Fors­chen, ­bi­lan­zie­ren und abwä­gen – be­vor die Stadt baut

Die Stadt Zürich will die direkten CO2-Emissionen im Gebäudebereich in weniger als 20 Jahren auf null reduzieren und geht bei eigenen Immobilien mit gutem Beispiel voran. Dafür sind jedoch auch Zielkonflikte zu lösen.

Date de publication
10-05-2023

Seit der Volksabstimmung vom Mai 2022 ist klar: Die Stadt Zürich will bis 2040 ihre lokalen Treibhausgasemissionen gänzlich vermeiden oder muss verbleibende Restmengen sonst aus der Atmosphäre entfernen. Netto-Null betrifft nicht zuletzt den Gebäudebereich, der in der Schweiz rund einen Drittel der CO2-Emissionen verursacht. Das Klimaziel ist ambitioniert, aber die Umsetzung kann von wichtigen Vorarbeiten profitieren. Zürich verankerte in der Gemeindeordnung bereits vor zehn Jahren die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft, die bis 2050 eine Reduktion der Emissionsbilanz auf eine Tonne CO2 pro Person verlangte. Viele Ansätze zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen beim Bau und Betrieb von Gebäuden sind deshalb erprobt. Im Vergleich zum inländischen Durchschnitt ist die Dekarbonisierung in Zürich relativ weit fortgeschritten.

Strategien kombinieren

Die Fachstelle Umweltgerechtes Bauen des Amts für Hochbauten (AHB) begleitet jedes städtische Bauvorhaben und sorgt seit der Verankerung der 2000-Watt-Ziele dafür, dass nachhaltige Baustandards Eingang in die Praxis finden. «Mit Netto-Null sind die Vorgaben allerdings noch anspruchsvoller geworden», sagt Tanja Lütolf von der AHB-Fachstelle. Während im Betrieb mit der Energieeffizienz und der Umstellung auf fossilfreie Wärmeversorgungen die wichtigsten Hebel bekannt sind, bleiben Lütolf zufolge bei den indirekten Emissionen, die bei der Produktion der Baumaterialien entstehen, noch viele Fragen offen. Die Fachstelle versucht, mit Studien und Pilotprojekten das Potenzial der unterschiedlichen Ansätze auszuloten.

Die städtische Verwaltung, die schon 2035 netto null erreichen muss, plant, baut und bewirtschaftet selbst zahlreiche Immobilien. Sie trägt damit direkt zum Erreichen des Klimaziels bei, ist aber auch Vorbild für die privaten Eigentümer:innen. Für das Bauen für Netto-Null untersucht das AHB verschiedene Strategien zur Emissionsreduktion in der Erstellung. Dazu gehören die Suffizienz, die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden, die Verbesserung der Materialeffizienz, die Reduktion von klimaintensiven Baumaterialien, Re-Use oder auch die Förderung von alternativen Baumaterialien. Klar ist, dass keiner dieser Ansätze alleine das Erreichen des Klimaziels ermöglichen wird. Vielmehr müssen die Strategien miteinander kombiniert werden, um eine möglichst grosse Wirkung zu entfalten.

Grundlagen für ein «Bauen für netto-null»

 

Das Amt für Hochbauten verfügt über ein Budget für eigene Studien zur Erarbeitung von Grundlagen und Erkenntnissen im Bereich nachhaltiges Bauen. Jüngst erarbeitetes Wissen umfasst etwa eine Ökobilanzierung von Freiraumelementen, das Nutzen der Holzbauweise als Kohlenstoffspeicher oder eine Nachtauskühlung über Lüftungsöffnungen in der Fassade. Die AHB-Studien liefern wichtige Inputs für die stadteigenen Bauten. Sie stehen aber auch allen anderen öffentlichen und privaten Bauherrschaften und Planungsfachleuten frei zur Verfügung.

 

-> Studien des Amts für Hochbauten

Stellschrauben sind bekannt

«Kurz- und mittelfristig haben die verschärften Klimaziele nur bedingt Einfluss auf die AHB-interne Planungspraxis», erklärt Lütolf. «Schon bei der 2000-Watt-Gesellschaft lag die grosse Herausforderung nicht beim Betrieb, sondern bei der Erstellung von Bauten.» Der Grund dafür ist die graue Energie des Baumaterials. Zwar können Konzepte wie die Wiederverwendung von Bauteilen oder treibhausgasreduzierte Baustoffe in Zukunft dazu beitragen, die Emissionen zu verringern. Momentan sind solche Lösungen aber noch nicht skalierbar und haben im Vergleich zu anderen Massnahmen nur einen geringfügigen Effekt. Daneben dürfen altbekannte Stellschrauben für die Planung klimafreundlicher Gebäude wie kompakte Baukörper, einfache Tragwerke und wenig Volumen unter Terrain nicht vernachlässigt werden.

Baubestand lange erhalten

Viele indirekte Treibhausgasemissionen lassen sich einsparen, wenn bestehende Gebäude umgenutzt oder instand gesetzt werden, statt diese abzureissen und durch Neubauten zu ersetzen. Die Rohbaustruktur von letzteren – tragende Wände und Decken – ist nämlich für ungefähr 40 % der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Da sie bei einer Umnutzung erhalten bleibt, reduziert sich der CO2-Ausstoss gegenüber einem Neubau deutlich. Städtische Gebäude werden regelmässig auf ihren Zustand geprüft mit dem Ziel, sie so lange wie möglich instand zu halten oder falls nötig instand zu setzen.

In einer wachsenden und sich verdichtenden Stadt ergeben sich aber auch Zielkonflikte, erläutert Lütolf: «Es wird viel zusätzlicher Raum benötigt, sei es wegen steigender Schüler:innenzahlen oder der Forderung nach mehr günstigem Wohnraum.» Städtische Liegenschaften wie Wohnsiedlungen oder Schulhäuser müssen deshalb häufig erweitert werden. Ob ein Ersatzneubau oder eine Erweiterung des Bestands mit kleinen Neubauvolumen vorteilhafter ist, klären die Eigentümervertretungen in Zusammenarbeit mit dem AHB als Bauherrenvertretung jeweils sorgfältig ab. «Manchmal ist es sozialer, ökonomischer und ökologischer, den Bestand rückzubauen und einen kompakten Neubau mit kleinem Fussabdruck und zusätzlichem Wohn- oder Schulraum zu realisieren», sagt Tanja Lütolf.

Stadt will beraten und fördern

Die Verwaltung geht als gutes Beispiel voran. Aber wie können private Eigentümerschaften das Netto-Null-Ziel ebenso in einem freiwilligen Rahmen umsetzen? Die Stadt Zürich unterstützt diese finanziell und mit Beratungsangeboten. Letzten Herbst wurden zwei Förderprogramme lanciert, um energetische Sanierungen und den vorzeitigen Heizungsersatz zu beschleunigen und finanziell zu unterstützen. Parallel dazu stehen allen Gebäudeeigentümer:innen die Dienste der Energieberatung im Klimabüro der Stadt Zürich zur Verfügung.

Die Beratung umfasst Themen wie den Anschluss an einen Wärmeverbund oder eine Installation von Photovoltaikanlagen und Ladesäulen für die Elektromobilität. «Wir begleiten Eigentümer:innen von der Erstanfrage über das Stellen von Fördergesuchen bis zur Bewilligung und Umsetzung des Vorhabens», erklärt Marie-Laure Pesch, Leiterin Energie und Gebäude beim Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich. Zusätzliche Vereinfachungen etwa bei den Bewilligungsverfahren sollen die Eigentümer:innen dazu animieren, sich dem durchaus komplexen Thema – netto null beim Bauen – ebenfalls anzunehmen. Denn auch aus diesen Kreisen sind ambitionierte Umsetzungsideen gefragt: Für ein klimaneutrales Zürich bis 2040 sind nun «jedes Jahr etwa anderthalbmal so viele energetische Erneuerungen durchzuführen wie bisher», sagt Marie-Laure Pesch.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Netto null bis 2040Wie die Stadt Zürich klimaschonend bauen will».

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier «Bauen für Netto Null».

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