Woh­nung­sk­nap­pheit ist auch eine Frage der Ver­tei­lung

Am von Bundesrat Guy Parmelin einberufenen Runden Tisch zur Wohnungsknappheit diskutierte auch der SIA mit. Zu verlockend scheinen ­pauschale quantitative Lösungsansätze. Doch der SIA zeigt, dass die Komplexität des Problems auch eine qualitative Herangehensweise erfordert.

Date de publication
24-05-2023

Guy Parmelin lud am 12. Mai 2023 zum Runden Tisch Wohnungsknappheit ins Wirtschaftsdepartement nach Bern ein. Vertreterinnen und Vertreter von Kantonen, Städten und Gemeinden sowie der Bau- und Immobilienbranche analysierten die aktuelle Lage und diskutierten Lösungs­ansätze. Martin Tschirren, Direktor des Bundesamts für Wohnungs­wesen (BWO), prognostizierte eingangs einen Mangel von 50000 Wohnungen bis 2026. Ursache für diese Misere gebe es sowohl bei der Nachfrage als auch beim Angebot. Bei der Nachfrage fallen vor allem die Zuwanderung und die Verkleinerung der Haushalte ins Gewicht: Wir leben länger und dabei häufig alleine oder in einem Kleinhaushalt. Gleichzeitig ist die Produktion von Wohnungen in den letzten Jahren gesunken. Auch bei den Baubewilligungen ist ein Rückgang zu verzeichnen, sodass sich Nachfrage und Angebot auseinanderentwickeln.

Jörg Schläpfer, Leiter Makro­ökonomie bei Wüest Partner, skizzierte gesellschaftliche Auswir­kungen der Wohnungsknappheit: steigende Mieten, insbesondere in den Grosszentren, zunehmende Probleme, eine Wohnung zu finden, aber auch zunehmendes Verharren in Wohnungen, die nicht mehr den aktuellen Bedürfnissen entsprechen, und eine Belastung vor allem des ärmsten Fünftels der Gesellschaft, das im Schnitt bereits über 30% des Einkommens fürs Wohnen aufwenden muss.

Mehr Wohnungen und mehr Qualität

BWO-Direktor Tschirren regte an, sich bei der Analyse der Ursachen und der Suche nach Lösungen auf das Angebot zu konzentrieren, sprich mehr Wohnungen zu bauen, worin ihm die Mehrheit des Runden Tischs folgte. Bei den Hindernissen wurden mehrfach lange Bewilligungsverfahren angesprochen, deren Dauer sich in den letzten 20 Jahren im Schnitt von 90 auf 150 Tage erhöht hat. Helfen könnten hier digitale Verfahren, die Eindämmung missbräuchlicher Einsprachen von Privaten, die Vereinheitlichung der kantonalen Bauvorschriften und ein Effort der Behörden, die vorgegebenen Fristen einzuhalten. Ausserdem sollten vorhandene Reserven an Bauland mobilisiert werden.

Dass die Lösung der Wohnungsknappheit komplex ist, darin waren sich alle Beteiligten einig. Bundesrat Parmelin hatte eigens Postkarten mit Werken des Künstlers Wassily Kandinsky verteilen lassen, um die wechselseitige Abhängigkeit vielfältiger Faktoren zu veranschaulichen. Einfach Regeln abzuschaffen oder pauschal maximale Bauhöhen und die Ausnützungsziffern zu erhöhen, mag auf den ersten Blick verführerisch erscheinen. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiesen jedoch zu Recht darauf hin, dass wir lernen müssen, mit Komplexität umzugehen und quantitative mit qualitativen Aspekten zu verbinden. Für den SIA heisst das, dass die Bekämpfung der Wohnungsknappheit Teil einer nachhaltigen Gestaltung des Lebensraums sein muss, sprich ressourcenschonend. Die von der Schweiz international gesetzten acht Qualitätskriterien für eine hohe Baukultur müssen dabei einen anerkannten Zielrahmen bilden.

In Quartieren denken und handeln

Für ein gutes Leben in einem nachhaltig gestalteten Lebensraum braucht es vielfältige Quartiere, die gleichermassen Raum für unterschiedliche Gesellschaftsschichten wie für Biodiversität schaffen. Das nationale Forschungsprogramm «Neue urbane Qualität» hat aufgezeigt, wie innere Verdichtung in urbanen Zentren mit kleinteiligen Konzepten funktionieren kann. Auch für den Umgang mit Lärm braucht es übergeordnete Konzepte. Die Verankerung einer angemessenen «Lüftungsfensterpraxis» im Umweltschutzgesetz würde viele hängige Bauprojekte deblockieren. Zugleich braucht es einen Effort, den Langsamverkehr zu fördern, um den Lärm an der Quelle zu bekämpfen.

Bessere Verteilung

Um die Hotspots der Wohnungsnachfrage in den Grosszentren zu entlasten, müssen ausserdem attraktive Wohnumfelder in den Regionen geschaffen werden, sei es durch qualitätvolle öffentliche Räume, Kitas oder Kulturangebote.

Selbst wenn der Runde Tisch überwiegend auf die Produktion von Wohnungen fokussierte, ist der Flächenverbrauch pro Person ein wesentlicher Schlüssel zur Behebung der Wohnungsknappheit. Teilweise werden bereits Lenkungsabgaben diskutiert, die momentan allerdings schwierig durchsetzbar sein dürften. Wie Jörg Schläpfer von Wüest Partner aufzeigte, verharren zu viele Menschen in Wohnungen, die eigentlich nicht mehr zu ihren aktuellen Bedürfnissen passen. Hier liessen sich vergleichsweise einfache Anreize zur Nutzungsverdichtung schaffen. Zum Beispiel könnte der Umzug von älteren Personen aus einer inzwischen zu gross gewordenen Wohnung in eine kleinere erleichtert werden. Der klimaschädliche Bedarf an Neubauten liesse sich ausserdem durch Weiterbauen im Bestand reduzieren. Diesbezüglich gab es einen Lichtblick. Der Vorschlag, sich auf eine quantitative Zielsetzung wie 200000 neue Wohnungen bis 2026 zu einigen, fand keine Mehrheit. Fest steht: Trag­fähige Lösungsansätze können nur gemeinsam gefunden werden. Im nächsten Schritt werden Bund, Kantone, Städte und Gemeinden nun einen Aktionsplan mit möglichen Massnahmen erarbeiten, der dann am Runden Tisch diskutiert wird.

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