Die ak­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen nut­zen

Urbanisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und Klimaveränderung – in den Vorträgen und Diskussionen anlässlich der Sto Tagung in Spreitenbach wurde deutlich: Bei der Planung von Gebäuden und Städten sind neben dem Dialog eine gute Moderation sowie ein angemessenes Verhältnis von Reglementierung und Freiheit vonnöten.

Publikationsdatum
30-01-2020

Peter Schwehr thematisierte in seinem Vortrag «Szenarien für die Stadt der Zukunft» die aktuellen Herausforderungen, die Klimawandel, Migration, soziale Ungleichheit und künstliche Intelligenz stellen. Schwehr ist Leiter des Kompetenzzentrums für Typologie & Planung in Architektur CCTP der HSLU und Honorarprofessor an der TU Berlin.

Der Klimawandel ist kein isoliertes Phänomen, betont Schwehr. Grüne Themen sind in der Wirtschaft zwar angekommen; wird jedoch nicht genügend unternommen, um bis 2030 eine Erderwärmung von maximal 2 °C zu verhindern, dann ist der Wandel nicht mehr kontrollierbar. Steigt der Meeresspiegel weiter an, werden die derzeitigen Flüchtlingsbewegungen weiter zunehmen.

Bis 2050 werden aufgrund des Bevölkerungswachstums nahezu 70% der Menschen in Städten leben. Die soziale Ungleichheit wird zunehmen, da viele mittelständische Fachkräfte nicht mehr benötigt werden. Mit der Industrie 5.0 werden immer mehr Tätigkeiten von künstlichen Intelligenzen verrichtet, die Maschine übernimmt auch Entscheidungen.

Viele der Phänomene sind bereits spür- und sichtbar; seien dies extreme Wetterlagen, städtische Wohnungsknappheit, Ersatz der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen sowie Ungleichheit durch Datenanalysen.

Die komplexen Herausforderungen können für neue Vorstellungen und Strategien sowie für Zukunftsvisionen genutzt werden. Stadtumbau aufgrund des Klimawandels kann neue Qualitäten bieten: Das Konzept der Schwammstadt arbeitet mit Flächen, die Feuchtigkeit speichern und abgeben können. In Kopenhagen wurden Strassenräume entwickelt, die Starkregen mittels Überflutungsbecken unter Kontrolle halten und gleichzeitig neue Grün- und Aufenthaltsräume bilden.

Die Kreislaufwirtschaft denkt Produkt und Dienstleistung zusammen. Das Interesse an qualitativen Produkten wird gestärkt, da diese nicht nur verkauft, sondern auch vermietet und unterhalten werden. Neue «Urbanen Gebiete» (2017) in Deutschland ermöglichen hybride Gebäude, die unterschiedliche Nutzungen sowie Wohnen und Arbeiten in einem Gebäude zulassen. Ein Hybrid ist multifunktional, anpassbar und schafft Synergien: Räume können 24 Stunden am Tag flexibel genutzt werden.

Um Vielfalt und das Experiment zu ermöglichen, brauche es eine Kultur der Partizipation und des «trial and error». Ein Strukturwandel sei nicht mehr möglich, es müsse zu einem Systemwandel kommen. Beim Bauen solle es nicht mehr wie so oft nur um das Objekt gehen, sondern auch um den Lebensraum, der geschaffen werde.

Zielkonflikte

Albert Leiser, Direktor des Hauseigentümerverbands Stadt und Kanton Zürich (HEV), sprach in seinem Vortrag «Renovierung, Sanierung oder Ersatzneubau?» die Interessenkonflikte an, die sich in der Baurealität manifestieren.

Seit der Revision des Raumplanungsgesetzes besteht für den HEV die Auflage, sich auf die Verdichtung der Städte zu konzentrieren, um der weiteren Zersiedlung entgegenzuwirken. Bis 2040 wurde für den Kanton Zürich ein Bevölkerungszuwachs von 280‘000 Personen prognostiziert, davon 80‘000 in der Stadt Zürich. Bei einer derzeitigen Haushaltsgrösse von 1,8 Personen müssten 44'500 neue Wohnungen entstehen.

Die Hälfte der Wohnungen befindet sich im Privateigentum. Da diese zum Grossteil vor 1985 entstanden, als es die Pensionskasse noch nicht gab, ist das Alter der Eigentümer entsprechend fortgeschritten: Die Hälfte der Eigentümer ist zwischen 68 und 84 Jahre alt. Etwa 66% der Eigentümer wollen investieren – für viele stellt die Tragbarkeit im fortgeschrittenen Alter sowie das Risiko, keine Mieter zu finden, allerdings eine Bürde dar.

Die behördlichen Vorschriften seien zu hoch und schwer in Einklang zu bringen; oft stehen denkmalpflegerische Auflagen dem Energiegesetz (MuKEn 2014) sowie der Feuerpolizei und dem Lärmschutz im Weg. Das Mietrecht mit seinen Sperrfristen bei Mietereinsprachen blockiere Bauvorhaben des Öfteren. Handlungsbedarf für energetische Massnahmen besteht allemal, wenn man bedenkt, dass 50% der schweizerischen Gebäudesubstanz vor 1971, d. h. vor der Ölkrise, erstellt wurde.

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In der von Judit Solt geleiteten Podiumsdiskussion «Transformation von Lebensräumen – Herausforderungen am Bau» kamen Experten zu Wort.

Stefan Cadosch, Architekt und SIA-Präsident, bestätigte, die Regulierung im Bauwesen sei gewaltig, zumal jede Gemeinde ihr eigenes Baugesetz hat; eine Harmonisierung zum Abbau der Hürden sei vonnöten. Es müsse an hybriden Lösungen gearbeitet werden, die resilient und transformierbar sind; für diese brauche es eine Bestellkompetenz. Die Verdichtung sei oberstes Ziel, die Vorgabe einer minimalen Dichte, wie sie in Genf seit 2014 angewandt wird, wäre auch in Zürich sinnvoll.

In Bezug auf die Verdichtung verwies Peter Schwehr auf die Stadt Berlin, in der bis zu 40‘000 Wohnungen im Jahr gebaut werden müssen. Durch die Einführung von Sonderzonen werde es möglich, dem Perfektionismus das «Prinzip der unfertigen Planung» gegenüberzustellen. Eine gute Moderation sei dabei jedoch unabdingbar. Suffizienz müsse als Mehrwert fassbar gemacht werden: Man verzichtet auf sein Einfamilienhaus, erhält dafür aber eine Vielzahl neuer Qualitäten.

Laut Rainer Hüttenberger, Vorstandssprecher der Firma Sto, ist die Überreglementierung und die Risikoorientierung immens; jeder habe Angst, etwas falsch zu machen. Es gebe oftmals keine Freiräume für Innovation. So wurde beispielsweise das System StoSystain R, das durch «Kletten statt Kleben» Demontage und Recycling vereinfachen soll, von den Behörden als neue Befestigungsmethode noch nicht genehmigt. Eine zirkuläre Wirtschaft sei mittlerweile ein Muss, da Nachhaltigkeit auch bei Investoren im Fokus stehe.

Allerdings denke jeder nur an sein Grundstück; es entstehe Neid, wenn der Nachbar baut, gibt Albert Leiser zu bedenken. Die Nachfolgeregelung sei nicht gelöst – ein gesellschaftliches Problem, viele wollen sich auch im Alter nicht von ihrem Eigentum trennen. Um den sich widersprechenden Anforderungen bei Renovierungen und Sanierungen zu begegnen, brauche es das übergeordnete Wissen von Architekten und Fachleuten.

Die anregenden Vorträge des Vormittags wurden am Nachmittag um weitere Beiträge ergänzt. Nicolas Blondeau sprach in Bezug auf «Gesundheitsbewusstes Bauen und Sanieren» u.a. die biozid- und konservierungsmittelfreien Produkte der Firma Sto an. Markus Strobel referierte über «Akustische Lösungen im Aussenbereich» und stellte die Nachteile der Kompaktfassade gegenüber einer hinterlüfteten Konstruktion dar. Rolf Saxer sprach über Elektrosmog und die mögliche Abschirmung. Rainer Hüttenberger beendete den Anlass mit einem Blick auf aktuelle Projekte der Firma Sto, z.B. neue Möglichkeiten für die Planung und von der Bionik inspirierte Produkte.

Die vielseitigen Sichtweisen und Erfahrungswerte liessen anregende Diskussionen entstehen; gleichzeitig wurden die Diskrepanzen der auf unterschiedlichen Ebenen agierenden Akteure deutlich sowie die Notwendigkeit, über den eigenen Erfahrungsraum hinauszublicken und Neues auszuprobieren – vermehrt auch durch Bottom-up-Ansätze, wie betont wurde.

Referenten:

  • Jan Malmström, Geschäftsführer Sto AG
  • Prof. Dr. Peter Schwehr, Leiter Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur CCTP, HSLU
  • Albert Leiser, Direktor Hauseigentümerverband Stadt & Kt. Zürich
  • Stefan Cadosch, Dipl. Arch. ETH/SIA, Präsident des SIA
  • Nicolas Blondeau, Leiter Technik und Marketing-Kommunikation Sto AG
  • Markus Strobel, Dipl. Arch. FH/SIA, Prüfungsexperte SGA, SINUS AG
  • Rolf Saxer, Geschäftsführer MPA Engineering AG, Winterthur
  • Rainer Hüttenberger, Vorstandssprecher Sto SE & Co. KGaA