„Flu­id Thin­king“ – als Be­frei­ung zu Re­si­li­enz und Kli­ma­ge­rech­ter Ge­wäs­ser­ge­stalt

Bäche, Flüsse, Gewässer haben auf uns Menschen eine besondere Wirkung und Faszination, der Umgang und deren Nutzung spiegeln unsere Wahrnehmungen, unser Wissen und unsere Vorstellungen – kurz unser Denken. Doch entspricht dieses Denken den lebensfördernden regenerativen Eigenschaften, der Dynamik, Resilienz und Multifunktionalität des Wassers oder eher einer mechanisch geprägten simplen monokausalen Vorstellungswelt? So wie Forscher, Planer, Investoren, politische Entscheidungsträger und letztlich die Gesellschaft Wasser denkt, so verändern, gestalten und erbauen Menschen ihre Gewässer.

Dies ist nicht nur heute der Fall angefangen mit den vielen komplexen Systemen der sogenannten Gewässerregulierungen und Umbauten zur Energiegewinnung und Wildwasserbändigung bis hin zur Gewässerrenaturierung und Biotopvernetzung; sie alle spiegeln das jeweilige Denken ihrer Zeit. Bereits seit Urzeiten wurden Flüsse und Gewässer von Menschen genutzt, es waren die Entwicklungswege für Besiedelung, Ortsgründungen, für Kommunikation und Austausch von Gütern und Wissen, für die Energiegewinnung und vieles mehr. Sie waren die Hauptschlagadern der menschlichen Kulturen. Heute sind uns die Zusammenhänge und Triebfedern, die Gewässer für unsere Zivilisationsformen und Kulturräume bedeuten, die auch in der Schweiz prägend waren und die Weltmeere (Nordsee, Mittelmeer, Schwarzes Meer) und die dazugehörigen Weltregionen verbunden haben, kaum noch in ihrer Bedeutung im Bewusstsein.

Viele von uns sehen, wenn sie an einen Fluss kommen, allein die glitzernde Oberfläche, vielleicht die Spiegelungen als Spiel der Wellen und die Ausgestaltung der beidseitig einfassenden Ufer. Das Augenmerk ist zumeist begrenzt auf ein sich bewegendes zweidimensionales Band. Es ist selten ablesbar woher das Wassers, das hier sichtbar ist, seine Herkunft und sein Einzugsgebiet hat, geschweige denn, was in seinem Wasserkörper lebt und vor sich geht. Denn lange Zeit waren Bäche und Gewässer eher störend in Stadt und Ortschaft. Sie wurden vergraben und zugeschüttet, in Kanäle und Leitungen gequetscht und mit Abwasser (Vorflut) aus Misch- oder Trennkanalisation belastet.

Doch in den letzten Jahrzehnten entwickelte sich ein wachsendes Umdenken und viele Pioniere haben manchem Fluss und manchem Gewässer ein neues Gesicht gegeben. Ich hatte das Glück mit solchen Menschen zu arbeiten auch hier in der Schweiz, beispielsweise mit Helgard Zeh von der ingenieurbiologischen Vereinigung der Schweiz, die naturnahen Gewässerausbau entscheidend voranbrachte.

Mittlerweile haben wir gelernt, Flüsse und Gewässer größer zu denken und das gesamte Einzugsgebiet, das auch durchaus in einem urbanen Gebiet liegen kann, zu berücksichtigen. Einzugsgebiete sind Waldflächen, landwirtschaftliche Flächen und eben auch Siedlungsbereiche sowie die vielfältigen Flächen der Infrastruktur unserer Mobilität (Verkehrsflächen). Das Gewässer ist also wie ein Netz zu denken, das sensibel auf die Witterungsgeschehen reagiert und Niederschläge aufnimmt und wieder abgibt; den grössten Teil davon als Verdunstung. Nur ein Teil davon wird abflusswirksam und speist zeitverzögert die Gewässer. Die Vorstellung eines atmenden Systems mit Speicherschwämmen, die Wasser verzögert abgeben und gleichzeitig filtern und reinigen, ist hier wohl am zielführendsten.

Einige meiner sehr frühen Projekten, die heute wohl mit der Mode-Bezeichnung «Schwammstadt» tituliert würden, waren Projekte wie in Echallens, Murten und Bern-Ittigen. Der Begriff «Schwammstadt» kam von Asien wieder zurück nach Europa, aber diese Bewegung hatte ihren Ursprung eigentlich in der Schweiz. Ich erinnere mich an die frühen GEP Entwicklungen, der «Generellen Entwässerung Planung» der Schweiz in den frühen 1980iger Jahren. Damals durfte ich eine Schweizer Delegation der GEP mehrtägig durch die Schweiz führen, um unsere frühen Pilotprojekte zu besichtigen und zu erklären. Damals waren die Themen der Regenwasserbewirtschaftung im Gebiet mit einer dezentralen lokalen naturnahen Reinigung, dezentraler Retention und wo immer möglich mit lokaler Versickerung vor Ort ein völlig neuer Gedankenansatz. Meine Intention, viel mehr mein Verständnis von Wasser war, Regenwasser nicht als Abwasser zu sehen, sondern als eine wertvolle Ressource zu begreifen. Das realisierte ich bereits in diesen frühen Beispielen. Schließlich wurden das die Kernpunkte der GEP und dieses neue Verständnis setzten sich auch im Ausland immer mehr durch.

Mittlerweile sind nicht nur die ingenieurbiologischen Ausbaumethoden von Gewässern, von Bächen und Flussläufen «Mainstream», sondern auch der Umgang mit Meteorwasser, Niederschlagswasser, das Regenwassermanagement und die Schwammstadt-Philosophie in der Siedlungswasserwirtschaft haben sich durchgesetzt. Dies ist auf jeden Fall positiv und muss vielfach verstärkt werden. Allerdings ist damit nicht automatisch Multifunktionalität und damit auch eine Wertsteigerung für unsere Städte und Siedlungen erreicht. Planer arbeiten heute oft nach einem gewissen Automatismus nach festgelegten Regeln, Normen und Prinzipien, die erst vor relativ kurzer Zeit festgelegt wurden und nun beinahe dogmatisch gepredigt und wiedergekaut werden. Wird das dem Wasser in seiner lebendigen Kreativität und Dynamik, die uns Gewässer in ihrem natürlichen Status zeigen, gerecht? Hier ist die entscheidende Frage: Was brauchen wir über ein hydraulisch ingenieurmäßiges Verständnis hinaus, um Fließgewässer wirklich zu verstehen?

Wenn ich an naturnahe Bäche und Flüsse komme, denke ich unwillkürlich in den Bewegungen des Flusses und begebe mich gedanklich unmittelbar in das Gewässer hinein; in seine Hauptströmung, aber auch in seine zahlreichen Sekundärströmungen, die dem Flusskörper allenfalls an der Oberfläche und der Umgestaltung des Gewässerbettes abzulesen sind. Es gibt viele Menschen, die diese Fähigkeit bereits haben und die vordenken können, wohin sich der Fluss bewegen wird. Wo finden Erosion und wo die Ablagerungen statt? Wo wird der Fluss zum «Räuber» des Landes und wo spuckt er das Substrat wieder aus?

Natürlich lassen sich Wasserströmungen heute numerisch berechnen und mathematisch vorhersagen. Mithilfe unserer Computertechnologien wie numerischer Strömungssimulationen können wir dreidimensional komplexe Konfigurationen in der Strömung vorausberechnen. Doch für ein gutes Design reicht das noch lange nicht. Die Gestaltung lebendiger Orte und naturangepasster Systeme ist ein kreativer und sogar künstlerischer Prozess, den ich am ehesten mit dem Erlernen und dem Erfahrungsschatz von Kindern am Wasser vergleichen kann. Es kommen mir Bilder in den Sinn, die mich an meine Kindheit erinnern – die vielen Erfahrungen an kleinen Flussläufen beim Spielen, zum Hineinträumen und herumtollen in den Gebirgsbächen und Flüssen. Das waren Lernerfahrungen einer unbeschwerten Zeit voller Freude und Lebenskraft und wir haben uns jeden Morgen auf die neue Begegnung mit den lebendigen Wasserwelten gefreut.

Auch später mit meinen eigenen Kindern konnte ich diese Unmittelbarkeit eines tief inspirierten Seins von Lebendigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit entdecken. Stundenlang haben wir in den Gebirgsbächen im Tessin den Seitentälern des Maggia-Tales gespielt und jeden Tag etwas anders entdeckt. Der kleine Fluss hatte seine eigenen Impulse denen wir uns unterzuordnen hatten. Diese waren immer zeitversetzt zum aktuellen Wettergeschehen. Nach starken Regenfällen war der Bach angeschwollen und wir mussten uns dem Bach vorsichtig nähern und es gab Tage an denen Spielen unmöglich war. Nach langer Trockenheit wurden die Steinformationen stärker sichtbar und die oft mit Marmorbändern durchzogenen Granit-Quarzit-Felsplatten freigelegt, die wie eine polierte abgewaschene Skulptur etwas ungemein Lebensnahes hatten.

Das Spielen meiner Kinder am Bach war immer ein Dialog zwischen Gefahr, Unsicherheit und ein Abtasten des Möglichen und das Bewerten der Grenzen. Die Kinder konnten sehr schnell das Risiko einschätzen, und die Nuancen sich sicher zu bewegen. So manches wurde entdeckt wie Fische, Bachkrebse oder besondere Steine, die unter dem Wasser in leuchtenden Farben in Erscheinung traten. An den besonders schönen Stellen zeigte sich die Wasserströmung vielfältig, vom ruhenden leichten Dahingleiten, den Kehrströmungen bis zu den turbulenten luftdurchsetzten Abstürzen und tosenden Quellbecken.

Der Bach, das bemerkten wir bald, ist nicht nur das fließende Wasser, es ist der gesamte Raum der Tosbecken, Sande und Kies, die kleinen und grossen Steine, die mit dem Fluss wandern. Es ist seine reich differenzierte Einbettung die nach jedem Regen sich neu formiert und die Übergänge in die Vegetation, die zahllosen Tieren Lebensräume bietet. Der Bach ist auch der Raum, der gebildet wird durch Stauden, Gehölze bis zum Abschluss der Baumkronen, die das durchscheinende Licht fächern und feinste Wassertröpfchen sichtbar als lange Lichtfäden in diesem Innenraum zeichnen. In diesem Bach lässt sich’s atmen und selbst an heißesten Hochsommertagen durchzieht eine frische kühlende Briese diesen Ort der dem Klang des Wassers seinen ganz besonderen Resonanzraum bietet.

Damals, als ich selbst, und später meine Kinder am Bach spielten, war uns das Wesen eines Baches wie selbstverständlich verinnerlicht. Es war im Unbewussten und weder eine Erklärung bedurfte es, noch hätten wir diese geben können. Der Abschied fiel uns immer schwer doch ich musste zurück in die Stadt mit ihrer kompakten Struktur, mit eng aneinander stehenden Gebäuden und begrenzten Straßenräumen, zurück in ein trockenes Muss.

Wie anders ist das Erleben des Wassers in der Stadt in der ich gerade bin. Hier ist unklar wo der Fluss seine Spur durch die Stadt legte. Es ist unklar wie tief und weit sein Flussbett ist. Wo der Fluss ist, das wusste man einmal; aber heute ist er vergraben unter mehrspurigen Autobahnen, Strassentrassen, U-Bahnen, Eisenbahngleisen und vielen Gebäuden. Nur an wenigen Stellen ist der Fluss noch hier und da erkennbar; Strassennamen zeugen von seiner Existenz und es gibt natürlich die historischen Zeugnisse und Karten und Bilder. Alles geeignet für Historiker, die ihrem Forschungsdrang nachgehen oder für Interessierte um in Ausstellungen von vergangenen Zeiten zu schwärmen. Doch was hat das mit uns zu tun? Mit unserem heutigen Leben unseren heutigen Problemen und Sorgen?

Die Folgen der Klimakrise treten heute immer deutlicher hervor, mit extremen Starkregenereignissen, die immer heftiger werden und schlagartig auf unsere Landschaft und unsere Stadtstrukturen niedergehen. Die vorhandenen Entwässerungseinrichtungen und Kanalsysteme sind hier überfordert. Selbst in größten Stauraumkanälen sind solche Starkregenereignisse technisch und wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll zu puffern.

Auf der anderen Seite sind zunehmende Trockenperioden und Hitzetage zu beobachten und wir verzeichnen immer mehr Tropennächte in denen die Luft einfach nicht mehr genügend abkühlt. Die Möglichkeit der Abkühlung durch Verdunstung ist weitgehend eingeschränkt, weil entsprechende Vegetation und feuchte Oberflächen in Siedlungen und Stadträumen in zu geringem Anteil vorhanden sind.

Die Herausforderungen der Klimakrise werden weiter zunehmen und gerade das Wasser spielt hier eine zentrale Rolle zur Dämpfung, zur Resilienz und Widerstandskraft unserer Städte und damit für die Lebenswirklichkeit der zukünftigen Generationen. Wir brauchen dringend ein tiefgehendes Verständnis, was Gewässer und Wasserstrukturen in unseren Städten und Dörfern tatsächlich bewirken können.

Um passende wassergerechte Gestaltungslösungen und Konzepte zu finden, brauchen wir ein Denken aus dem Charakter des Wassers heraus. Ich nenne es «Fluid Thinking». Bereits in meiner frühen Arbeit in der 1980ger Jahren zur Vorbereitung von Bürgerbeteiligungsprojekten habe ich reale Wasserversuche und das gemeinsame Zeichnen von Wasserströmungen als Grundlage benutzt. Diese Übungen waren überraschend für die Teilnehmenden, aber immer für den gesamten nachfolgenden Prozess der Planung, Entscheidungsfindung und Umsetzung extrem hilfreich. Durch das eigene Erleben wird nicht mehr über einen Gegenstand gesprochen, sondern aus dem Wasser heraus gedacht und Lösungen werden in diesem Verständnis entwickelt.

Vom Wasser unmittelbar lernen – zahlreiche meiner erfolgreichen Projekte haben diesen Grundsatz als Vorgang. Dazu zählt beispielsweise die Öffnung der verschwundenen Feuchtgebiete und Bachläufe am TannerSpringsPark in Portland Oregon, USA oder die Wasserspuren in Hannoversch-Münden. Vielfach hörte ich das Argument «das funktioniert nicht», sei es das Öffnen verdolter Bachläufe, das Integrieren eines Flusses in ein Ortszentrum, oder das Schaffen von Retentionsflächen in einem Park; doch dann sehen wir uns den Gestaltenreichtum des Wassers direkt an, lassen uns davon begeistern und langsam weitet sich manch enge Vorstellung und manches festgelegtes Urteil.

Direkt mit Wasser zu experimentieren und dann kreativ über Wasserlösungen nachzudenken inspirierte in meiner Laufbahn zahlreiche Gruppen von Entscheidungsträgern, Investoren, betroffenen Laien, Anwohnern und Bürgern. Oft trifft man Vorurteile und alte Gewohnheiten, die immer versuchen, das bereits Bestehende zu bewahren und möglichst keine Veränderungen zuzulassen. Gewohntes aufzugeben ist unbequem und Veränderungen tun bekanntlich weh, besonders wenn Vertrauen fehlt und Ängste im Spiel sind. Um diese alten Muster und Vorteile zu brechen sind Wasserstrukturen hervorragend geeignet selbst dicke Steine in Bewegung zu bringen. Denn es zeigt sich, dass Wasserversuche und das Zeichnen solcher Wasserformen ungemein kreativ auf die Vorstellungskraft wirken, alte Denkmuster befreien und Zukünftiges ermöglichen.

Die Methode Wasserexperimente als Lernerfahrung und Erweiterung der Denkvorstellung habe ich bereits für bereits früh entwickelt und eingesetzt. Bereits ab 1975 in der Arbeit mit Jugendlichen, die beispielsweise stark mit Ängsten behaftet sind oder in Abhängigkeiten mit Rauschmitteln und Drogen gefangen waren. Um hier Veränderungen im Denken vorzunehmen, sind Wasserfiguren und Wasserstrukturen ideal geeignet. Auch heute noch nutze ich im Unterricht mit meinen Studenten und bei Seminaren an Hochschulen Hands-On Live-Versuche mit Wasser. Einige dieser Experimente wie Mäanderbildung, Wirbelstrasse, Zylinder usw. sind im Buch «Wasser bewegt – Phänomene und Experimente» erschienen.

Das Fliessen des Wassers über eine schräge Platte, die zeigt wie ein Wasserstrahl nach einiger Zeit anfängt rhythmische Bögen auszubilden und typische Mäanderschleifen zu formen.

Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Wirbelstrasse, in der in einem flachen Becken Wasser durch Zugabe von Glycerin etwas träger ist als normales Wasser. Die Oberfläche wird leicht bestreut mit Lycopodium Pulver. Beim Durchziehen eines Pinsels entsteht zunächst eine Teilung der Flüssigkeit im Wasserbecken. Beim Zusammenkommen der beiden Bereiche fängt die Mittellinie an links und rechts zu schwingen. Eine Kármánsche Wirbelstrasse entsteht.

Wasserstrukturen im urbanen Bereich können sehr vielfältig sein und sind besonders dem soziokulturellen, wirtschaftlichen und technologischen Wandel ausgesetzt. Das Areal Volta Nord im Nordwesten der Stadt Basel ist ein solches Beispiel; es wurde lange Zeit als Industrie- und Chemie-Standort weltbekannter Firmen genutzt. Die Nähe zum Rhein, die guten Grundwasserleiter und die ausgezeichnete Erreichbarkeit auf Schiene und Wasser machten diesen Standort ideal. Mit der Weiterentwicklung und Veränderung der Chemischen Industrie wurde die Verlagerung der Produktionsstätten unausweichlich und die Flächen damit frei für eine Umwidmung zu neuen Wohn- und Mischnutzungen. Damit war nicht nur ein völliger Umbau der Gebäudestrukturen und Verkehrsanbindung gefragt, sondern auf ein nachhaltiges Boden- und Wassermanagement wurde großen Wert gelegt.

Es galt ein wasser- und klimasensibles Sanierungskonzept im Sinne einer Schwammstadt zu formulieren, dass DREISEITLconsulting für das Areal Volta Nord im Auftrag und in enger Abstimmung mit dem Bau- und Verkehrsdepartement sowie dem Amt für Umwelt des Kantons Basel Stadt erarbeitet hat.

Fünf Hauptziele wurden für das Stadtgebiet formuliert:

  • Erhalt bzw. Wiederaufbau eines naturnahen Wasserregimes im Stadtgebiet
  • Multifunktionale Nutzung eines urbanen Freiraumes mit blau-grüner Infrastruktur
  • Aufwertung der Freiräume und deren Nutzungsmöglichkeiten durch aktive Einplanung von Ökosystemdienstleistungen
  • Schutz des Grundwasserkörpers und Erhalt bzw. Aufbau einer guten Bodenqualität
  • Erzeugung hoher Lebensqualität für die Bewohner und hoher Biodiversität von Flora und Fauna

Mit dem Stadtumbau soll auch das Regenwasser (Meteorwasser) von Gebäuden, Strassen und Plätzen nicht in die Abwasserkanalisation gelangen, sondern direkt auf dem Grundstück bewirtschaftet werden. Das Projekt ist derzeit in Planung und sieht vor, bereits auf den Gebäuden Retentionsgründächer anzulegen auch in Kombination mit Photovoltaik und Aufenthaltsbereichen. Von befestigten und versiegelten Flächen einschließlich Fuss- und Veloflächen wird das Wasser in Grünflächen geleitet, die mit Retentionsmulden, Versickerung und Verdunstungsbereichen ausgestattet sind. In mehreren Planungsstufen darunter auch Wettbewerbe, werden Parkanlagen, Straßen begleitendes Grün und Innenhöfe nach diesem Grundprinzip umgesetzt werden. Das Volta Nord Areal soll auch als Prototyp und Vorbild für andere Bereiche in der Stadt gelten.

Der Stadtstaat Singapur ist als Insel von Wasser umgeben, aber auf jeden Tropfen Regenwasser und dem sorgfältigen Umgang mit seinen Gewässern angewiesen. Mehrere Flussläufe durchziehen das dicht urbanisierte topographisch bewegte Terrain, das nur im Inselinneren einen Restbestand des ursprünglichen Regenwaldes besitzt. Ursprünglich führten alle Flüsse das anfallende Niederschlagwasser direkt ins Meer, heute wird das Regenwasser gesammelt und wiederverwendet. Mehrere offene Trinkwasserreservoirs sind hier zur Versorgung der Stadt im Inselinneren und an der Küste angelegt. Der Fluss «Kallang River» als längster Fluss der Insel verbindet die inneren Reservoire «Upper and Lower Peirce» mit dem grossen Marina Barrage Reservoir, der erst vor relativ kurzer Zeit vom Meer abgetrennt wurde.

Mit der Neuausrichtung der Blau-Grünen Infrastruktur und den nachhaltigen Zielen des Stadt-Staats entstand ein völliges Umdenken auch in Bezug zu den Gewässern und Grünflächen der Stadt. Ich hatte das Glück bereits seit 2005 die Stadt zu beraten, entscheidende Projekte zu planen und Vieles auf den Weg zu bringen. Darunter die ABC Waters Guideline und die Neugestaltung des Kallang-Rivers.

Der Fluss durchzieht eine zentrale Grünfläche in einem dichtbesiedelten Umfeld, der Bishan-Ang Mo Kio Park ist, beinahe vergleichbar mit dem Central Park in New York, eine überlebenswichtige Oase in der Stadt. Das ursprüngliche Gewässer wurde in den 1970ger Jahren in einen Betonkanal verwandelt mit dem alleinigen Zweck, Regenwasser so rasch und direkt wie möglich aus der Stadt ins Meer zu leiten.

Mit der Sanierung nach ingenieurbiologischen Prinzipien ist dies ein naturnaher mäandrierender Fluss, der anstelle eines monofunktionalen Betonkanales ein völlig neuer Lebensraum für bedrohte Tiere einschließlich Wasservögel, seltener Insekten, Libellen und Fischen bildet. Die Biodiversität hat enorm zugenommen und heute leben wieder mehrere Fischotter-Familien im Gewässer. Ein wesentliches Erfolgskonzept war die gleichzeitige Sanierung des Flusses und der über 60 Hektar Parklandschaft. Diese wurden sehr sensibel und stilsicher umgestaltet, um einerseits die Dynamik des Flusssystems mit seinen schwankenden Wasserständen und periodischen Überflutungen zu berücksichtigen, und andererseits den größtmöglichen Gewinn für die Parkbesucher zu erzielen. Drei Abenteuerspielplätze, neue Restaurants, eine Aussichtsplattform, der sogenannte «Recycle Hill» – erreichtet ausschließlich aus Abbruchmaterial des Kanals – sowie großzügige Grünflächen bereichern und ergänzen die ökologische Flusssanierung.

Vorausgegangen waren auch hier Workshops und eine intensive gedankliche Arbeit mit allen Beteiligten einschließlich der Bevölkerung und regionalen Anwohner. Ohne «Fluid Thinking» wäre das mittlerweile international hoch datierte und preisgekrönte Projekt Bishan Ang Mo Kio Park mit der Kallang River Renaturierung nicht machbar gewesen.

Ein Schlüssel zum Erfolg für Gewässer-Projekte ist ein sich tieferes Einlassen auf das Wasser selbst. Dazu zählt die hohe Sensibilität und Fähigkeit sich gedanklich in die Wasserwelt einzuleben und daraus die konstruktiven Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu zählen die drei Schritte das Gewässer und damit meine ich die gesamten Wechselwirkungen der Wassersysteme in seiner Wechselwirkung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu denken. Im Verstehen der vergangenen Zeit- und Raumverhältnisse bis zum heutigen Zustand, in der Analyse der gegenwärtigen Situation und den derzeitigen Rahmenbedingungen und in einer weitreichenden und mutigen Zukunftsvorstellung der Möglichkeiten. Wer in diesen Flow eintaucht, wird dem Wasser die passenden Rahmenbedingungen einrichten können für eine resiliente, klimatisch-angepasste und regenerativ-gesündere Zukunft die wir so dringend jetzt suchen.

Zum Autor:

Herbert Dreiseitl (geb. 1955), Landschaftsarchitekt und Künstler. Er ist für seine Pionierleistungen ein international geachteter Experte der seit über drei Jahrzehnten weltweit auf dem Gebiet der lebenswerten Stadtentwicklung mit Fokus auf innovative nachhaltige Nutzungen und klimatisch angepasste Lösungen auch von urbanen Wassersystemen arbeitet.

 

Lehrtätigkeit für klimagerechte, lebenswerte Stadtentwicklung, Freiraumplanung und Stadthydrologie an diversen Universitäten im In- und Ausland.

 

Firma: DREISEITLconsulting GmbH, Überlingen

 

Weblink: dreiseitlconsulting.com