Wolken über den Wegen
Was verbindet die Schweiz und die Niederlande? Und was haben eine Lokomotive auf dem niederländischen Schienennetz und ein Auto am Gotthardpass gemeinsam? Mehr als man gemeinhin denkt.
Zur ersten Frage: Beide Länder liegen am Rhein, auch wenn er in den Niederlanden je nach Mündungsarm Waal, Nederrijn oder Lek heisst. Und ausserdem sind die Schweiz und die Niederlande mit etwas über 41 000 m² Fläche annähernd gleich gross. Auf dieser Fläche verteilen sich zudem etwa gleich viele Bahnschienenkilometer: ca. 3000. Täglich nehmen etwa 1.2 Millionen Menschen das Bahnnetz in Anspruch, wobei an der Nordsee etwa doppelt so viele Menschen wohnen wie in den Alpen. Dafür rollt über die schweizerischen Schienen mit ungefähr 180 000 Nettotonnen (NT) mehr Fracht pro Tag als in den Niederlanden mit ca. 100 000 NT.
Die Antwort auf die zweite Frage ist etwas kniffliger: Richtig bestückt, transportieren sowohl die Lok als auch das Auto unglaubliche geodätische Datenmengen für das, was nach ihnen kommt.
Lichtraumprofil in 3-D
Mit 80 km/h fährt die Lokomotive in den Niederlanden über die Gleise. Fünf Jahre lang dauert der Auftrag, das Schienennetz zu befahren, auszumessen und die dabei gewonnenen Daten zu verarbeiten. Pro Jahr werden so zwischen 500 und 800 km abgearbeitet. Was so gemütlich klingt, bedeutet die Verarbeitung einer gewaltigen Datenmenge. Die Lok ist nämlich unter anderem ausgestattet mit mehreren Laserscannern, sieben Kameras, die nach vorne, nach oben, auf das Gleisbett, die Schienen und die Seiten ausgerichtet sind, und zwei GNSS-Antennen (Global Navigation Satellite System), um die Daten örtlich referenzieren zu können. Milliarden von im dreidimensionalen Raum verteilten Punkten werden so vermessen, dazu Zigtausende Bildaufnahmen. Dabei ist das Ganze relativ unscheinbar. Montiert
ist die Apparatur – das Bahnmesssystem heisst «tRMC» – auf den vorderen Puffern der Lokomotive.
Als Ergebnis bekommen die Auftraggeber – in den Niederlanden sind dies die für das Schienennetz verantwortlichen Betreiber ProRail – ein virtuelles Abbild ihrer Schienentrassen und der dazugehörigen Lichtraumprofile. Dies ist für eine effiziente und sichere Abwicklung der Zugfahrten von oberster Priorität. Und gemäss Daniel Wiesemann, Leiter des Mapping Teams bei der Auftragnehmerin terra vermessungen, sind Gegenstände, die den Zugverkehr beeinträchtigen können, gar nicht so selten. Ein bis zwei Hindernisse pro Schienenkilometer ragen durchschnittlich in das Lichtraumprofil hinein. Dies können etwa Schilder sein, die nach Baumassnahmen nicht korrekt wieder aufgestellt wurden oder aber Pflanzen, die gestutzt werden müssen.
Stahl auf weichen Böden
Das aus den Messungen generierte virtuelle Abbild der Zugstrecken bietet neben der Überprüfung des Lichtraumprofils noch einen weiteren Vorteil: Anhand der Daten können Sondertransporte, etwa mit Überbreiten, geplant werden. Und auch die Schienen selbst werden aufgenommen. Da der Untergrund in den Niederlanden oft schluffig oder sandig ist, Wasser anstehen kann und die Bahntrassen gerne auf geschütteten Deichen geführt werden, haben die Gleise ein besonderes Deformationsrisiko. Die richtige Lage der Schienen kann ebenfalls über das Mobile Mapping kontrolliert werden. Und bei den Gleisen bleibt es nicht: Die Vermessungsingenieure gleisen derzeit eine Innovation auf. Mit weiteren Sensoren möchten sie gleich noch den Zustand von Kunstbauten auf ihren Fahrten erfassen.
Fiberglas zwischen harten Felsen
Nochmals zur ersten Frage: Gemeinsam ist beiden Ländern auch, dass sie Windräder haben. Und da diese Giganten erst an Ort und Stelle gebracht werden müssen, um Strom zu erzeugen, wird es vor allem in der Schweiz manchmal eng. Fünf Windräder – die grössten im Alpenraum und mit solchen in der Nordsee vergleichbar – stehen auf dem Gotthardpass. Die grössten Bauteile sind die 9.7 t schweren Rotorblätter mit einer Länge von 44 m. Die Windräder mussten von Deutschland aus auf den Pass gelangen. Was für manchen Touristen schon eine Herausforderung darstellt, war auch für den Transportunternehmer Welti-Furrer Pneukran & Spezialtransporte nicht alltäglich. Die Bauelemente erreichten Basel per Schiff. Von dort ging der Transport durch den Gotthard-Strassentunnel nach Airolo und dann über die Südrampe auf den Pass.
Für die Planung des Transports wurde ein Vermessungsauto auf die gewählte Route geschickt, ausgestattet mit dem mobilen Kartierungssystem Trimble MX9. Dieses erfasste auf einer Strecke von 282 km über 30 Milliarden Punkte, von denen 21 Milliarden für die Lichtraumanalyse gefiltert wurden. Alle Objekte, die den Strassenraum vertikal einengen, konnten somit dokumentiert werden. Eine farbige Höhenabstufung relativ zur Fahrbahnoberfläche erlaubte die Kenntlichmachung kritischer Zonen. So schaffen Punktwolken über Verkehrswegen, dass ganze Windräder in die Wolken wachsen.