Der kleine Un­ters­chied

Unvorhergesehenes

Date de publication
13-10-2016
Revision
23-11-2016

Meine Mutter war Physikerin, die einzige im Labor für Halbleitertechnologie eines Elektronikkonzerns. Auf der Strasse wurde sie beschimpft, sie nehme einem Familienvater die Stelle weg. Sie galt als Rabenmutter, weil sie ein Vollzeitpensum hatte. Die Arbeitskollegen fanden, sie müsse ihnen Kaffee bringen, und staunten, als sie nichts dergleichen tat. Statt dessen promovierte sie.
Das ist lang her. Heute ist alles ­anders. Heute werden Frauen, die in einer Männerdomäne tätig sind, nicht mehr auf offener Strasse angepöbelt. Heute erfolgt die Beschimpfung anonym, meist im Web, und sie lautet unweigerlich: Quotenfrau.
Ich finde nicht, dass das ein echter Fortschritt ist. Im Gegenteil: Früher gab es zwar Leute, die qualifizierte Berufsfrauen anfeindeten, aber die Qualifikation sprachen sie ihnen nicht ab. Heute dagegen suggerieren sie, erfolgreiche Frauen hätten ihre Positionen nur dank einer Quote ergattert, die das Geschlecht über die Qualifikation stellt. Ein aktuelles Beispiel sind die fiesen Kommentare über die neue Direktorin des Amts für Städtebau in Zürich.
War demnach früher alles besser? Ich weiss es nicht. Ich habe auch keine Zeit, neben Beruf und Familie länger darüber nachzudenken. Aber ich tue alles, damit meine Tochter sich diese Frage nie stellen muss.

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