«Wir soll­ten über neue Zus­chlag­skri­te­rien na­ch­den­ken»

Vergaberecht

Wie der in Freiburg lehrende Jurist und Vergaberechts-Experte Martin Beyeler die Schweizer Vergabepraxis und ihr Vergaberecht einschätzt.

Date de publication
24-01-2018
Revision
24-01-2018

SIA: Herr Beyeler, brauchen wir eine staatliche Regu­lierung der öffentlichen Vergaben?
Martin Beyeler: Die Schweiz hat sich in verschiedenen Staatsverträgen zu dieser Regulierung und insbesondere zur internationalen Markt­öffnung verpflichtet. Insoweit besteht eine Pflicht zur Regulierung. Abgesehen davon ist es eine politische Frage, welche Gegenstände man regulieren und welche man sich selbst überlassen will. Allerdings verpflichtet die Bundesverfassung alle staatlichen Stellen zur Wettbewerbsneutralität.

Was heisst das? Das öffentliche Beschaffungswesen muss so organisiert werden, dass es den Wettbewerb nicht verzerrt. Mit den Vergaberechtsregeln wird das sichergestellt. Ebenso sollen diese Regeln für eine grösstmög­liche Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen sorgen. Und nicht zuletzt hat das Vergaberecht auch die Aufgabe, eine effiziente Verwendung der öffent­lichen Mittel sicherzustellen.

SIA: Der SIA kritisiert den Preiswett­bewerb und setzt sich für den Qualitätswettbewerb ein: Lohnt sich das Engagement?
Martin Beyeler: Nach dem Gesetz müssen bei der Vergabe grundsätzlich sowohl der Preis als auch die Qualität berücksichtigt werden. In der Praxis lässt sich aber feststellen, dass der Preis in vielen Fällen ein faktisches Übergewicht hat, indem er trotz Existenz von Qualitätskriterien bei der Vergabe den Ausschlag gibt. Das hat verschiedene Ursachen. Eine davon ist gewiss der auf den staatlichen Stellen lastende Spardruck. Zudem scheint es mir, dass zu oft Zuschlagskriterien verwendet werden, unter denen die Angebote alle ungefähr gleich abschneiden. Wir sollten über neue Zuschlagskriterien nachdenken, die eine greifbare ­Messung von vorhandenen Qualitätsunterschieden erlauben. Schliesslich ist die Messung von Qualität und die entsprechende Begründung stets eine höchst anspruchsvolle Auf­gabe; und mitunter ist es einfach kaum möglich, die Qualität ­objektiv zu prognostizieren.

SIA: Wie lässt sich Qualität plausibel und greifbar messen?
Martin Beyeler: Seitdem das Vergaberecht existiert, ist das die zentrale Diskussion. Da gibt es nicht «die Lösung», aber auf griffigere Qualitätskriterien müssen wir hinwirken. Eine unter Umständen sehr gute Methode ist aus meiner Sicht das Kriterium «Zugang zur Aufgabe», unter dem gewisse Testarbeiten erledigt und von der Vergabestelle dann bezüglich qualitativer Aspekte bewertet werden. Auch kann es sinnvoll sein, Referenzprojekte der An­bieterinnen und Anbieter einer materiellen Qualitätsbewertung zu unterziehen.

SIA: Dürfen öffentliche Bauherr­schaften Studienaufträge ­durchführen?
Martin Beyeler: Es gibt einen die Bundes­ebene betreffenden Gerichtsentscheid aus dem Jahr 2005, in dem erklärt wurde, der Studienauftrag sei gesetzlich nicht vorgesehen und daher nicht erlaubt. Die Unsicherheit kommt von daher. Nichtsdestoweniger haben ­Kan­tone und Gemeinden in den ­vergangenen Jahren zahlreiche Studienaufträge durchgeführt. Inzwischen hat sich, auch dank eines wegweisenden Entscheids des Freiburger Kantonsgerichts, eine neue Rechtsauffassung durchgesetzt: Ihr zufolge wird der Studienauftrag als Form des Projektwettbewerbs betrachtet, der die freihändige Vergabe eines Folgeauftrags erlaubt. Entscheidend für diese rechtliche Möglichkeit ist nach der neuen Auffassung nicht die Anonymität des Wett­bewerbsverfahrens, sondern die Unabhängigkeit der Jury von der Bauherrschaft. Diese Zulässigkeit ist inzwischen in verschiedenen kantonalen Erlassen festgeschrieben. Nach der jetzt laufenden Revision wird die Zulässigkeit des Studienauftrags voraussichtlich überall explizit anerkannt sein.

SIA: Besteht ein Unterschied zwischen dem vergaberechtlichen Dialog und dem Studienauftrag?
Martin Beyeler: Ja, es handelt sich um zwei verschiedene Verfahren. Beiden ist gemein, dass zu Beginn die öffentliche Auftraggeberin die Leistungen, derer sie bedarf, nicht umschreiben kann. Ebenso finden in beiden Verfahren Interaktionen zwischen der Auftraggeberin und den Kandidaten statt, in deren Verlauf die zu beschaffende Leistung nach und nach definiert wird.

Damit enden aber die Gemeinsamkeiten. Beim vergaberechtlichen Dialog geht es darum, gemeinsam mit den Anbieterinnen die zu erbringende Leistung zu definieren. Beim Studienauftrag geht es primär darum, mit Plane­rinnen und Planern das künftige Bauwerk zu definieren, und ­höchs­tens sekundär um eine Bestimmung der durch die Planer zu erbringenden Folgeleistungen. Insoweit ist der vergaberechtliche Dialog ein gewöhnliches Submissions­verfahren; denn an seinem Ende werden die Anbieterinnen zur Einreichung von Offerten für die Folgeleistungen eingeladen. Diese werden unter Wettbewerbsbedingungen nach gewöhnlichen Preis- und ­Qualitätskriterien bewertet.

Der ­Studienauftrag dagegen steht dem Projektwettbewerb nah, nur ist er nicht anonym. Hier entscheidet ein Preisgericht, welches die beste der gefundenen Lösungen ist. Daraufhin werden die Folgeleistungen direkt und allein mit dem durch das Preisgericht bestimmten Sieger frei­händig verhandelt und vergeben.

SIA: Was halten Sie von der Zwei-­Couvert-Methode?
Martin Beyeler: Mit «Zwei-Couvert-Methode» werden verschiedene Verfahren bezeichnet. Ich äussere mich zu zwei Ausprägungen; in beiden geht es zunächst darum, dass die Anbieterinnen ihr Leistungsangebot getrennt vom Preisangebot einreichen. Der Unterschied liegt im weiteren Vorgehen. Es gibt zum einen die Variante, in der die Vergabestelle zunächst die Leistungsangebote (1. Couvert) abschliessend bewertet und erst danach die Preisangebote (2. Couvert) zur Kenntnis nimmt, um auch diese zu bewerten.

Dieses Verfahren zielt also darauf, den Kopf vom Aspekt des Preises frei zu halten, solange die Qualität bewertet wird. Das finde ich sinnvoll, und es ist rechtskonform. Zum anderen gibt es das in Art. 15.4 der SIA-Ordnung 144 indirekt beschriebene Verfahren, bei dem nach der Bewertung der Qualität (1. Couvert) alle Angebote vom Verfahren ausgeschlossen werden, die nicht einen der vordersten Ränge erreichen, sodass nur die Angebote mit der besten Qualität in die Endausmarchung für den Zuschlag gelangen, in der nun auch der Preis (2. Couvert) berücksichtigt wird. Dieses zweite Verfahren halte ich für gesetzeswidrig, weil eine nicht optimale Qualität keinen rechtmässigen Ausschlussgrund darstellt. Ausserdem glaube ich nicht, dass sich mit diesem Verfahren das Preis­niveau allgemein anheben lässt.

SIA: Das Schweizer Recht spricht vom wirtschaftlich günstigsten An­gebot, das WTO-Übereinkommen von «most advantageous». Versteckt sich hinter dem Wording Unterschiedliches?
Martin Beyeler: Es trifft zu, dass das WTO-Beschaffungsübereinkommen von 2012 seinem Text nach wohl dahin ausgelegt werden kann, dass der Preis nicht zwingend als Zuschlagskriterium gewählt werden muss. Zumindest ist feststellbar, dass der neue Ab­kommenstext dem Preis ­weniger Bedeutung zumisst als der­jenige von 1994.

Aus Sicht des WTO-Rechts geht es nicht primär um den Preis, sondern um objektive und nicht-diskriminierende Kriterien. Allerdings verbietet es das Abkommen den Signatar­staaten keineswegs, in ihren Gesetzen den Preis als zwingendes Zuschlagskriterium vorzusehen. So betont etwa die neue europä­ische Vergabericht­linie, dass der Preis bzw. die Kostenfrage nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben darf. Sie sieht jedoch vielfältige Möglichkeiten zur Durchbrechung der klassischen Mechanismen vor, insbesondere eine Bewertung nach Lebenszykluskosten, gegebenenfalls inklusive Internalisierung externer Kosten.

Die Schweiz könnte aus Sicht des internationalen Rechts in bestimmten Fällen auf den Einsatz des Preiskriteriums verzichten. Es ist Sache unserer Parlamente, zu bestimmen, ob und, falls ja, in welchen Situationen auf das Preiskriterium verzichtet und wie in diesem Fall die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung sicher­gestellt werden soll.
 

Sur ce sujet