Der Un­ter­grund hat Zu­kunft

Das Mobilitätsverhalten der Menschen ändert sich. Wie hoch ist das Potenzial der U-Bahnen als Verkehrsmittel der Zukunft?. Eine Einschätzung von Prof. Dr. Ulrich Weidmann.

Publikationsdatum
07-01-2021

In extravertierten Zeiten soll die ganze Welt teilhaben an unserem Tun. Die Mediterranisierung der Freizeit hat die Aussenräume erobert, und auch die Mobilität wandelt sich in diesem Sinn. Dabei soll gleich eine zweite Altlast bereinigt werden: die jahrzehntelange Konfrontation zwischen den Verkehrssystemen. Kooperation und Koexistenz auf Shared Spaces sind angesagt. Die Zukunft des Stadtverkehrs wird bunt, bevölkert von vielen kleinen, flinken Vehikeln, gemischt mit leise surrenden autonomen Kleinwagen. Eigentrassees für Tram oder reservierte Spuren für Busse muten archaisch an, und wer sie verteidigt, ist Old School.

Wie viel anachronistischer erscheint erst die Untergrundbahn! Eine Verkehrsmaschinerie aus dem 20. Jahrhundert, Überbleibsel einer Verkehrsplanung, die Mobilität als technokratische Transportauf­gabe begriff, nicht als Ausdruck urbanen Flairs. Wie kann man die Menschen unter den Boden verdammen und ihnen die Segnungen des Ausblicks auf Schaufenster und Alleen vorenthalten? Dass oft nur sterile Bürofassaden zu sehen sind, ist ein Schönheitsfehler – immer noch besser als die lärmige Fahrt durch finstere Röhren, unterbrochen von unterirdischen Haltestellen mit beängstigenden Gestalten und widerlichen Gerüchen.

Wenn nur die Physik nicht wäre … Sollen Metropolen menschen-, stadt- und umweltverträglich erschlos­sen werden, ist höchste Leistungsfähigkeit gefordert, und diese bieten nur spurgeführte unabhängige Verkehrssysteme wie U- und S-Bahnen. Seit über hundert Jahren bewältigen sie weltweit unvorstellbare Verkehrsmengen, und durch die voranschreitende Urbanisierung und die Innenverdichtung vor Aussenentwicklung werden diese noch grösser. Kein anderes Verkehrssystem kann das leisten – physikalisch bedingt. Ausser wenigen Zu­gängen beanspruchen sie keinen öffentlichen Raum und lassen Platz für viele flinke bunte Vehikel oder mediterrane Strassencafés. Darum sind «U-Bahnen» eben vor allem «Metros», metropolitane Eisenbahnen.