Ar­beits­wel­ten neu den­ken

Die Sektion St. Gallen Appenzell lädt an die fünfte Fach­tagung ein. Hochkarätige Referenten beleuchten das Thema «Alles ist möglich:  ­Arbeiten und Forschen – Arbeitswelten neu denken». Barbara Holzer, eine der drei Referentinnen, beantwortet im Voraus ein paar Fragen.

Revision
07-03-2019

SIA: Frau Holzer, der Arbeitstitel Ihres Referats lautet «Alles ist Arbeiten». Der viel gelobte Ausgleich zwischen Leben und Arbeiten differenziert in Arbeiten und weitere Lebensbereiche – Sie unterscheiden hier offensichtlich nicht mehr.
Barbara Holzer: Gern möchte ich die These «Alles ist Arbeiten» als Titel meines Referats in die Runde werfen. Selbstverständlich muss das noch tiefer erläutert werden. In einem Interview prog­nostiziert der britisch-amerikanische Soziologe Richard Sennett, dass ein Drittel der heu­tigen Arbeitstätigen in Zukunft keine Arbeit mehr haben wird. Dies bedeutet eine grundlegende Veränderung für unsere Gesellschaftsform, in der die Definition der Existenz, die Überlebens­thematik und auch die Selbstdefinition über die Arbeit nicht mehr gegeben sein werden.

SIA: Inwieweit ist das Ihre persönliche Erfahrung? Oder entspricht das einem gesellschaftlichen Phänomen?
Barbara Holzer: In der weit verbreiteten Idee, Arbeit, Familie und Freizeit in eine Zeitstruktur zu unterteilen, stellt sich bereits heute die Frage, welches dieser Felder die indivi­duelle Verwirklichung des eigenen Lebensentwurfs bestmöglich zu erfüllen vermag. Eine klare Trennung dieser unterschiedlichen Lebensbereiche ist oft nicht mehr gegeben. Die Lebensbereiche verzahnen sich in unserem Alltag, wo keine Linearität gegeben ist. Es findet vielmehr eine Verästelung und Durchdringung aller ­Bereiche statt.

SIA: Die Fachtagung thematisiert bereits im Titel, dass Arbeitswelten neu gedacht werden – inwieweit müssen sich durch die Digitalisierung und neue Kommunikationsmittel die Arbeitsräume wandeln?
Barbara Holzer: Die Zugänglichkeit und der Zugriff auf alle Informationen und damit die grösstmögliche Un­abhängigkeit, wann und wo gearbeitet werden kann, ist eine riesige Befreiung, die bis heute nicht in der vollen Konsequenz wahrgenommen und in unser Leben ­integriert ist. Die Möglichkeiten, unabhängig von Ort und Zeit mit anderen verknüpft zu sein, um Gedanken und Ideen in jeder Form auszutauschen, ist eine unglaub­liche Erfindung und ermöglicht eine breite Vernetzung von unterschiedlichen Disziplinen und Wissen. Damit ist auch eine Verschiebung der architektonischen Interessen feststellbar.

SIA: Wo sehen Sie Fenster oder ­Visionen für zukünftige ­Entwicklungen?
Barbara Holzer: Die Möglichkeiten der Digitalisierung wurden anfänglich oft genutzt, um serielle Prozesse und additive Konzepte zu ent­wickeln, und lösten damit die verbreitete Idee der Autorenarchi­tektur ab. Heute wird die Digitalisierung bereits viel umfassender eingesetzt; Themen wie Nach­haltigkeit, Ökologie und Ökonomie fliessen in Planungsprozesse ein, Abläufe werden optimiert, um beispielsweise Zielen wie der Erstellung von bezahlbaren Wohnraum näher zu kommen. Die Digitalisierung erzeugt somit auch eine neue architektonische Ästhetik.

SIA: Können Sie uns beschreiben, wie Sie arbeiten?
Barbara Holzer: Unsere Arbeiten entwickeln wir mit unseren Partnern im deutschsprachigen Europa und betreiben Standorte in Zürich und Berlin. Zudem habe ich eine Professur an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf. Ich bin also viel unterwegs, und verschiedene Ort und Räume sind meine Realität. Und doch ist mir der direkte Austausch wichtig: Das Zu­sam­mensitzen am Tisch und das Erfahren von kollektiver Intelligenz und verdichteter Konzen­tra­tion unterstützen die dialogischen Prozesse unserer Arbeit. Es ist wunderbar, an unterschied­lichen Orten mit den verschiedensten ­Menschen und deren Fähig­keiten in ein gemeinsames Gefäss zu arbeiten und Neues entstehen zu lassen.

SIA: Und wie sehen Ihre ­Arbeitsräume aus?
Barbara Holzer: Ich habe meinen Wohn- und Arbeitsort in Zürich ­zusammengelegt und mir so die Möglichkeit geschaffen, unterschiedliche Räume in kürzester Zeit aufzusuchen. In unserem Büro arbeiten wir einerseits in einem klassischen Grossraumbüro mit vielen Leuten, gefüllt mit Plänen und Modellen, Ideen und vibrierender Atmosphäre. Andererseits steht uns ein ca. 300 Quadratmeter grosser unterirdischer Raum zur Ver­fügung – unser Atelier, in dem Leere, Konzentration und stille Fokussierung möglich sind. Ich selbst kann mich auch in meine privaten Räume in dem minimalistischen Neubau auf der anderen Seite des Hofs zurückziehen und in meiner eigenen Welt Teile meiner Arbeit weiterentwickeln.

SIA: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Sur ce sujet