Ge­samt­lei­tung: ein­deu­tige Re­ge­lung

SIA-Musterverträge 1001/1 und 1001/3

Mit einem neuen Passus im Planer-/Bauleitervertrag und dem Subvertrag kann die Gesamtleitung nun klar vertraglich geregelt werden.

Date de publication
27-03-2019
Revision
27-03-2019
Peter Rechsteiner
Rechtsanwalt und Partner bei Bracher Spieler Schönberg Eitel Rechsteiner

Die Gesamtleitung eines Bauvorhabens  ist von grösster Bedeutung. Das ist der Grund für die Vertragsergänzung, die die Zentralkommission für ­Ordnungen (ZO) am 7. Juni 2018 beschlossen hat. Die Vertragsparteien sollen durch den neuen Vertragspassus in den SIA-Musterverträgen 1001/1 (Planer-/Bauleitungsvertrag) und 1001/3 (Subvertrag für Planer-/Bauleitungsleistungen) auf die Frage der Gesamtleitung aufmerksam gemacht und motiviert werden, die Zuständigkeit für diese Aufgabe ­ausdrücklich zu regeln.

Praktisches Vorgehen

a) Grundsatzentscheid
Der neue Vertragspassus unterscheidet zwischen zwei grundsätzlichen Möglichkeiten: Entweder entscheiden die Vertragsparteien, dass die Gesamtleitung integraler Bestandteil der Leistungen des Beauftragten ist (Möglichkeit 1), oder eben nicht (Möglichkeit 2).

b) Detaillierte Klarstellungen
Ist der vorgenannte Grundsatzentscheid gefällt, ist festzulegen, wer die Gesamtleitung konkret übernimmt.

Bei Möglichkeit 1
Übernimmt der gemäss Seite 1 der Vertragsmuster bezeichnete Beauftragte die Gesamtleitung als inte­gralen Bestandteil seiner Leistungen (Möglichkeit 1), sind zur Klarheit die entsprechende Unternehmung und die entsprechend verantwortliche (natürliche) Person zu bezeichnen. Denkbar ist – was in der Praxis ab und zu vorkommt – aber auch, dass ein Subplaner des Beauftragten mit der Gesamtleitung beauftragt wird. Ob dies sinnvoll ist, haben die Parteien im Einzelfall zu entscheiden.
So oder anders sieht die Möglichkeit 1 vor, dass die Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber für die korrekte Wahrnehmung der Gesamtleitung durch den Subplaner beim (Haupt-)Beauftragten bleibt. Macht der Auftraggeber gegenüber dem Hauptbeauftragten Ansprüche wegen Verletzung der Gesamtleitungspflichten geltend, haftet deshalb primär dieser und muss sich dann allenfalls gegenüber dem mit der Gesamtleitung beauftragten Subplaner regressweise schadlos halten.

Bei Möglichkeit 2
Soll der Beauftragte die Gesamtleitung nicht übernehmen (Möglichkeit 2), ist – um Klarheit zu schaffen - festzulegen, welche andere Unternehmung und welche andere (natürliche) Person diese bedeutungsvolle Aufgabe im Auftrag des Auftraggebers ausübt. Hat der Auftraggeber aber bezüglich der Gesamtleitung noch keine vertraglich verbindliche Vereinbarung mit einer anderen Unternehmung  oder einer andern (natürlichen) Person geschlossen, soll festgehalten werden, bis wann der Auftraggeber diese wichtige ­Frage verbindlich regeln wird.

Gleichzeitig festzulegen

Mit der Festlegung der Zuständigkeit für die Aufgabe der Gesamtleitung ist es aber nicht getan. Für die Wahrnehmung einer Aufgabe ist in der Regel eine entsprechende Kompetenz nötig, ansonsten kann die entsprechende Verantwortung gar nicht richtig wahrgenommen werden. Dabei geht es nicht nur (aber immerhin) um die finanziellen Kompetenzen, sondern auch um andere Kompetenzfragen.

Ein Blick in den umfangreichen Katalog der Gesamtleitungsaufgaben (etwa in Art. 3.4 der SIA-Ordnung 102 und Art. 4.2.2 der SIA-Ordnung 103) zeigt zum Beispiel, dass die Gesamtleitung auch «die Koordination aller Beteiligten» vorzunehmen hat. Welche Kompetenzen hat nun aber die Gesamtleitung, wenn ein anderer Planer/Bauleiter, der in direktem Vertragsverhältnis zum Auftraggeber steht, seine Aufgaben nicht richtig erfüllt? Die Gesamtleitung kann mangels Vertragsverhältnis mit diesem Planer/Bauleiter keine vertragsrechtlichen Massnahmen (Inverzugsetzung; Mängelanzeige; Honorarminderung; Auflösung des Vertragsverhältnisses; Erheben und Durchsetzen von Schadenersatzforderungen, Verrechnen von Schadenersatz mit Honorarforderung) treffen, wenn sie vom Auftraggeber dazu nicht bevollmächtigt worden ist.

In solchen Fällen bleibt der Gesamtleitung nichts anderes übrig, als sich an den Auftraggeber zu ­wenden und diesem die nötigen Massnahmen vorzuschlagen. Die ­Erfahrung zeigt aber, dass die Auftraggeber sich damit sehr schwer tun und stattdessen die «machtlose» Gesamtleitung in die Pflicht nehmen wollen. Eine oft schwierige Situation, die nicht selten auch noch dadurch erschwert wird, dass der Auftraggeber der Gesamtleitung die Einsicht in die Verträge mit den übrigen Planern/Bauleitern verwehrt. Wie soll die Gesamtleitung dann wissen, was sie von den übrigen Planern/Bauleitern an Leistungen in welcher Qualität und zu welchem Zeitpunkt abrufen kann?

Das Beispiel zeigt, dass nebst der Festlegung der Zuständigkeit für die Gesamtleitung deren einzelne Aufgaben besprochen und – soweit nötig – auch die Kompetenzen zur Gesamtleitung definiert werden sollten. Nur so erreicht man das im Grundsatz anzustrebende Ziel, dass Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung so weit wie möglich deckungsgleich sind und damit eine effiziente Gesamtleitung überhaupt gewährleistet werden kann. Die SIA-Vertrags­muster geben dazu keine Anleitung, weil die Verhältnisse in jedem Projekt anders zu regeln sind und weil eine Musterregelung den Rahmen des Mustervertrags bei Weitem sprengen würde. Es bleibt damit den Parteien überlassen, beispielsweise in einem Anhang zum Vertrag die Kompetenzen der Gesamtleitung detailliert zu regeln.

Schlussbemerkungen

Die eben beispielhaft geschilderte Situation mag damit zusammenhängen, dass insbesondere Auftraggeber die Funktion der «Gesamt­leitung» mit anderen Funktionen verwechseln. So werden in Planer-/Bauleitungsverträgen die Begriffe «Gesamtleitung», «Gesamtleistung» und «Generalplaner» oft beliebig ver­wendet, ohne dass sich die Parteien bewusst werden, dass «Gesamtleitung» unter Umständen nicht «Gesamtleistung» oder «Ge­neralplanung» bedeutet. Rechtlich können erhebliche Unterschiede ­bestehen.

Wer für die «Gesamtleistung» (man vergegenwärtige sich das «s» in diesem Wort) verant­wortlich ist, hat in aller Regel eben  die vertragliche Verpflichtung übernommen, im Sinn eines Generalplaners die Leistungen aller Fachrichtungen (oder doch eines grossen Teils derselben) zu erbringen. Dies erfolgt oft unter Beizug von Subplanern. Die «Gesamtleitung» hingegen bedeutet nicht ­zwingend, dass eine Gesamtleistung zu erbringen ist, sondern dass die Gesamtleitung die Fachdisziplinen zu koordinieren hat, ohne – wie oben beschrieben – mit den einzelnen Fachplanern in einem Ver­tragsverhältnis zu stehen.

Im Zusammenhang mit der Ge­samtleitung stellen sich weitere ­Fragen, auf die im vorliegenden ­Artikel nicht näher eingegangen werden kann (wie zum detaillierten Inhalt der in den SIA-Ordnungen generell ­umschriebenen Gesamt­leitungsaufgaben; zur Abgrenzung der Gesamtleitung zu anderen Leitungsfunktionen wie Oberbauleitung, Fachbauleitung, Bauleitung etc.; zur Frage der Vergütung und schliesslich zu den damit einher­gehenden Haftungsfragen).

Es ist zu hoffen, dass sich die Ver­­­tragsparteien vor dem ­Hintergrund des neuen SIA-Vertragstextes in der Praxis vermehrt mit diesen Aspekten der Gesamt­leitung (ebenfalls) auseinandersetzen ­werden.

Um sicherzustellen, dass das SIA-Normenwerk dem aktuellen Stand entspricht, sind Normen und Ordnungen periodisch, mindestens alle fünf Jahre, durch die verantwortlichen Kommissionen zu überprüfen. Die Ordnungen SIA 102 Leistungen und Honorare der Architektinnen und Architekten, 103 Leistungen und Honorare der Bauingenieurinnen und Bauingenieure, 105 Leistungen und Honorare der Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten und 108 Leistungen und Honorare der Ingenieurinnen und Ingenieure der Bereiche Gebäudetechnik, Maschinenbau und Elektrotechnik sowie die beiden Modelle SIA 111 Planung und Beratung und SIA 112 Bauplanung wurden 2014 publiziert. Aktuell setzen sich die verantwortlichen Kommissionen mit dem möglichen Revisionsbedarf auseinander. Dabei wird auch die Frage der Gesamtleitung eine Rolle spielen.


Daniela Ziswiler, Leiterin Fachbereich Ordnungen SIA


Weitere Infos: www.sia.ch/de/dienstleistungen/sia-norm/vertraege

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