Ein wasserlösliches Problem
Vorkommen und Problematik von Bioziden am Bau
Baustoffe können Biozide enthalten, die in die Umwelt gelangen. Vor fast zwanzig Jahren entdeckten Wissenschafter schädliche Spuren davon in Gewässern. Inzwischen kommen weniger bedenkliche Baustoffe auf den Markt, weil die Zulassung strenger ist. Das Problem ist aber noch nicht gelöst.
Der Name ist «3-iodo-2-propynylbutylcarbamat» und die chemische Formel lautet: C8H12INO2. Selbst die Abkürzung IPBC ist nur Insidern ein Begriff. Die meisten Baufachleute kennen den iodhaltigen Stoff dagegen nicht, obwohl sie des Öfteren damit direkt in Berührung kommen. In reiner Form erzeugt es sogar einen beissenden Geruch.
Bei einem staatlichen Überwachungsprogramm in Österreich fiel vor sechs Jahren auf, dass jedes zweite Holzschutzmittel «3-iodo-2-propynylbutylcarbamat» enthält. Die chemische Verbindung ist auch in der Schweiz das häufigste Fungizid, um Holzbauten zu schützen.
Geht es nun nach der europäischen Umweltbehörde, ist damit bald Schluss: IPBC, wirkt als Allergen und ist als gewässergefährdend eingestuft. Bis Anfang Juli 2025 läuft deshalb ein Konsultationsverfahren in den EU-Ländern und der Schweiz, ob es bis 2030 aus dem Verkehr gezogen werden soll.
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Hohe Belastung im Siedlungsraum
Dass Baustoffe biozidhaltig sind und die Gewässer belasten, wurde vor fast zwanzig Jahren entdeckt. 2007 führte die Eawag, das Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, umfangreiche Analysen in Bächen und Seen durch und stiess auf hohe Schadstoffwerte. Bis heute liefern weitere Untersuchungen stichhaltige Beweise, dass neben der Pharmazie und der Landwirtschaft auch die Baubranche die natürlichen Wasserressourcen chemisch beeinträchtigt.
Gemäss dem Bericht «Gewässer in der Schweiz 2022» des Bundesamts für Umwelt belasten Biozide aus dem Bausektor und Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft nicht nur Oberflächengewässer. Abbauprodukte verschmutzen das Grundwasser sogar so stark, dass einige lokale Trinkwasserreservoire nur noch eingeschränkt genutzt werden dürfen.
«Wir kennen längst nicht alle Stoffe, die vom Gebäude in die Umwelt gelangen», bestätigt Michael Burkhardt, Leiter des Instituts für Umwelt- und Verfahrenstechnik (UMTEC) an der Fachhochschule OST.
Auswaschen durch Regen
Viele Bauprodukte enthalten Biozide. In Holz- und Farbanstrichen sowie Aussenputzen schützen sie vor Algen- oder Pilzbefall. Auch in gestrichenen Betonwänden oder Faserzementverkleidungen sind sie oft enthalten, um die Bauteile zu schützen. Die Kehrseite der Medaille ist: Die wasserlöslichen Stoffe gelangen mit dem Regenwasser früher oder später vom Dach und von den Fassaden in die Umwelt. Dort wirken sie – so langlebig, wie sie entwickelt wurden – oft ökologisch bedenklich.
Zu den bedenklichsten baustoffbedingten Bioziden gehören Isoproturon, Diuron und Terbutryn. Diese drei Wirkstoffe sind auch als Herbizide in der Landwirtschaft bekannt oder wurden dort früher eingesetzt. Für den Ackerbau sind inzwischen einige verboten; nicht aber für die Verwendung als Algizide im Fassadenanstrich.
Insofern verwundert nicht, dass sich das Belastungsrisiko auf den Siedlungsraum und auf ein punktuelles Belastungsmuster zuspitzt: Regen wäscht Fassaden ab, sodass die Schadstoffe danach in die Umwelt gelangen. «Vor allem urban geprägte Kleingewässer zeigen erhöhte Belastungswerte», ergänzt Burkhardt.
«Keine Zahlen bekannt»
Vor zehn Jahren erhob die Wissenschaft letztmals Verbrauchszahlen für die Schweiz: Jährlich wurden 10 bis 30 Tonnen Biozid im Filmschutz von Farben und Putzen verbraucht; etwa die gleiche Menge wurde für Holzschutzmittel bestimmt. Neuere Verbrauchsdaten gibt es nicht: «Bezüglich den Anwendungsmengen sind keine Zahlen bekannt», beantwortete der Zürcher Regierungsrat vor zwei Jahren eine parlamentarische Anfrage zu Bioziden an Gebäuden. Lückenhafte Angaben darüber, wie viele Biozide an Gebäuden zum Einsatz kommen, erschweren eine weitergehende Umweltvorsorge.
Dennoch lassen sich positive Anzeichen erkennen. Seit rund fünf Jahren ist zum Beispiel das Biozid «Carbendazim», das als zellverändernd bewertet ist, nicht mehr auf dem Markt. «Auch andere Substanzen, die die menschliche Gesundheit gefährden, wurden aus dem Handel genommen oder sind nicht mehr zugelassen», ergänzt Michael Burkhardt von der Fachhochschule OST. Generell gehen baustoffbedingte Mikroverunreinigungen im abfliessenden Regenwasser leicht zurück.
Anwendungsbezogene Zulassung
Für Anwender und Bestellerinnen von Baustoffen bleibt die Lage trotzdem unübersichtlich. Denn die Zulassungsregeln sind äusserst komplex. Das zeigt das Beispiel des Carbendazim-Verbots. Bis vor zehn Jahren war der Wirkstoff im Ackerbau noch erlaubt. 2016 schloss sich die Schweiz aber dem EU-weiten Ausstieg an und erliess ein Verbot bis 2018.
Davon ausgenommen war bis 2025 die spezifische Anwendung des Fungizids als Beschichtungsschutz für Mauerwerke. Und weiterhin zugelassen ist der Wirkstoff in Silikondichtungen für Aussenfassaden oder in Fugen gefliester Innenwände.
Tatsächlich sind die Wirkstoffe nicht für alle Anwendungsbereiche gleich gut ersetzbar. Doch um einem Wirkstoffverbot zuvorzukommen, passen Hersteller das Design ihrer biozidhaltigen Produkte an. Inzwischen werden die schädlichen Wirkstoffe meistens eingekapselt, sodass sich ihre Verweildauer im Produkt verlängert.
Sie bleiben länger am Gebäude haften und werden dadurch weniger benötigt. Mindestens 90 % der Produkte sind verkapselt. «Die Einträge von Bioziden in die Umwelt nehmen dadurch ab», erwartet Burkhardt.
Verschärfte Zulassungsbedingungen
Bei den Zulassungsbedingungen hält sich die Schweiz an die EU-Vorgaben. Generell schützen die Einzelwirkstoffe jeweils vor Mikroben, Algen oder Pilzen. Doch, welches ökologisches Gefährdungspotenzial sie besitzen, kann nur anwendungsbezogen beurteilt werden. Deshalb wird europaweit unterschieden, ob sie als Konservierungsstoffe in Farben, Schutzmittel für Fassadenanstriche, Holzschutzmittel oder Schutzmittel für ein Mauerwerk verwendet werden.
«Die geringste Toleranz wird Wirkstoffen entgegengebracht, die die menschliche Gesundheit gefährden und die Luft in Innenräumen belasten», erklärt der OST-Umweltprofessor. Aber auch für die übrigen Biozide sind die Marktregeln in den letzten Jahren strenger geworden.
Der Bund hat dieses Jahr die Mitteilungspflicht für den Handel mit Biozidprodukten verschärft. Gegenüber den Umweltbehörden sind nun Verkaufszahlen sowie Art und Wirkung der einzelnen Stoffe obligatorisch anzugeben. Ebenfalls ergänzt wurde die nationale Bauproduktenverordnung mit dem Ziel, die übermässige Stoffemissionen in die Umwelt zu verhindern.
Allerdings gibt es noch Lücken. So fehlt eine Verpflichtung für die Industrie, den Auswaschungsprozess von Bioziden nachweisen zu müssen. Gemäss Michael Burkhardt führen Hersteller solche Labortests, wenn überhaupt, erst freiwillig durch.
Gesetzliche Auflage
Absehbar ist deshalb, dass weitere Anstrengungen erforderlich sind. Die Politik setzt dafür sogar konkrete Ziele. Vor vier Jahren beschloss das Parlament das Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden. Demnach sind Biozide und Pflanzenschutzmittel in Oberflächengewässern und im Trinkwasser bis 2027 zu halbieren.
Noch bleiben zwei Jahre Zeit, um die Reduktionsmassnahmen an der Quelle zu verbessern. Ob die aktuellen Zulassungsregeln für Pflanzenschutzmittel und Biozide dafür genügen, lässt sich kaum abschätzen. Dagegen hilft, wenn die Baubranche von sich aus den Einsatz kritischer Substanzen reduziert. Ersatzstoffe und alternative Schutzmethoden gibt es durchaus. Der inländische Bausektor gilt sogar als Vorreiter für die Verwendung schadstoffarmer Produkte.
Dieser Artikel entstand im Auftrag des Amts für Umwelt, Solothurn.