«Putz ist ein Ma­te­rial, kein Sur­ro­gat»

Der Schweizer Preis für Putz und Farbe würdigt Projekte, die sich durch einen qualitätvollen Einsatz von Putz auszeichnen. Das Besondere: Prämiert werden explizit Teams aus Planerinnen und Handwerkern. Ein Gespräch mit den Jurymitgliedern Andreas Hild und Jörg Kradolfer über Wertschätzung, Trends und altes neues Handwerk.

Date de publication
29-01-2021

TEC21: Der Schweizer Preis für Putz und Farbe wurde dieses Jahr nach zwei Austragungen 2015 und 2018 neu lanciert. Warum braucht es diese Auszeichnung?

Andreas Hild: Putz bekommt nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient. Der Preis richtet sich an Architektinnen und Architekten, indem er zeigt, was für Möglichkeiten das Material bietet. Darüber hinaus ist er aber auch ein Signal an die Industrie – oftmals ist das handwerkliche Können für den Umgang mit Putz gar nicht mehr vorhanden. Heutzutage ist Putz einfach die letzte Schicht auf einer Wärmedämmverbundfassade – zumindest in Deutschland ist das oft so.

Jörg Kradolfer: Putz und Farbe sind überall präsent. Die Auszeichnung soll eine Wertschätzung für Planung und Handwerk sein, aber auch Bauherrschaften für das Thema sensibilisieren. Die Ausführung ist jeweils sehr unterschiedlich, die Details sind vielfältig. Deshalb braucht es eine enge Zusammen­arbeit zwischen Planung und Ausführung, weswegen Teams aus beiden Bereichen ausgezeichnet werden. Einige Projekte sind mit Unterstützung der Denkmalpflege entstanden, das ist auch eine Art von Kultur­erhalt. Für Fachleute sind darüber hinaus auch gewisse Trends ablesbar.

TEC21: Sie haben Trends erwähnt – welche können Sie aktuell erkennen?

Jörg Kradolfer: Es sind einige Entwicklungen festzustellen. Mit der Neulancierung gibt es dieses Jahr erstmals eine Auszeichnung für die Innenraum­gestaltung. Hier sieht man stark die Wertigkeit des Materials und wie wichtig Nachhaltigkeit geworden ist. Lehm hat sich etabliert, nicht nur wegen seiner positiven physikalischen Eigenschaften, sondern auch als Gestaltungselement, zum Beispiel als Deckputz mit Stroh oder anderen organischen Zuschlagsstoffen.

Einen weiteren Trend sehe ich bei den mineralischen Putzen. Sie werden wieder dickschichtiger verarbeitet, die Materialität wird im Aufbau wie auch in der Farbigkeit betont. Zum Teil wurde mit lokalem Kolorit gearbeitet, mit Gesteinstönungen wie Jurakalk, oder es wurden Erdpigmente eingesetzt.

Im Zusammenhang mit der Wärmedämmung, mit der ganzen Aussenwandkonstruktion ist ausserdem die Vielfalt herausragend. Im Vergleich zu noch vor einigen Jahren ist auch hier wieder mehr Struktur, mehr Farbe wahrnehmbar. Zudem wird eine grosse Vielfalt an Dämmmaterialien und -systemen eingesetzt, während gleichzeitig die alten Handwerkstechniken als neue Gestaltungsmöglichkeiten wieder entdeckt werden. Es gibt eine Renaissance von alten Putztechniken wie dem Kratzputz oder dem Kellenwurf.

Der aktuelle Favorit für Strukturen an der Fassade ist der Besenstrich, horizontal wie auch vertikal ausgeführt. All diese Strukturen zeigen eine gewisse Handwerklichkeit, sie leben nicht von der Perfektion, sondern von der Sichtbarkeit der handwerklichen Ausführung. Von der Planerseite her gibt es dafür eine grosse Offenheit.

TEC21: Wie sieht es in dieser Hinsicht von der Handwerkerseite aus?

Kradolfer: Bei diesem Preis werden natürlich die herausragenden Projekte eingereicht, das ist nicht der Durchschnitt. Aber die Projekte sollen nach­ahmenswerte Beispiele für die ganze Branche sein.

TEC21: Wie beurteilen Sie die eingereichten Projekte? Gab es Überraschungen, zum Beispiel auch Innovationen materialtechnischer Art?

Andreas Hild: Die Qualität der Einreichungen war durchwegs hoch. Besonders im Bereich der Naturputze ist das Niveau beeindruckend, möglicherweise ist auch das eine Schweizer Spezialität.

Jörg Kradolfer: Positiv überrascht war ich von der grossen Bandbreite an Konstruktionen – vom klassischen Zweischalenmauerwerk über die monolithischen Isolierbacksteinkonstruktionen, die Kompaktfassade mit der verputzten Aussenwärmedämmung bis zum Holzelementbau. Da ist alles vorhanden.

TEC21: Das Zusammenspiel von Architektur und Material ist ein sinnliches Erlebnis – lassen sich die eingereichten Projekte auf Papier beziehungsweise online überhaupt beurteilen?

Andreas Hild: Neben den Plänen, Fotos und dem Projektbeschrieb haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch ein Materialmuster angefertigt. Das stellt schon eine relativ hohe Hürde dar, erlaubte es der Jury aber auch, einen guten Einblick in die Qualität der Projekte und die handwerkliche Sorgfalt der Putzarbeiten zu bekommen.

TEC21: Der Preis soll die Zusammenarbeit von Architekten und Handwerk fördern. Gibt es in der Schweiz überhaupt genug «preiswürdige» Player beziehungsweise kompetente und offene Handwerker und Architekten?

Jörg Kradolfer: Das wird sich noch herausstellen. Das ist jetzt die dritte Austragung, und es ist erfreulich, dass wir die Teilnehmerzahl markant erhöhen konnten. Natürlich sind Firmen vertreten, die sich auf diesem Gebiet bereits einen Namen gemacht haben. Aber es sind auch Teams dabei, die ich noch nicht gekannt habe, obwohl ich schon einige Jahre im Verband tätig bin. Erfreulich ist zudem, dass wir dieses Jahr einige Beiträge aus der Romandie dabei haben.

TEC21: Bauherrschaften wählen oft Standardlösungen, aus Angst vor den Kosten oder aus Unkenntnis – kann der Preis hier für alternative Lösungen sensibilisieren? Und müssten nicht auch Bauherrschaften, die sich für einen solchen Weg entscheiden, ausgezeichnet werden?

Jörg Kradolfer: Bis jetzt ist eine spezielle Würdigung für Bauherrschaften noch nicht zur Sprache gekommen. Für mich ist die Bauherrschaft ein sehr wichtiges Element, sie entscheidet schliesslich über die Mittel, die für die Gestaltung mit Putz und Farbe zur Verfügung stehen, und auch darüber, welche Rolle diese Gestaltung spielt. Die Gebäudehülle hat eine repräsentative Funktion und ist einer Bauherrschaft in der Regel auch wichtig. Das Gleiche gilt für die Innenräume. Es gibt einen Trend zu gesunden Materialien, und die Bauherrschaften interessieren sich zunehmend für die Frage, mit welchen Materialien man sich umgibt.

Es sind aber nicht mehr nur die Eigenheim­besitzer, die etwas Schönes für sich machen wollen. Bei den Einreichungen für den Preis sind diesmal auch grosse Wohnungsbauten dabei. Hier wurde beispielsweise mit verschiedenen Putzstrukturen gearbeitet, auch mit verschiedenen Dämmplattendicken. Fassaden wurden so richtiggehend modelliert, oder es wurde mit kleinen Nuancen von Struktur- und Farbunterschieden experimentiert – und dies durchaus nicht nur im High-End-Bereich.

TEC21: Herr Hild, wie ist Ihre Aussensicht im Hinblick auf die Anwendung von Putz auf die Schweiz? Wird das Material hierzulande anders eingesetzt als in Deutschland?

Andreas Hild: Ich denke schon, dass es in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland eine höhere Wertschätzung gibt und dass das Material und sein Potenzial hier besser bekannt sind. Das zeigt sich ja auch daran, dass dieser Preis verliehen wird. In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Tatsächlich stelle ich aber auch fest, dass in Deutschland langsam ein Um­denken stattfindet und das Material als mindestens gleichwertig beispielsweise zu Fassaden aus Naturstein empfunden wird.

TEC21: Sie und Ihr Büro sind bekannt für den Einsatz von Putz bei Ihren Projekten. Was schätzen Sie als Architekt an dem Material?.

Andreas Hild: Putz ist ein hochwertiges Material, kein Surrogat und kein minderwertiger Ersatz für etwas anderes. In Mittel- und Südeuropa ist Putz das Material, das am häufigsten für Fassaden eingesetzt wird, das Gesicht unserer Städte ist aus Putz. Und trotzdem wird Putz noch immer verkannt. Das bedeutet aber auch, dass das Material noch viele Möglichkeiten für Innovationen bietet. Mit vergleichsweise kleinen Schritten lassen sich grosse Wirkungen erzielen – das Potenzial des Materials ist noch lang nicht ausgereizt.

Schweizer Preis für Putz und Farbe

2015 und 2018 zeichnete der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmer-­Verband SMGV gemeinsam mit der ­Messe appli-tech Teams aus Architekten und Malern bzw. Gipsern für besonders qualitätvolle Arbeiten aus, damals unter dem Namen «Innovationswettbewerb Farbe – Putz – Dämmung».

Nun lancierten die Auslober den Preis neu. Er heisst fortan «Schweizer Preis für Putz und Farbe» und beinhaltet auch je eine Auszeichnung für Innenraumgestaltung und energetische In­standsetzung. Zudem kann das Publikum via Onlinevoting das aus seiner Sicht gelungenste Projekt küren.

Gleich geblieben sind die Werte, für die die Auszeichnung steht: Dif­ferenziertheit, Nachhaltigkeit sowie handwerkliche und gestalterische Qualität im Umgang mit Putz und Farbe. ­Zugelassen sind Schweizer und Liechtensteiner Bauten und Raumkonzepte, fertiggestellt zwischen 2015 und September 2020. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Oberflächenbearbeitung, der handwerklichen Anwendung spannender Verputztechniken und dem kohärenten Zusammenspiel von Architektur, Putz und Farbe.

Die mit 35 000 Franken dotierte Auszeichnung wendet sich explizit an interdisziplinäre Teams aus Planern (Architekt/Innenarchitekt/Farbgestalter etc.) und Handwerkern aus der Maler- und Gipserbranche, die das Objekt gemeinsam realisiert haben. Die Teams können durch Produktehersteller im Bereich Putz und Farbe fachlich und materiell unterstützt werden.

TEC21 engagiert sich als Fach- und Medienpartner des Preises, weil dieser eine gute Baukultur in verschiedenen Aspekten – Prozess, Wissen, Können und Produkt – umfassend fördert.

An der dieses Jahr digital statt­findenden Messe appli-tech vom 3. bis 17. Februar werden die Projekte online vorgestellt. Die Preisverleihung ist am 4. Februar 2021.

Das Onlinevoting für den Publikumspreis läuft bis zum 17. Februar 2021. Beteiligen Sie sich auch!

Preiskategorien:

• Putzfassade/Farbgestaltung (Gold, Silber, Bronze)
• Innenraumgestaltung (Gold, Silber, Bronze)
• Sonderpreis der Jury für energetische Sanierung
• Publikumspreis

Jury:

Andreas Hild, Büro Hild und K, München, Professur Entwerfen, Umbau, Denkmalpflege TU München
Stefan Cadosch, Präsident SIA
Annette Helle, Helle Architektur, Dozentin Architektur und Konstruk­tion, FHNW Muttenz
Johannes Käferstein, Hochschule Luzern – Technik & Architektur
Hartmut Göhler, BGM Architekten, Basel
Pinar Gönül, blgp architekten, Luzern
Judit Solt, Chefredaktorin TEC21
Jörg Kradolfer, Technische Dienste Gipser des SMGV
Stefanie Thomet, Farbgestalterin, BSF

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