Wenn le­bende Bäume Brü­cken bauen…

… ist Trendtag am Gottlieb Duttweiler Institut GDI. Mit dem Titel «Inspired by Nature: Die Wirtschaft von morgen basiert auf Biologie» verkündete das GDI die Geburt eines neuen Megatrends, der die Trennung von Technik und Natur überwindet.

Date de publication
14-03-2023

Das Gottlieb Duttweiler Institut widmete den 19. Europäischen Trendtag der Biotechnologie und zeigte auf, wie Biologie und die Prinzipien der Natur zunehmend an technischer Bedeutung gewinnen. Dabei soll aber nicht nur die Trennung zwischen Technik und Natur fallen, sondern auch die modernistische Trennung zwischen Natur und Mensch. Wir sind kein Gegenüber, sondern mittendrin, oder wie Tobias Rees es formulierte: «not engineering nature, but engineering with & in nature». Dass die deutsche Sprache kein Verb für den Akt der Ingenieurskunst kennt, ist vielleicht ihr grösstes Defizit.

Am Trendtag schienen Ideen wie die Myzel Towers, die bisher nur am 1. April denkbar waren, plötzlich in greifbarer Zukunft: Aus Pilzen werden Backsteine geformt, Bakterien zersetzen Abfall und Giftstoffe, lebende Bäume ersetzen Tragwerke aus Stahl und Beton, aus invasiven Arten wie dem japanischen Knöterich und dem Signalkrebs entstehen Keramikplatten.

Inspiration aus der traditionellen Baukunst

Die Bauwerke Ferdinand Ludwigs, selbsternannter «Baubotaniker» und Professor für Landschaftsarchitektur an der TU München, sind von der traditionellen Baukunst der Khasi im Nordosten Indiens inspiriert. Die Khasi können aufgrund der extremen Regenvorkommen von bis zu 26 m im Jahr keine konventionellen Brücken bauen. Was sich hingegen bewährt hat, ist es, Brücken zu pflanzen. Der Gummibaum «Ficus elastica» bildet Luftwurzeln, die sich über viele Jahre hinweg zusammenspannen und zu einer Brücke verflechten lassen. Die Herangehensweise an die Erstellung eines Tragwerks könnte sich von unserem Bauingenieurswesen kaum mehr unterscheiden: Kein Plan, kein statisches Konzept, nur die Idee einer Funktion ist der Ausgangspunkt der Brückenbauer. Pflege statt Bauen steht im Fokus und die Pflanze gibt vor, wie das Werk sich entwickelt.

Lebende Bauwerke sind nie fertig

Diese Idee eines «lebenden Bauwerks» übertrug Ludwig in seine eigene Arbeit. Gemeinsam mit Studierenden entstand ein Platanen-Pavillon, dessen Dach direkt auf den Stämmen von 26 lebenden Platanen aufliegt. Ebenfalls aus Platanen ist sein wohl ambitioniertes Projekt bis anhin: Im Rahmen des Landesgartenschau 2012 in Nagold konstruierte er einen Kubus aus 10x10x10 m, indem eine Vielzahl junger Platanenbäumen in Töpfen übereinanderstapelte und zu einer Tragstruktur verschraubte. Vier Stahlstützen tragen die Konstruktion, die mit den Jahren stärker wird und sich irgendwann selbst tragen und vom Boden her mit Wasser und Nährstoffen versorgen kann.

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Eine Bauzeit von mehreren Jahrzehnten scheint aus der Perspektive konventioneller Bautätigkeit unvorstellbar. Aber ein direkter Vergleich der Bauweisen greift zu kurz, egal in welche Richtung, denn ein lebender Organismus ist nie gebaut. Der Platanenkubus ist seit 2012 genutzt, und dennoch wird er nie fertiggestellt sein. Und wenn eine lebende Brücke, Pavillon oder Fassade mal steht, wird sie über die lange Lebensdauer der Pflanzen, welche das Bauwerk tragen und formen, nur stabiler, während unsere Bauwerke vom Moment der Fertigstellung mit ihrem Zerfall beginnen.

Anderer Sektor, gleiche Probleme

Der Fokus der GDI-Tagung lag abgesehen von Ludwigs Referat zwar nicht auf der Bauwelt, dennoch lassen sich die Themen und Herangehensweisen anderer Disziplinen auch auf unsere Branche übertragen. Denn Klimaneutralität, Zero-Waste und Kreislaufwirtschaft sind gesamtgesellschaftliche Ziele und Herausforderungen, die in allen Sektoren gelöst werden müssen.

So wissen auch Lebensmittelhersteller und die Textilindustrie, dass ihre heutigen Materialien und Prozesse zu viel Treibhausgase emittieren und die Umwelt verschmutzen. Carole Collet von der Londoner Kunsthochschule Central Saint Martins zeigte, wie sich die Lehrtätigkeit an diese Herausforderungen anpasst: Das Studium geht heute weit über den Entwurf von Möbeln oder Kleidung hinaus, Studierende haben Zugang zu Labors, in denen sie neue Textilien und Materialien züchten. Die Produktion kann dadurch dezentralisiert und unabhängig werden, problematische Baumwoll-Plantagen und hochgiftige Farbstoffe sind passé, wenn Designer ihre Stoffe selbständig im Keller «brauen» können.

Auf die Frage, ob denn diese Entwicklungen schnell genug kämen, oder ob es regulative Eingriffe braucht, redet Collet Klartext: Lösungen gebe es schon heute, aber ohne Gesetzgebung werde sich die Entwicklung nicht schnell genug beschleunigen. Hoffnung setzt sie in den «Digital Passport», der zukünftig die Herkunft, Bestandteile und Bilanz jedes Produkts nachvollziehbar aufzeigen muss. Dieser ist Voraussetzung für die Bilanzierung aller Folgeprodukte und werde dadurch – auch bevor strenge Grenzwerte gelten – zu einem «competitive asset». Entsprechende Gesetze sind in Frankreich bereits in Kraft und werden in der EU folgen. Transparenz und Bilanzierbarkeit jedes Materials und gesamter Prozesse wird auch in der Baubranche Wirkung entfalten, wenn auch auf anderem Massstab als in der Modebranche, wo wir alle Konsumentinnen und Konsumenten sind.

Die Zukunft ist da

Ein Podium mit drei Fellows vom Villars Institute ergänzten die Expertinnen und Experten am Trendtag. Die Stiftung mit Sitz in den Schweizer Alpen will die Transformation zu einer Netto-Null-Wirtschaft beschleunigen und junge Menschen befähigen, an den Lösungen und dem Wandel mitzuarbeiten. Mit 17 Jahren stehen die beiden jungen Frauen und der junge Mann kurz vor dem Einstieg ins Berufsleben, oder zumindest vor dem Entscheid für eine Studiendisziplin, Biologie und Chemie wurde zweimal als Favorit genannt. Sie alle setzen sich intensiv mit den aktuellen Krisen auseinander und waren froh um die vielen Perspektiven, Beispiele und Möglichkeiten, welche die Inputs am Trendtag aufzeigten.  

Das Potenzial der Biotechnologie inspirierte nicht nur die jungen Menschen im Saal, auch wenn der Weg bis zu einer Standardisierung und breiten Anwendung bei manchen Ideen noch weit ist. Wie Karin Frick, Principal Researcher am GDI, zu Beginn der Veranstaltung sagte: «Die Zukunft ist schon heute da. Sie ist nur ungleich verteilt.» Am 19. Europäischen Trendtag war die Zukunft im GDI dicht und greifbar.

Weitere Infos zum 19. Europäischen Trendtag am Gottlieb Duttweiler Institut gibt es hier.