«Um­sich­tig»: Über­da­chung der Rui­nen von Saint-Mau­rice

Umsicht – Regards – Sguardi 2013

Am 22. März verleiht der SIA die Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2017». Bis dahin präsentiert espazium.ch wöchentlich einen Gewinner der vorigen Auslobung. Diese Woche: die Überdachung der Ruinen von Saint-Maurice.

Date de publication
01-03-2017
Revision
01-03-2017

Vor 1500 Jahren als Stätte der Märtyrerverehrung entstanden, blickt die Abtei Saint-Maurice auf eine reiche Geschichte zurück. Einst spirituelles Zentrum des burgundischen Reichs, beherbergt die am Fuss einer eindrücklichen Felswand gelegene Abtei heute einen der wertvollsten Kirchenschätze Europas. Verschiedene Grabungen in den 1990er-Jahren und in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts haben am Felsfuss weitere Bauten ans Tageslicht gebracht. Sie zeugen davon, dass die Strahlkraft des Orts und der Entwicklungsstand der Kultstätte wohl noch viel bedeutender war als bisher angenommen.

Seit Jahrhunderten aber waren Kirchturm, Abteikirche und Klostergebäude dem Steinschlag ausgesetzt und dabei mehrere Male auch beschädigt worden. Wohl gelang es in den letzten Jahren mit geotechnischen Sicherungen, grössere Steine bereits weiter oben aufzufangen. Der Plan aber, die aussergewöhnlichen Relikte und die Ergebnisse der Forschung sowie die gemachten Entdeckungen zu präsentieren und im Hofbereich zwischen Klostergebäude, Abteikirche und Felsen öffentlich zugänglich zu machen, schien angesichts weiterhin fallender kleinerer Steine zu riskant. Zunächst galt es, die kostbaren Zeugen der Vergangenheit vor Witterungseinflüssen zu schützen.

Architekten, Ingenieure, Archäologen, Museologen und Denkmalpfleger haben gemeinsam, sensibel und mit geometrischer Präzision reagiert. Heute bietet eine neue halbtransparente Überdachung des Hofbereichs im Herzen der alten Abtei den archäologischen Ausgrabungen und ihren Besuchern nachhaltigen Schutz. Eine Abspannung und Aufhängung im Fels oberhalb der Abtei lässt die mit Steinen belegte 170 Tonnen schwere Schutzdecke schwebend erscheinen. Die Berührungspunkte mit den bestehenden, denkmalgeschützten Gebäuden konnten so minimiert werden. Die Steine auf dem Decke sorgen für das erforderliche Gegengewicht bei Windbelastung. Gleichzeitig ermöglichen sie ein sinnliches Licht- und Schattenspiel und gewährleisten eine harmonische Einbindung des Schutzbaus in die Umgebung. Neue Bezüge werden sichtbar. Die reiche Geschichte der Abtei, ihre kulturellen Bedeutung, aber eben auch ihre durch die spezifische Topografie bedingte Gefährdung: All dies macht das neue Schutzdach in leicht diffusem Licht in ruhiger Atmosphäre auf poetische Weise erfahrbar. 

Beim Bau des Schutzdachs wurden ökologische Aspekte respektvoll berücksichtigt. Dank der Verwendung von Steinmaterial aus einem benachbarten Steinbruch und der Zusammenarbeit mit überwiegend regionalen Handwerksbetrieben konnte der Transportaufwand während der Bauzeit minimiert werden. Die punktuelle Verankerung des Dachs im Felsen minimiert die Auswirkungen auf den sensiblen Naturraum des Felsens. 

Zukunftsfähigkeit ist auch ökonomisch gewährleistet. Der vor allem als Transitraum genutzte Talzugang zum Unterwallis erhält einen neuen touristischen Anziehungspunkt, der weit über die Region hinaus strahlt. Die Besichtigungen der Ausgrabungen bescheren der Abtei zusätzliche Einnahmen für den Unterhalt der historischen Gebäude. Die Überdachung selbst ist weitgehend wartungsfrei. 

Die Überdachung von Saint-Maurice, ein mutiger baulicher Eingriff, stellt eine unverwechselbare, minimalistische, rundum gelungene und umsichtige Aufwertung eines historischen Bauensembles und dessen Genius loci dar und leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit des Lebensraums Schweiz. (Text: Michael Mathis) 

Mit «Umsicht – Regards – Sguardi» zeichnet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA «umsichtig» ausgeführte Werke, Produkte und Instrumente unterschiedlicher Art und Grössenordnung aus, die sich exemplarisch mit unserer Umwelt auseinandersetzen und in besonderer Weise zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes Schweiz beitragen. Die Preisverleihung findet am 22. März 2017 im Landesmuseum Zürich statt. Weitere Infos: www.sia.ch/umsicht

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