SIA-Mas­ter­preis Ar­chi­tek­tur 2017: «Die wilde 13»

Projekt von Rebecca Konnertz

Masterarbeit ETH Zürich | Professur Andrea Deplazes

Date de publication
24-05-2018
Revision
24-05-2018

Die Parzelle am Ostausgang des Bahnhofs Oerlikon ist geprägt durch ein hohes Verkehrsaufkommen und den ständigen Lärm der anliegenden Gleise. Zielsetzung war es, einen neuen, dichten Stadtbaustein mit Ankunftssituation zu schaffen, der den Fussgänger empfängt und verlangsamt und ein neues Wohnquartier ermöglicht. Die jetzige Situation ist ein unwirtlicher Verkehrsplatz, ein reiner Durchgangsort für Pendler und Reisende.

Als Gegensatz zu den grossmassstäblichen Strassenräumen und Freiflächen Oerlikons ist ein mäanderndes Gassennetzwerk in die Parzelle eingeschnitten. Basierend auf diesem Mikronetzwerk des Fussgängers werden die Strassenräume gefasst. Den Rahmen bilden 13 polygonale Büro- und Wohn- und Erschliessungstürme. Sie schrauben sich in die Höhe und verbinden sich ab 25 m mit Brücken zu einer vertikalen Stadt, einer neuen Ebene der Öffentlichkeit mit Blick über Oerlikon. Die kristalline Struktur der polygonalen Türme wird verstärkt durch die strukturierte gläserne Erscheinung ihrer Fassade. 

Die dichte Gasse als ein Motiv der historischen, über Jahrhunderte gewachsenen Städte schafft soziale Reibung und Interaktion und wirkt so einer Anonymität des hohen Wohnens entgegen. Auch ermöglicht sie akustisch differenzierte Wohngrundrisse: Während sich ruhigere Funktionen wie Schlafräume zur Gasse hin ausrichten, orientiert sich das Wohnen zur Strasse hin.

Im Erdgeschoss mit seinen doppelstöckigen Gewerbeflächen wird die fünf bis sechs Meter breite Gasse durch die eingestülpten Zugänge zu den Wohnungen und Büroflächen belebt. Dort, auf Strassenniveau, brechen kleine Gebäude wie ein zentraler Kiosk, ein Brunnen oder ein gezielt gesetzter Baum mit dem Massstab der Hochhäuser und unterstreichen die Schlankheit der Türme.

Drei Erschliessungstürme in den Ecken der Parzelle leiten die Öffentlichkeit in die Höhe. Alle Dächer sind durch Nutzungen aktiviert: Der Kindergarten besitzt einen Spielplatz auf dem Dach, eine Piazza lädt die Besucher im 19. Stockwerk zum Verweilen ein. Auf diesem Geschoss sind die Einzelvolumina durch Brücken verbunden und bieten als öffentliche Achse Zugang zu den darüber und darunter angeordneten Nutzungen der Stadt wie zum Beispiel einer Bibliothek, einer Sprachschule, einem Sportclub und mehreren Gastronomieangeboten. Über sein Nachbargebäude wird der mit 105 m höchste Turm der Gruppe erschlossen, auf ihm thront ein offenes elisabethanisches Theater, gleichsam als Stadtkrone.

Aufgrund ihrer kleinen Grundfläche von maximal 350 m² kommen die Türme mit nur einem Fluchttreppenhaus und einem Feuerwehrlift aus. In der Logik des sich von der Gasse zur Strasse spannenden Wohnraums ergeben sich zwei- oder dreispännige Erschliessungen. Die offene Küche liegt zur Gassenfassade, ein gläserner Erker ermöglicht einen weiten Blick längs der Fassaden und trägt zur Interaktion und Belebung des Gassenraums bei.

Die Strassenfassaden weisen eine doppelte Fassadenschicht auf: Kastenfenster schaffen eine klimatische und akustische Zwischenzone, die sich im Wohnraum zu einem Wintergarten weitet. Glasbausteine bilden in den Gassen die geschlossenen Fassadenelemente für mehr indirektes Licht und schützen gegen Einblicke des Gegenübers.

Das Entree der Wohnungen im Kern wird in den öffentlichen Geschossen für zusätzliche Lifte verwendet. Über der öffentlichen Ebene gelegene Wohnungen ermöglichen jenseits der Enge der Gasse eine neue, freiere Disposition des polygonalen Grundrisses und eine vierspännige Erschliessung. Die Dachwohnungen sind somit kleiner und jeweils auf eine Ecke des Gebäudes orientiert. Eine Eckloggia mit Kamin formt den umliegenden Wohnraum.

Die vorfabrizierte Elementfassade aus gedämmten Stahlelementen ist schnell montierbar. Ein Kastenfensterelement vereinigt neben dem Sonnenschutz die innen liegende Isolationsverglasung und die aussen liegende hinterlüftete Verglasung zu Akustikzwecken. Eine Brüstung aus Glasbausteinen dient als Brandüberschlag. In den öffentlichen Geschossen wird das klassische, selbst regulierbare Kastenfenster der Wohngeschosse mit einer Festverglasung zu einer Doppelfassade mit kontrollierter Lüftung.


SIA-Masterpreis Architektur

Der SIA-Masterpreis Architektur, den der SIA seit den 1960er-Jahren jährlich verleiht, zeichnet Abschlussarbeiten der drei universitären Hochschulen Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Ecole polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) und der Accademia di architettura di Mendrisio (AAM)  aus. 80 bis 130 Masterprojekte werden pro Prüfungssession eingereicht. An der ETH finden jedes Jahr zwei Sessionen statt, an EPFL und AAM eine. Für jede Schule gibt es eine Jury aus sechs Architektinnen und Architekten: dem Präsidenten des Fachvereins Architektur und Kultur (A & K) sowie je einem Vertreter/einer Vertreterin des A & K aus den drei Sprachregionen, der Berufsgruppe Architektur (BGA) und der SIA-Sektion des Kantons der Hochschule, also Waadt, Zürich oder Tessin.

Die prämierten Projekte des SIA-Masterpreis Architektur 2017 finden Sie hier. Die Masterarbeiten der Auslobung 2016 gibts im gleichnamigen E-Dossier.

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