-2012
Revision
01-09-2015

TEC21: Herr Tappolet, Sie segeln, surfen, lieben den Wassersport und sind beruflich als tauchender Bauingenieur tätig. Haben Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht?
Urs Tappolet:
Wegen meiner Leidenschaft für den Wassersport bin ich im Wasserbau tätig. Dass ich meinen Beruf oft tauchend ausübe, hängt jedoch damit zusammen, dass wir uns in unserem Ingenieurbüro mit Gewässern sowie Bauten und Anlagen am, im und über Wasser beschäftigen. Um Richard Staubli, ursprünglich der einzige tauchende Ingenieur in unserem Büro, zu entlasten und um uns in dieser Nische zu stärken, machte ich eine fundierte Taucherausbildung – mein Tauchkurs vom Great Barrier Reef reichte hierzu nicht. Im Gegensatz zum Meer sieht man in den Schweizer Gewässern oft nur wenige Zentimeter weit. Das Handwerk will gründlich gelernt sein, und es braucht Routine, um diesen Beruf in dieser aussergewöhnlichen Umgebung bei noch so widrigen Verhältnissen auszuüben. Tauchen gehört zu meinem beruflichen Alltag wie das Rennen zu einem Fussballer – es geht ganz automatisch. 

Die Sicht unter Wasser ist oft miserabel, die Strömung kann gefährlich stark sein, und im Winter sind die Gewässer eiskalt. Was reizt Sie an ihrem Beruf?
U. T.:
Ich war am Anfang eher skeptisch. Doch es ist spannend, Bereiche zu sehen, die niemand anders zu Gesicht bekommt. Zudem ist die Arbeit nicht zufriedenstellend, wenn ich ein Fundament unter Wasser von anderen Berufstauchern untersuchen lassen muss. Am Ufer stehend müsste ich mir beschreiben lassen, was der Taucher im besten Fall sieht, im schlechtesten Fall aber nur ertasten kann.  

So liegt es nahe, selber zu tauchen und sich ein Bild von der Situation zu machen.
U. T.:
Ein Taucher ohne fachlichen Hintergrund kann die Situation und das Bauwerk nicht analysieren und beurteilen. Es braucht einen Ingenieur mit einem spezialisierten Auge und einer geübten Hand. Auskolkungen in der Gewässersohle füllen sich beispielsweise wieder mit Sand oder sonstigem Schwemmmaterial und machen die allfällige Instabilität für einen Laien unsichtbar.

Es braucht wohl auch Kreativität und Erfindergeist, um in trüben Gewässern praktisch blind eine Analyse vorzunehmen.
U. T.:
Auf jeden Fall. Vor allem die Strömung erschwert die Feldarbeit unter Wasser. Der Zugang zu den zu untersuchenden Stellen ist manchmal beschwerlich. Unser Tauchboot müssen wir gelegentlich über abschüssige Uferhänge ein- bzw. auswassern. Und bei Hochwasser sieht die Situation anders aus als bei niedrigem Wasserpegel. Trotzdem müssen wir für die Auftraggeber auf wirtschaftliche Weise möglichst informative Unterlagen beschaffen. An der SBB-Brücke bei Laufen am Rheinfall war es sinnvoll, einen Bergführer aufzubieten. Er seilte mich an den Brückenpfeilern ab. Die Strömung dort war so stark, dass ich kaum etwas sehen konnte. Bei reissender Strömung untersuchte ich im Schutz meines Ellbogens die Stelle und führte eine Sicherheitsbeurteilung durch – mit nur wenigen Zentimetern Sichtabstand zum Pfeiler. Ich musste die Schadensstelle ertasten und mit meinem Messer nach Rissen absuchen. Das sind schwierige Verhältnisse – das strömende Wasser entriss mir das Messer. Mit viel Erfahrung und Übung gelingt es schliesslich jeweils, eine professionelle Schadensaufnahme zu machen. Jeder Tauchgang erweitert dabei das Wissen und den Erfahrungsschatz. 

Wie oft sind Sie denn unter Wasser?
U. T.:
In den Jahren 2005 und 2007 mit den zahlreichen Überschwemmungen bis zu zwei Mal pro Woche. Heute je nach Arbeitssituation auch weniger. Ich kann einfachere Feldarbeiten abgeben, jetzt wo wir weitere Ingenieure in diesem Tätigkeitsfeld ausgebildet haben. Wir gehen aus Sicherheitsgründen mindestens zu zweit, meist mit der gleichen Person. Man kennt sich, das erleichtert die Arbeit. Für Ausführungsarbeiten unter Wasser vereinfacht es auch die Verständigung. Mit neuen Personen ist ein Tauchgang aufwendiger – manchmal ist es gar notwendig, zwischendurch aufzutauchen. In der Regel ist dies aber kein Problem, da die zu analysierenden Schadstellen oft nur wenige Meter unter dem Wasserspiegel liegen. 

Sie arbeiten auch an Neubauprojekten und planen in der gewohnten Umgebung im trockenen Büro.
U. T.:
Die Arbeit über Wasser im Büro ist wichtig. Nicht als Ausgleich, sondern vielmehr als Austausch zwischen den beiden Arbeitsorten. Da wir Projekte über ihre gesamte Lebensdauer begleiten, verifizieren wir unsere planerische Tätigkeit laufend. Erkennen wir Probleme in der Nutzungsphase, können wir die Erkenntnisse in die Planung anderer Projekte direkt einfliessen lassen. Es ist ein iterativer Prozess, wie er vielerorts im Bauingenieurberuf vorkommt – insofern unterscheidet sich mein Beruf nicht von demjenigen des klassischen Bauingenieurs. 

...nur dass Sie während ihrer Arbeit nicht nur normale Luft atmen, sondern diese regelmässig durch Nitrox oder Pressluft ersetzen. Wie gehen Sie mit den Gefahren um?
U. T.:
Die Arbeit ist gefährlich. Man muss die Gewässer kennen und die Gefahren abschätzen können. Ich habe Respekt vor meiner Arbeit. Jetzt, wo ich zwei kleine Kinder habe, vielleicht noch mehr als früher. Angst spielt nicht mit, da ich den Einsatz vorbereiten kann. Manchmal braucht es einen grossen Schluck starken Kaffee, wie nach dem Zusammentreffen mit einem Aal, der plötzlich unmittelbar vor meiner Taucherbrille mit weit offenem Maul zwischen dem Seegras vor mir auftauchte. Ich glaube, er ist sogar noch mehr erschrocken als ich, und grub sich schnell in den Seeboden ein. Ein anderes Mal geschah mir das Malheur, dass mein neuer Fotoapparat von der Strömung mitgerissen wurde – vor den Augen der Presse. Ärgerlich. Gerade darum haben wir immer professionelles Ersatzmaterial wie Akkus, Batterien und Lampen bei uns. Es darf nicht sein, dass wir in der Tauchermontur mit dem Bergführer bereitstehen und das Messgerät aussteigt. Den Fotoapparat fand übrigens zwei Tage später ein Angler 200m weiter flussabwärts in einem Strauch. Er wusste zum Glück, an wen er sich wenden musste, da er den Zeitungsartikel gelesen hatte.

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