Ar­chi­skulp­tur mit An­sa­ge

Mario Bottas Pavillon für Kunst von Emilio Isgrò

Ein Holzpavillon erhebt sich seit Ende Oktober vor dem MAXXI, dem Museum der Künste des 21. Jahrhunderts in Rom. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Glas-Beton-Fassade des Baus von Zaha Hadid kontrastiert die kuppelförmige Konstruktion des Pavillons die schnittige Härte der Museumskonturen. Hart und weich treffen aufeinander.

Publikationsdatum
06-12-2023

Der Holzpavillon will nicht bloss eine rasch zu durchlaufende Zwischenstation auf dem Weg in das Museum sein, sondern zum Verweilen ermuntern. Niedrigschwellig und einsehbar, enthüllt er auf den ersten Blick das, was in ihm steckt: Kunst, die ihre Botschaft in mehreren Sprachen kommuniziert. Um das Kunstwerk und die architektonische Umhüllung in Ruhe auf sich wirken zu lassen, stehen von Botta entworfene Sitzmöbel aus Zedernholz, der Hocker Clessidra (2010/2011), bereit.

Sphärisch geformt, überwölbt die Pavillon-Konstruktion den Innenraum, der Durchmesser der Grundfläche beträgt 8.80 m. Die 21 acht Meter hohen Bogen aus Zedernholz sind im Abstand von rund 60 cm gesetzt, so dass nicht nur der weit offene Zugang, sondern auch die Anordnung der Bogen für Tageslicht sorgt. Das Zedernholz stammt aus dem Libanon, gefertigt wurde die Konstruktion in den Werkstätten des traditionsreichen Herstellers von Massivholzmöbeln, Riva Industria Mobili im lombardischen Cantù.

Hervorheben durch Löschen

«Non uccidere» lesen wir auf Steintafeln, die der sizilianische Künstler Emilio Isgrò geschaffen hat. Du sollst nicht töten! Den Imperativ aus den Zehn Geboten meisselte Isgrò – in elf Sprachen übersetzt – in Steinplatten von der Halbinsel Sinai, deren zweiteilige Form sich auf biblische Gesetzestafeln bezieht. Befestigt wurden die Steinplatten an den Holzbogen. Die Pavillon-Struktur trägt die Kunst, das Kunstwerk verleiht dem Bau tragende Bedeutung.

Mit roter Farbe hebt der Künstler das 5. Gebot hervor. «Thou shalt not kill» leuchtet auf einer der Tafeln. Noch eindringlicher wird das im Alten Testament niedergeschriebene Tötungsverbot dadurch, dass Isgrò weiteren Text mit schwarzer Farbe übermalt hat. Warum? Der Künstler erklärt, dass das Schwärzen kein destruktiver Akt sei, das Auslöschen sei vielmehr ein Kunstgriff und Grundelement seines Werkgedankens. Es bedeute ein Nein, um ein Ja zu dem, was zählt, zum Ausdruck zu bringen. So liest sich der durch die Löschtechnik hervorgehobene Imperativ «Non uccidere» als hochaktuelles Postulat in Hinblick auf den wieder entflammten Nahost-Krieg.

Erinnerungsraum, aktueller denn je

Tatsächlich jedoch wurde der Pavillon im Auftrag des MAXXI bereits vor Monaten projektiert, und zwar aus einem anderen Anlass. Die Archiskulptur erinnert an das Gründungsjahr der italienischen Verfassung und an die Grundrechte der Costituzione, die 1948, also vor 75 Jahren, in Kraft traten. Etwa Artikel 3: Gleiche Würde und Gleichbehandlung vor dem Gesetz, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sprache, Religion, politischer Meinung und sozialen Lebensverhältnissen. Vor dem Hintergrund dieses Jubliläums und angesichts unmittelbarer Gegenwart leitet die Archiskulptur die Gedanken zurück zum Ursprung und zum Urgrund des Gebots «Du sollst nicht töten».

Als Brandmauer gegen menschenverachtende Barbarei errichtet, förderte das in den Zehn Geboten fest verankerte Mord- und Gewaltverbot im Laufe der wechselvollen Geschichte die Entwicklung zivilisatorischer Errungenschaften. Dazu zählen ethische Werte, Humanität, Mitmenschlichkeit, Völkerverständigung und das oberste Ziel, die Menschheit vor der Geisel des Kriegs zu bewahren.

Bis zum 25. Februar 2024 kann die Archiskulptur vor dem MAXXI erlebt werden. Bleibt zu wünschen, dass der Zusammenklang aus Architektur und Kunst danach auch an anderen Orten das Gebot «Non uccidere» nach aussen trägt.

Weitere Informationen: maxxi.art/en