Ab jetzt je­den Tag Science-Fic­tion

SIA Firmen-Diner 2016 in Rüschlikon

Nicht nur die Zyklen der Technologieentwicklung werden immer kürzer, auch das Aufgabenprofil des SIA und seiner Mitglieder wandelt sich rasant – Zukunftsszenarien stimulierten den Austausch am Firmen-Diner des SIA.

Date de publication
23-06-2016
Revision
23-06-2016

Es gibt den Diner-Anlass noch nicht lang, und doch ist er schon vertraut wie eine gute Tradition: Einmal im Jahr lädt der SIA Führungskräfte der grössten unter den SIA-Firmenmitgliedern zu einem Themenvortrag mit anschliessendem Abendessen ein. Dahinter steht einerseits der Wunsch, Danke zu sagen für den etwas grösseren Beitrag, den Firmenmitglieder zur Arbeit des Vereins leisten, zum anderen aber ­auch in den Dialog zu treten mit den Entscheidern der grossen Ingenieur- und Architekturbüros und etwas von den Themen zu hören, die sie aktuell bewegen. Dafür erwie­sen sich die Räume des Gottlieb-Duttweiler-Instituts oberhalb von Rüsch­likon am Zürichsee einmal mehr als ideale Kulisse. 

Totale Vernetzung und künstliche Intelligenz

Höhepunkt des Abends war ein einstündiger, faszinierender und faktengesättigter Vortrag von Gerd ­Leonhard, Leiter der «Futures Agency», der für sich die Berufsbezeichnung Futurist gewählt hat. Leonhard kann also gut erklären, was in Zukunft wichtig sein wird und wohin sich die Akzente verschieben. iese Zukunft wird seiner Meinung nach schon in fünf Jahren Wirklichkeit, und der Zukunftsforscher fasste sie in die Stichworte «Big Data, totale Vernetzung, künstliche Intelligenz und digitale Transformation». In ­Leonhards Vortrag kamen dementsprechend viele Roboter, selbst fahrende Autos und kollektiv genutzte Infrastrukturen vor.

Auch «Bots», die neuen, digi­ta­­len persönlichen Assistenten von Google, Tischge­räte, die für ihre ­Besitzer «everyday tasks», z. B. die automatische Buchung von Flügen, Terminvereinbarungen oder das Versenden von E-Mails, auf mündliche Anweisungen hin erle­digen, thematisierte Leonhard. Zukunft ­hat aber auch das «gute alte» Smartphone, das seine Karriere einmal als mobiles Telefon startete und von Tag zu Tag mehr unser Schlüssel zur Welt wird: «Es ist künftig nur noch das Gateway zur Cloud, wo alle Daten liegen», prophezeite Leonhard. Und er hielt fest: «Daten sind das neue Öl.» Auch deshalb kenne uns Google inzwischen schon besser als unser Partner.

Gedanklicher Ausgangspunkt von Leonhards Ausführungen war jedoch etwas Altes, nämlich die mathematische Exponentialfunk­tion, die schon seit Platons Zeit bekannt ist. Eben sie erklärt für Leonhard, weshalb die Zukunft immer schneller näher rückt: Ihre Kurve steigt aus der Horizontalen zunächst sachte an, um ab einem bestimmten Punkt steil nach oben zu führen. 

«Wir sind am Take-off-Point»

Medizinischer Fortschritt und gesündere Lebensbedingungen lassen unsere Vitalität steigen und den Altersdurchschnitt emporschnellen: Viele Kinder von heute, sagt Leonhard, «können durchaus 110 werden». Auch die Datennutzung wachse ab jetzt exponentiell an. Und das Jahr 2016 ist ein Punkt knapp un­terhalb der steil nach oben weisenden Kurve der Exponentialfunktion. «Von jetzt an geht es rasant, wir sind am Take-off-Point. Lauter Dinge, die gestern Science-Fiction waren, können morgen im Laden stehen», erklärte Leonhard dem so gebannt wie gespannt lauschenden Publikum.

Leonhard holte aber jene unter den Gästen des SIA, die schon etwas verunsichert die Stirn runzelten, wieder zurück auf den Boden mit dem Resümee: «Wir Menschen sind nicht exponentiell, der Mensch ist das genaue Gegenteil der Technologieentwicklung.» Und so ist es vielleicht der Mensch selbst, der die kommende Entwicklungsdynamik etwas kanalisieren muss, will er nicht ihr Gefangener werden.

Dahinter steckt die Frage, was Politik, Wissenschaft und auch die Disziplinen der Planung tun können, damit die Weichen für die Zukunft richtig gestellt werden und die rasante Entwicklungsdynamik eine positive Richtung bekommt.

Von Veränderung zum Wandel

SIA-Präsident Stefan Cadosch und Geschäftsführer Hans-Georg Bächtold hatten schon in ihren ­Begrüssungsworten die Brücke zu den Herausforderungen der Gegenwart geschlagen. Stefan Cadosch zitierte dabei den Deutschen Mat­thias Horx, wie Leonhard Inhaber eines Zukunftsforschungsinstituts. Die Kunst, so Horx, bestehe darin, «von Veränderung zum Wandel zu finden» – denn Wandel bedeute, die Veränderungen weitestmöglich aktiv mitzugestalten – im Sinn einer zukunftsfähigen, im umfassenden Verständnis ökologischen Entwicklung.

Das war das Stichwort für Hans-Georg Bächtold, der den Gästen die aktuellen Aktivitäten und (berufs)politischen Engagements des SIA präsentierte – neben Parlamentarieranlässen zur Baukultur und zur Energiepolitik vor allem das Zukunftsprojekt «Die Schweiz 2050», für das der SIA die Initiative ange­stossen hat. Mithilfe von Forschungsteams der ETH Zürich und des ETH-Studios Basel analysiert der SIA die infrastrukturellen und planerischen Voraussetzungen für eine lebenswerte Schweiz im Jahr 2050: Es geht um Lebensqualität trotz Entwicklungsdruck und Bevölkerungsexplosion, um eine nachhal­tige Gestaltung der Landschaft ­­und des gebauten Lebensraums, um ­effiziente Energieversorgung und Mobilität.

Um diesen Zukunftsaufgaben gewachsen zu sein, wird der SIA auch weiterhin fachliche Partnerschaften und Allianzen mit Wissenschaft und Politik, aber auch mit Akteuren der Wirtschaft suchen, beispielweise mit der Interessengemeinschaft ­Privater Professioneller Bauherren (IPB), die Raymond Rüttimann, Leiter Entwicklung & Konstruktion bei der Credit Suisse, den SIA-Gästen vorstellte. Bei den 34 Mitgliedern des IPB handelt es sich um die grössten privaten Bauherren der Schweiz – die SBB, die Post, Banken, die Basler Pharmakonzerne und ­andere mehr.

Rüttimann hob den Wert des mit dem SIA und weite­ren Partnern ins Leben gerufenen «Netzwerks Digital» als erstes grosses gemeinsames Projekt hervor. ­«Ich bin überzeugt, dass wir noch ­mehr gemeinsame Themen haben», schloss er seine Präsentation. Zahlreiche anregende Themen bot der weitere Verlauf des Abends in der Tat, denn an den Tischen und auf der Terrasse des GDI mit weitem Blick über den Zürichsee versiegten die Gespräche keinen Moment.

Ob Umweltplaner, Bauingenieure und Architektin, Romands oder Tessiner, die Regionen und Disziplinen waren offenbar so glücklich auf die Tafeln verteilt, dass sich niemand in die üblichen Fachsimpeleien unter Berufskollegen flüchten konnte. Für mich wie auch für andere Kollegen aus der SIA-Geschäftsstelle war der direkte Dialog mit den Mitgliedern einmal mehr informativ und bereichernd.

Magazine

Sur ce sujet