«Oft man­gelt es an Wis­sen»

Energie-Coaching Stadt Zürich

Häufig schöpfen private Bauherrschaften die Möglichkeiten für mehr Energieeffizienz nicht aus. Architekten sollten daher verstärkt auf die Option der Energieberatung hinweisen, von der sie auch selbst profitieren.

Date de publication
09-07-2014
Revision
30-10-2015

TEC21: Frau Kulemann, die Geschäftsstelle Energie-­Coaching der Stadt Zürich führt bis zu 200 Bera­tungen pro Jahr durch. Wer nimmt dieses Angebot vor allem in Anspruch?
Christine Kulemann: Primär sind das kleinere, private Eigentümerschaften, ab und zu auch Bau­genossenschaften oder Verwaltungen. Es melden sich aber auch immer mehr Architekten an.

Aus welchen Motiven kommen die Hauseigentümer zu Ihnen?
Kulemann: Bei der Anmeldung wird als häufigster Grund «Umweltbewusstsein» angegeben. Die meisten Leute, die zu uns in die Beratung kommen, interessieren sich für die Energieproblematik, wissen auf diesem Gebiet aber selbst zu wenig und suchen daher Hilfe. Der Fall, dass bei jemandem die Heizung ausgestiegen ist und er dann spontan zum Energie-Coaching kommt, ist eher selten. Letzteres hat aber den Vorteil, dass der Eigentümer dann wirklich etwas machen muss. In den anderen Fällen führt eine Beratung ja nicht unbedingt tatsächlich zu einer energetischen Sanierung.

Was sind aus Ihrer Erfahrung die wichtigsten Fak­toren, die private Hausbesitzer davon abhalten, die vorgeschlagenen Massnahmen auch umzusetzen?
Kulemann: Ein wichtiger Faktor ist die Finanzierung. Wenn zum Beispiel bei Stockwerk-Eigentümergemeinschaften der Erneuerungsfonds gefüllt ist, wird in der Regel saniert. Fehlt das Geld, wird das Vorhaben eher verschoben. Es wäre hilfreich und sinnvoll, wenn Rücklagen für Sanierungen obligatorisch wären und keine steuer­lichen Nachteile bringen würden. Derzeit werden Rücklagen bei den Steuern als Vermögen angerechnet, sodass das Ansparen zu höheren Steuerzahlungen führt. 

Wenn man sich die vom Energie-Coaching begleiteten Projekte anschaut, fällt auf, dass viele etappenweise durchgeführt wurden. Hat das auch in erster Linie finanzielle Gründe?
Kulemann: Ja, oft ist das finanziell gar nicht anders möglich. Zudem hat dieses Vorgehen steuer­liche Vorteile, weil man so die Sanierungskosten in mehreren Jahren abziehen kann. Das ist ein grosser Anreiz und bringt in der Regel auch mehr ein als die Fördergelder. Für die meisten Gebäude ist eine Etappierung auch deshalb sinnvoll, weil selten alle Teile gleich­zeitig erneuerungsbedürftig sind. Zum anderen kann man so in der Regel im bewohnten Zustand sanieren. 

«Rücklagen für Sanierungen sollten obligatorisch sein und keine steuerlichen Nachteile bringen.»

Andererseits wird die Sanierung dadurch insgesamt teurer und bereitet unter Umständen an den «Nahtstellen» der einzelnen Massnahmen Probleme.
Kulemann: Ja, daher muss man vorher das Gebäude als Ganzes betrachten und alle Massnahmen planen. Ersetzt man dann in einem ersten Schritt die Fenster, weiss man schon, dass sie in einer anderen Ebene liegen werden, wenn man in fünf Jahren noch die Fassade dämmt, und wird den Anschluss entsprechend planen. Das ist sehr wichtig.  

Argumentieren Sie auch über die Amortisa­tionsdauer solcher Energiesparmassnahme?
Kulemann: Eher nein, weil das nicht besonders attraktiv ist. Die Amortisationsdauer liegt zum Beispiel bei einer Aussenwand etwa zwischen 25 und 30 Jahren. Wir planen aber, nächstes Jahr die Betriebs­optimierung als weiteres Angebot einzuführen. Da würden wir zum Beispiel die Regelung der ­Heizung sowie den Strom- und Wasserverbrauch überprüfen und optimieren. Diese Massnahme könnte in zwei bis drei Jahren amortisiert sein, weil die Betriebskosteneinsparungen ohne grössere Sanierungsmassnahmen und entsprechende Inves­titionen erreicht werden.

«Eigentümerschaften vertrauen meist darauf, dass ihr
Ar­chitekt oder ihre Architektin alles weiss und macht.»

Was sind neben den finanziellen Faktoren weitere Hemmnisse für die Durchführung von energetischen Sanierungen?
Kulemann: Oft liegt es an einem Mangel an Wissen bei den Bauherrschaften: wie man vorgehen könnte, was es zu beachten gibt und was es bringt. Beispielsweise wissen viele nicht, dass bei einem ungedämmten Dach bereits die Dämmung des unbeheizten Estrichbodens eine sinnvolle Massnahme ist und damit rund 10 bis 20% Heizenergie eingespart werden können.  

Das heisst, dass die Architekten den Bauherrschaften zu wenig klar machen, welche Möglichkeiten es zur Steigerung der Energieeffizienz gäbe?
Kulemann: Ziel ist nicht, dass Architekten energetische Beratungen vollständig selber über­nehmen. Das Berufsbild des Architekten ist bereits sehr umfassend, und hinzu kommt, dass für den Entwurf andere Stärken als für die Umsetzung gefragt sind. Mit den energetischen Anforderungen ist in den letzten Jahren vielmehr das neue Berufsbild ­«Energieberater/in Gebäude» entstanden. Dieses gilt es zu etablieren. Dafür ist wichtig, dass Architektinnen und Architekten die Eigentümerschaft darauf hinweisen, dass es Möglichkeiten für mehr Energieeffizienz gibt, und sie bei Bedarf dazu motivieren, einen Energieberater beizuziehen, ähnlich wie eine Bauphysikerin oder einen Statiker. Die Eigen­tümer haben in der Regel grosses Vertrauen in ihre Architekten und gehen davon aus, dass er oder sie alles weiss und macht. Das wird kaum hinterfragt, und deshalb sollten die Architekten in der Ausbildung stärker lernen, dass Entwurf und Energieeffi­zienz Hand in Hand gehen können. 

Ist das Vertrauen in den Architekten grösser als in den Energieberater?
Kulemann: Nein, aber viele Eigentümerinnen und Eigentümer wissen nicht, dass die energetische Beratung nicht zum klassischen Berufsbild des Architekten gehört und dass es hierfür extra Fach­personen gibt. 

Vermutlich profitieren auch die Architekten selbst von einem Energie-Coaching?
Kulemann: Ja, manche bekommen dabei gratis eine Weiterbildung.

Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass sich manche Architekten auch nicht von einem Energieberater hineinreden lassen wollen.
Kulemann: Das kommt sicher auch vor. Dann werden die Projekte vermutlich meist ohne Energieberatung umgesetzt. Wenn eine Architektin oder ein Architekt im Projekt dabei ist, ist es aus unserer Erfahrung für den Wissenstransfer von Vorteil, wenn der Energie-Coach einen technischen Hintergrund hat und sich etwa mit dem Thema Heizung gut auskennt. Dann wird die fachliche Unterstützung geschätzt. 

Bei der Sanierung öffentlicher Gebäude muss in Zürich der Minergie-Standard erreicht werden, und man kann sich fragen, ob das in jedem Fall verhältnismässig ist. Welche Zielvorgaben haben Sie bei der Beratung privater Eigentümer?
Kulemann: Unser Ziel ist in erster Linie, die Gebäude auf Kurs 2000 Watt zu bringen, sprich sowohl den Energieverbrauch als auch die Treibhausgasemissionen zu senken. Dafür empfehlen wir eine gute Dämmung und vor allem die Umstellung auf erneuerbare Energien. Ziel ist nicht, auf Teufel komm raus jedes Gebäude mit 20cm Dämmung und mehr einzupacken. Unsere Energie-Coachs versuchen, zusammen mit der Architektin oder dem Architekten eine Lösung zu finden, die sowohl energetisch als auch architektonisch gut ist.  

Das Erreichen des Minergie-Standards ist kein Ziel in der Beratung?
Kulemann: Nicht mehr. Am Anfang war es so, das hat sich jedoch geändert, weil Minergie nicht bei allen Gebäuden realisierbar ist, z.B. aus Denkmalschutzgründen oder weil sich nicht in jedes Gebäude die vorgeschriebene Komfortlüftung wirtschaftlich einbauen lässt. Zudem stehen viele Eigentümer­schaften einer Komfortlüftung kritisch gegenüber und sind häufig auch nicht bereit, die meist mit einer Minergie-Sanierung verbundenen Mehrkosten zu tragen.

Étiquettes
Magazine

Sur ce sujet