«Wer­den Sie nie­mals laut auf ei­ner Bau­stel­le?»

Im Namen des Netzwerks Frau und SIA unterzeichnen die Architektinnen Olalla López Cabaleiro und Lene Heller, beide Bauleiterinnen, eine Stellungnahme, in der sie zu neuen Arbeitsweisen auf Baustellen und zu einer stärkeren Einbindung der Planer und Planerinnen in die Baustellenpraxis aufrufen. 

Publikationsdatum
08-05-2024
Lene Heller
Architektin in Lausanne und Nyon | Mitglied Netzwerk Frau + SIA

Hinter Absperrungen und Verbotsschildern von Baustellen entfaltet sich eine Welt, die in den Augen der Öffentlichkeit selten einen guten Ruf geniesst: Man denkt an Streiks, Unfälle, Kostenüberschreitungen, Lärmbelästigung, Staub oder Umweltschäden.

Eine gute Nachricht von den Baustellen ist dagegen, dass immer mehr Frauen in der Bauleitung tätig sind. Bisher besetzten Architektinnen und Ingenieurinnen, vor allem erstere während des Studiums noch in der Überzahl, im weiteren Verlauf ihres Berufslebens eher selten verantwortungsvolle Positionen. Wie gehen sie an die Bauleitung heran? Und fällt es ihnen schwer, ihren Platz in diesem konservativen Umfeld zu finden? 

Der Kontext: die Realität auf der Baustelle

Betrachten wir zunächst das Umfeld und seine Akteurinnen und Akteure: Während das digitale Bauen in den Büros Einzug hält, bleibt die Baustelle materiell, den Elementen und dem Lärm der Maschinen ausgesetzt. Trotz aller Versprechen ist die Vorfertigung immer noch auf bestimmte Berufsgruppen beschränkt, ganz zu schweigen von den Robotern, die dieses schwierige Terrain noch kaum erobert haben. 

Zwar haben sich die Werkzeuge und Hebevorrichtungen weiterentwickelt und die naturbasierten Materialien werden von einer mächtigen Industrie immer mehr an die Bedürfnisse der Baustelle angepasst. Dennoch sind Transport, Handhabung und Montage vor Ort zeitaufwendig, da sie manuell durchgeführt werden. 

Auf der Baustelle sind alle Beteiligten von Kopf bis Fuss durch eine Sicherheitsausrüstung geschützt. Die Firmen geben die Kleidung vor, und einige Berufsgruppen haben Standardfarbcodes, die einzuhalten sind: Maurer und Zimmerleute tragen dunkle Kleidung, Gipser und Maler weisse. Die Atmosphäre ist geprägt von Unvorhergesehenem, Stress und Konflikten, der Druck auf die Ausführenden und Planenden ist enorm, denn die Vergabe berücksichtigt oft das billigste Angebot, das mit dem öffentlichen Beschaffungsrecht übereinstimmt. 

Druck und harte Wirklichkeit 

Die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt kontinuierlich und es fehlt an Nachwuchs in den handwerklichen Berufen. Die Arbeiter unter den Kränen und hinter den Zäunen sind immer weniger ausgebildet und zunehmend fremdsprachig. Und was ist mit den Frauen? Eine 2023 durchgeführte Umfrage der Gewerkschaft Unia zeigt, wie prekär die Lage der Arbeiterinnen ist, von denen es auf Baustellen nur wenige gibt. Sie berichten von unzureichenden hygienischen Bedingungen in den Toiletten und der Tatsache, dass sich die Handhabung des oft schweren Materials kaum verändert hat. 

Mobbing, Einschüchterungen oder sogar sexuelle Übergriffe sind in diesem Milieu immer noch gegenwärtig. Um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, kämpfen die Arbeiterinnen wie ihre männlichen Kollegen dafür, dass die Unternehmen vermehrt angemessen bezahlte Teilzeitstellen anbieten. Doch der Weg dahin ist noch lang. Insgesamt anerkennt die heutige Gesellschaft – die sich an ein Wirtschaftssystem gewöhnt hat, in dem die Produktionsmethoden häufig ausgelagert, sauber, unsichtbar und quasi entmaterialisiert sind – die Bauberufe in ihrer staubigen und lauten Umgebung nur unzureichend an. 

Welche Rolle spielen die Bauherrschaften, die lange Zeit die treibende Kraft im Räderwerk eines Projekts waren? Die Antwort ist eher entmutigend: Sie ziehen sich immer mehr zurück, indem sie ihre Verpflichtungen und ihre Verantwortung an Dritte delegieren und die Baustelle über Berichte, Bilanzen und Webcams beobachten. Althergebrachte Bräuche wie das Richtfest mit dem Richtbaum, die an die gemeinsamen Anstrengungen erinnern und wichtige Anerkennungsgesten der Auftraggeber gegenüber den Beteiligten – insbesondere den Unternehmen – darstellen, verschwinden immer mehr. 

Die Bauherrschaften hören von den Unternehmen nur noch, wenn es Probleme mit der Planung, der Qualität oder dem Budget gibt. Was sie rechtlich verbindet, ist nicht mehr eine gegenseitige Verpflichtung, sondern eine distanzierte Bindung, sogar ein Misstrauen, das manchmal vor Gericht endet. 

Was ist mit den Architektinnen und Architekten und anderen Auftragnehmern und Partnern? Sie verfügen über immer leistungsfähigere Werkzeuge zur Entwicklung von Projekten, die es ihnen erlauben, perfekte Räume zu entwerfen, kommen mit der Realität vor Ort aber manchmal schlecht klar.  

Hinzu kommen immer mehr gesetzliche Auflagen, die die Planung zeitaufwendig und die Umsetzung schwieriger machen, ausserdem Druck auf die Baukosten sowie immer kürzer werdende Fristen in allen Projektphasen. Die Zeit wird knapper. Und so hält irgendwo inmitten dieser Mischung aus Zwängen, fast unweigerlich , das Burn-out Einzug in alle Bereiche des Baugewerbes. Wäre es nicht notwendig mehr zu tun, um der Frustration vorzubeugen, die durch die Diskrepanz zwischen dem Geplanten und der Umsetzung des Bauwerks entsteht?

Das Gesetz des Stärkeren

Viele dieser Herausforderungen fallen der Bauleitung zu, die ein wichtiges Scharnier darstellt: Sie muss die Interessen der Bauherrschaft und deren Geldbeutel verteidigen, die Qualität des Projekts gewährleisten, die Arbeiten in immer kürzerem Zeitrahmen organisieren, für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften sorgen und gleichzeitig die Qualität des Baus und die Fristen garantieren. Unter diesen Bedingungen liegt es an der Bauleitung, alle Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen. Sie muss den Anforderungen gerecht werden, zu denen nun auch noch die ökologischen Aspekte der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft hinzukommen.

Die Leitung von Bauarbeiten erfordert es, schnell und unter Druck Entscheide zu treffen, die oft zulasten eines der vielen Parameter gehen, und gleichzeitig ein gewisses Risiko zu tragen. Kurz gesagt: Man muss «einstecken können». Und das erfordert häufig, dass man eine Autoritätsposition einnimmt: keine Schwächen zeigt, unnachgiebig und entschlossen gegenüber allen Beteiligten ist und lauter als die anderen spricht.

Die Situationen sind oft ähnlich und verlaufen wie die Akte einer Barockoper: Das Problem taucht auf, wird diskutiert, und man dreht sich in alle Richtungen, ohne dass sich ein Ausweg abzeichnet. Dabei wird der Ton unweigerlich schärfer. Dann, nach dem Höhepunkt, fällt die Spannung ab und die Lösung wird sichtbar – aber diese ist oft das Ergebnis eines Machtkampfs.

Wie fügen sich die Frauen, die lange Zeit nicht in dieses Bild passten, in den durchorganisierten Mikrokosmos ein? In dieser Welt der breiten Schultern werden sie oft stereotyp als zu sensibel, zögerlich oder sogar emotional angesehen. «Man hält mich für die Sekretärin, und wenn ich mit einem Kollegen unterwegs bin, spricht man nur mit ihm», hören wir von Zeit zu Zeit von Kolleginnen, die neu auf einer Baustelle sind. Diese Diskriminierungen werden zu Recht angeprangert, aber wir um solche Verhaltenweisen zu überwinden, müssen wir weiter gehen.

Suchen wir also nach neuen Wegen: Wie bereits erwähnt, scheint eine laute Stimme verbunden mit dem Bild des starken Alpha-Manns die bevorzugte Kommunikationsform zu sein. Unsere Kollegen und Freunde fragen uns: «Sprecht ihr auf der Baustelle nicht lauter?», und sind sehr erstaunt, wenn wir verneinen. «Fragt ihr einen Unternehmer oder einen Arbeiter nach seiner Meinung?», lautet eine weitere Frage. Ja, warum nicht?

Brücken bauen 

Unserer Meinung nach wird ein offener Dialog auf der Baustelle, eine gemässigtere Art und Weise, Fragen zu stellen und den Austausch zu erleichtern, immer wichtiger. 

Wir sollten also unsere Spiel- und Klangpalette anpassen und andere Taktiken erkunden, damit die grosse Barockoper auf der Baustelle harmonischer klingt. Warum sollten wir nicht etablierte Haltungen überwinden, klassische, hierarchische Rollen und Beziehungen durchbrechen, um vom Know-how von Unternehmen und Arbeitern zu profitieren und so multidisziplinäre Beiträge zu bündeln? Sollten wir uns nicht auf den kollektiven Akt des Bauens über Jahrhunderte hinweg besinnen? 

Mehr Studierende auf den Baustellen 

Diese Kräfte könnten ein Weg aus der Sackgasse sein, die sich in der Welt des Bauens abzeichnet, in der immer besser gebaut oder renoviert werden soll, und dazu alles noch schneller, billiger, nachhaltiger, einfacher und technisch niederschwelliger – und mit immer mehr normativen Einschränkungen. 

Und schliesslich: Warum schaffen wir nicht mehr Verbindungen zwischen der Welt der Planung und der Welt der Praxis, durch unterschiedliche Ansätze, durch multidisziplinären Austausch über die klassischen Hierarchien hinaus? Das muss in der Praxis verankert werden. Schicken wir die Studierenden auf die Baustellen, um Praktika zu absolvieren, wo der BIM-Manager oder die BIM-Managerin Nägel einschlägt. 

Vielleicht wird eine grössere Offenheit gegenüber der handwerklichen Welt in einer Gesellschaft Erfolg haben, die der Allgegenwart des Digitalen überdrüssig ist. Lassen Sie uns also mehr Bauleiterinnen und Bauleiter ausbilden, die die nötigen Verbindungen zwischen den Akteurinnen und Akteuren auf der Baustelle pflegen. Wir können nur gewinnen.

Übersetzung: Danielle Fischer, Redaktorin TEC21

Nach ihrem Bachelor-Abschluss in Architektur an der Escola Técnica Superior de Arquitectura in A Coruña (ES) lernte Olalla López Cabaleiro die Schweiz im Rahmen eines akademischen Austauschs kennen. Sie setzte ihr Studium bis zu ihrem Masterabschluss an der Universität Genf fort. Seit Beginn ihres Berufslebens ist sie an Ausführungen und Bauleitungen beteiligt, zunächst im Büro Massimo Lopreno und ab 2012 als Mitarbeiterin des Büros bunq architectes in Nyon, in dem sie seit 2019 Partnerin ist. 

 

Lene Heller schloss 2001 ihr Architekturstudium in Karlsruhe ab und fand in einem Büro in Lausanne Gefallen an der Baustelle. Im Jahr 2020 gründete sie in Lausanne das werkbüro, ein Architekturbüro, das auf Transformationen und Bauleitung spezialisiert ist. Lene Heller ist zudem als Dozentin an der HEIA-FR und an der EPFL tätig und engagiert sich bei der Sektion Waadt des SIA.

Weitere Infos
https://frau.sia.ch