Der Berg wird wie­der eine In­sel

Aus dem Mont Saint-Michel an Frankreichs Ärmelkanalküste soll bis 2025 wieder eine echte Insel werden. Ursprünglich sieben Kilometer vom Land entfernt, drohte die Klosterinsel bis 2040 vollkommen von Salzwiesen umgeben zu sein. Das langfristige Ziel der Bauarbeiten: das Watt rund um den Berg durchschnittlich 70 cm absenken.

Date de publication
27-12-2013
Revision
13-10-2015

Die Insel mit dem Kloster des Heiligen Michael drohte zur Illusion zu verkommen, immer näher kam das Land – nicht einmal mehr bei Springflut war der Mont Saint-Michel ganz von Wasser umgeben. Seit 1879 verband ein Damm den 92 m hohen Berg in der Mündungsbucht des Couesnon mit dem Festland. Er machte den Zugang weit sicherer – für die Pilger wie auch die Bewohner des Bergs, ist die Zone doch für ihren Tidenhub von bis zu 14m und tückische Strömungen bekannt.

Aber der Damm trug über die Jahrzehnte auch dazu bei, dass die Bucht versandete, und nahm dem Weg zum magischen Berg jede Poesie: Bis zum Fuss der Insel fuhren die jährlich rund 3.5 Millionen Touristen mit ihrem Auto oder dem Bus. Doch die zunehmende Verlandung war nicht nur dem Damm geschuldet: Vor knapp 50 Jahren entstand im Fluss ein Sperrwerk, weil die Bauern es nicht mehr erleiden mochten, dass ständig Salzwasser ihre Felder überspülte.

Das Sperrwerk erfüllte den Wunsch nach trockenen Feldern; gleichzeitig nahm es aber dem Fluss die Kraft, Sedimente ins Meer zu spülen. Die Folge: Die Bucht versandete immer weiter, bald wäre der Weg zum Berg auch ohne den Damm trockenen Fusses möglich gewesen – ein massiver Identitätsverlust für die zweitwichtigste Sehenswürdigkeit der Grande Nation. 

Projekt mit nationalen Ehren 

Seit 2006 wird daran gearbeitet, dass der Mont Saint-Michel bei Flut künftig wieder vollständig von Wasser umgeben ist. In einer ersten Etappe wurde das alte Sperrwerk am Couesnon abgerissen; es entstand ein neues Stauwehr. Seit 2009 reguliert es anhand des Gezeitenkalenders automatisch den Wasserzufluss: Zu Beginn der Flut, wenn das Meerwasser die meisten Schwebeteilchen enthält, sind die acht Schleusen geschlossen. Zehn Minuten vor dem Höchststand werden die Tore ein Stück nach unten gedreht; das jetzt einlaufende Wasser führt nur wenige Schwebeteilchen mit. Dann strömen – je nach Höhe der Flut – zwischen 470'000 und 900'000 m3 Wasser in den Fluss.

Die Wehre werden 90 Minuten nach dem Hochwasser geschlossen und erst viereinhalb Stunden später wieder geöffnet – bei absolutem Niedrigwasser. Dann schwemmt das Wasser etwa eine Stunde lang den Schlick rund um den Berg weg. Obwohl diese Lösung eine recht klassische ist, wurde das Team aus drei Ingenieuren und einem Architekten dafür mit dem «Grand Prix National de l’Ingénierie 2010» ausgezeichnet. 

Einen neuen Zugang schaffen 

Bis Mitte 2012 folgte der Neubau eines Parkplatzes und eines Besucherzentrums mit Ausstellungsflächen rund 2.5 km vom Mont Saint-Michel entfernt am östlichen Flussufer. Seither parken Autos und Busse nun nicht mehr direkt am Fuss des Bergs. 

Für den Weg der Besucher von ihrem Fahrzeug bis zur Sehenswürdigkeit bleibt die Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln: Sie legen ihn entweder in einem Elektrobus-Shuttle, mit einer Pferdekutsche oder zu Fuss zurück – derzeit noch über die alte Dammstrasse. Aktuell entsteht ein neuer Weg, den alle drei Verkehrsmittel künftig nutzen werden: Etwas mehr als einen Kilometer führt er durch die Dünen östlich des Couesnon, dann weitere 760 m über eine Brücke. Sie ruht auf zwei Reihen von je 67 Stahlrohren (Durchmesser: 30 cm) mit Zwischenabständen von je 12 m; zwischen ihnen haben die Gezeiten in der Bucht freies Spiel.

Dank der seitlichen Kragarme lässt sich eine Gesamtbreite von 13.20 m erreichen; aufgeteilt auf eine 6.50 m breite Fahrbahn und zwei Gehwege. Zusätzlich verlaufen in der Brücke auch sämtliche Werkleitungen für die Gemeinde Mont-Saint-Michel mit ihren 43 Einwohnern. Die letzten 120 m Wegstrecke bis zu den Mauern legen die Besucher auf einer neuen Furt zurück. 2014 soll der neue Zugang fertiggestellt sein, und der alte Damm mit Strasse wird – auch als symbolischer Akt – abgerissen. 

2015 schliesslich soll die erste touristische Sommersaison seit Langem sein, die ohne Bauarbeiten vonstatten geht – zumindest in der Bucht selbst. Denn im Hinterland gehen die Arbeiten weiter. Bislang wurde bereits von den Ufern flussabwärts von der Schleuse Gestein abgebaggert, das man anschliessend als künstliche Wasserscheide in der Mitte des Flusses installierte. Sie soll das Wasser, wenn es bei Ebbe mit hohem Druck aus der Schleuse fliesst, gleichmässig auf beide Seiten der Bucht lenken, damit es den Berg allseitig umspült. 

Auch oberhalb der Schleuse gehen die Arbeiten weiter: Insgesamt 4.7 Flusskilometer wurden bislang von Ablagerungen gereinigt, inklusive eines Altarms, der Anse de Moidrey. Insgesamt entstanden in diesem Altarm Kanäle mit einer Länge von 9 km; so kann der Couesnon wieder bis zu 1.4 Mio.m3 Wasser speichern und bei Ebbe abgeben – und die Felder am Flussufer werden auch künftig nicht von Salzwasser überflutet. Allerdings wird der Mont Saint-Michel auch künftig nur einige Male im Jahr wirklich eine Insel; nur bei Springflut – das heisst etwa an 17 Tagen im Jahr – umspült das Meer für rund zwei Stunden alle Mauern des Michaelsbergs.

Viel wichtiger als der tatsächliche Inselstatus dürfte aber die Wirkung sein, die die neue Form des Zugangs auslöst. Nähert man sich – idealerweise zu Fuss – in einer menschengerechten Geschwindigkeit dem mythischen Berg, wird seine Aura erlebbar. Das dürfte aus Sicht des Tourismusmarketings langfristig den wertvollste Aspekt des Renaturierungsprojekts darstellen.

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