Der Be­gi­nen­hof von Fran­ce­s­ca Tor­zo

Nur schon mit Francesca Torzo in Kontakt zu treten ist schwierig. Denn die italienische Architektin arbeitet in ihrem Atelier in Genua in beinahe klösterlicher Manier: Um sich voll und ganz auf ihre Projekte konzentrieren zu können, ist sie weder übers Telefon noch per Mail erreichbar. Die Erweiterung der inmitten eines ehemaligen Beginenhofs gelegenen Kunstgalerie Z33 im belgischen Hasselt zeigt auf, wie eine solche Herangehensweise ein Werk hervorbringen kann, das über Zeit und Materie hinausgeht.

Publikationsdatum
27-09-2021

Es gibt Orte, die dazu einladen, sich der Flut der Gegenwart zu entziehen und einen Schritt auf die Seite zu machen, um mit der Welt, die uns umgibt, in Kontakt zu treten. Oftmals treffen an diesen Orten Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aufeinander, wie beispielsweise in Museen und Kirchen.

Auf das Haus Z33 von Francesca Torzo in Hasselt trifft all das zu. Die Erweiterung der Kunstgalerie wurde über neun Jahre hinweg in der Stille ihres Ateliers in Genua sorgfältig geplant. Der Entwurf von Torzos Atelier selbst orientiert sich an einem Studiolo gemäss der Definition des Dichters Francesco Petrarca: ein Studierzimmer, ein mentaler Raum, ein Ort, an dem man der Einsamkeit frönen kann und der die Auseinandersetzung mit der Gegenwart ermöglicht. Eine Einsamkeit, die nicht dazu dient, der Welt zu entfliehen, sondern dazu, sie mittels eines individuellen Denkprozesses neu zu erfinden.1

Einladung zum Anfassen

Das von Gion von Albertini aufgenommene Bild der Hauptfassade der Erweiterung vermittelt einen guten ersten Eindruck des Projekts. Ein Vorhang aus roten, als Mosaik angelegten Ziegelsteinen reicht bis zum Horizont und durchschneidet oben den blauen Himmel und unten den grauen Asphalt. Es heisst, die Architekten und die Ziegelei Petersen Tegl2 hätten mit einer Mischung aus Wein, Wasser und Milch experimentiert, um den richtigen Farbton für die Fassade zu erhalten, denn er sollte auf die nebenstehenden historischen Gebäude anspielen.

Faszinierend an der Arbeit von Torzo ist auch der Umstand, dass die Architektin in ihrer Praxis das vom Soziologen Hartmut Rosa entwickelte Konzept der Resonanz zu erproben scheint. Ein Konzept, das die unsere Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert bestimmende Beschleunigung kritisiert. Rosa sagt: «Von Resonanzachsen lässt sich dagegen dann und dort reden, wo sich zwischen dem Subjekt und diesem Weltausschnitt eine Form der Bezugnahme etabliert»3.

Und so kommt die Sinnlichkeit der Fassade des Z33 einer Einladung gleich, mit der Welt mitzuschwingen: Nur schon ein Bild davon weckt die unbändige Lust, die Mauern mit den Fingerspitzen zu ertasten, mit den Augen alle Nuancen dieser frischen und weichen, in der Mitte nur leicht geknickten Haut zu erfassen. Man stellt sich vor, wie sie mit der Sonne spielt, ist überrascht ab ihrem Hellrosa am Morgen und ihrem Blutrot an nebligen Tagen und denkt verwundert, dass Hasselt eine Stadt im Nebel zu sein scheint.

Beginen und Hexen

Der alte Beginenhof von Hasselt ist eine Insel. Er definiert ein Dreieck im kreisförmigen historischen Kern der Stadt, richtet seinen schlichten Rücken zur Stadt hin und schliesst seine Arme um einen geheimen Garten. Von der Anlage aus dem 18. Jahrhundert bestehen heute nur noch die Ruine einer Kirche und dreizehn Häuser mit Gärtchen, die V-förmig um einen Platz angeordnet sind: Wie ein fehlendes Puzzlestück fügt sich die Erweiterung in dieses System ein, das durch die Wahl einer «inkongruenten, aber fortschreibenden» Ziegelsteinkonstruktion vereinheitlicht wird, wie Torzo sagt.

Es lohnt sich, das Projekt auch vor dem Hintergrund der Beginenvergangenheit zu betrachten. Einige Historiker sind der Ansicht, dass die im 12. Jahrhundert im Süden der Niederlande entstandene Beginenbewegung als erste feministische Bewegung in der Geschichte des Christentums verstanden werden kann. Angesichts der Starrheit der Kirche forderten zu dieser Zeit immer mehr Menschen eine fromme Lebensweise, die nicht auf der Hierarchie, sondern auf dem Apostolat beruht.

Die Beginen identifizierten sich mit der Tradition der Zünfte und gründeten ihr Modell mehr auf einer urbanen säkularen Anschauung denn auf einer religiösen: Sie schlossen sich zu getrenntgeschlechtlichen Gemeinschaften zusammen, die nicht von einem Mitglied des Klerus angeführt wurden, sondern von einer von ihnen ernannten Meisterin. Dank ihrer handwerklichen Fertigkeiten – hauptsächlich im Textilgewerbe – konnten sie sich ihre finanzielle Unabhängigkeit bewahren und nahmen eine bedeutende wirtschaftliche Stellung innerhalb der mittelalterlichen Stadt ein. Sie lebten in einem abgeschlossenen Ort, dem Beginenhof, konnten sich aber frei bewegen.

Oftmals wurde diesem schwesterlichen Leben ohne männliche Bevormundung – denn die Beginen waren weder Ehefrauen noch Nonnen – mit Misstrauen und Kritik begegnet und einige Beginen wurden sogar der Hexerei bezichtigt. In der Erweiterung der Z33 vermischen sich die Geschichte der Beginenbewegung und die Arbeitsweise Torzos. Man fragt sich unweigerlich, ob dieser Ort nicht die Werte einer Architektin verkörpert, deren Vorgehensweise beinahe klösterlich anmutet.

Um das Projekt zu verstehen, drängt sich ein Spaziergang entlang der Einfriedung des Beginenhofs auf, die zuweilen Mauer, zuweilen Gebäude, in regelmässigen Abständen von kleinen vertikalen Öffnungen durchbrochen wird. Ihr Rhythmus wird von den kaum merkbar hervorspringenden Strebepfeilern und den geschwungenen, geschmiedeten Ankern bestimmt. Manchmal ist sie nur noch ein Mäuerchen, das man spielend erklimmen könnte. Der Efeu und die hundertjährigen Bäume breiten ihr Blätterwerk bis auf den öffentlichen Raum aus.

Unter diesem Grün wirkt das Rot der Mauer fast schwarz. Etwas weiter dann wird es wieder zu einem Ockerton und wirkt so formeller. Eine Kontemplation dieses grossen Dreiecks offenbart, dass kein Ziegelstein dem anderen gleicht, sie aber durch ihre Stofflichkeit die gleiche Sprache sprechen. Im Laufe der Jahrhunderte entstand ein grosses Patchwork, zu dem die Erweiterung das ihre beiträgt.

Aussen blutrot, innen milchweiss

Das Haus für zeitgenössische Kunst Z33 ist ein einziger Gebäudekörper bestehend aus zwei Teilen: dem Flügel 58 und der Erweiterung Torzos. Die rote Aussenhaut kontrastiert mit dem Weiss des Innern. Die Erweiterung übernimmt im Grundsatz die Idee des White Cube, entzieht sich jedoch jeglicher Standardisierung: Der Verzicht auf Farbe ermöglicht eine grosse Vielfalt an formalen Experimenten. Jede Fläche wurde mit grosser Sorgfalt bedacht, wie beispielsweise die Decke, die durch ihre dreidimensionale Faltung das Mosaikmuster der Fassade aufgreift. Aber auch der Boden ist Poesie, die mit den bei jeder Öffnung angeordneten Fuge die Schwelle zum Thema hat.

Der Grundriss des Gebäudes orientiert sich am bestehenden Flügel und schlägt eine Reihung von Ausstellungsflächen vor, die einer Sammlung von Räumen mit unterschiedlichen Grössen, Proportionen und Lichtverhältnissen gleichkommt. Torzo geht der Lust am Entwerfen eines räumlichen Motivs nach, das mit einer Abstufung von öffentlich zu privat, von offen zu intim an die Vielfalt von städtischen Erfahrungen anknüpft. Die Abfolge von Räumen unterschiedlicher Ausformung, deren Volumen zeitweise der Krümmung des Strassenverlaufs unterworfen sind, werden von als Patios angelegten Aussenräumen aufgelöst. In diesen introvertierten Räumen kreuzen sich die Sichtachsen und werden Erinnerungen an das Geflecht mittelalterlicher Städte wach.

Architektur als Kleid

Die haptische Dimension von Torzos Werk ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass sie nicht nur die Architektur, sondern eine Vielfalt von Wissen in ihre Arbeit miteinbezog. Sie versteht Handwerk als Übersetzung eines experimentellen Verfahrens, als Möglichkeit, ein Problem mit dem richtigen Werkzeug zu lösen. So hat es drei Jahre gedauert, um gemeinsam mit der Ziegelei Petersen Tegl den Prototypen des handgeformten Terracotta-Ziegels zu entwickeln, der das Motiv der Aussenfassade ausbildet.

Genau wie die Beginen arbeitet auch Torzo mit Textilien: Damit der Fassadenentwurf der Erweiterung dem Publikum vorgestellt werden konnte, wurde die Fassade mit einer Tapete von fast vier Metern Länge mit aufgedruckten, diamantförmigen Motiven behangen. Die Suche Torzos nach einer sinnlichen Architektur, die sich mit dem Körper und seinen Bewegungen im Raum auseinandersetzt, findet sich auch in ihren Entwürfen von Alltagsobjekten wieder, allem voran von Möbelstücken.

Und so ist der Klemmkonstruktion aus Nussbaumholz des Stuhls Larga und dem filigranen Treppengeländer, das sie für Z33 zeichnete, die Präzision und die Freude an der tastenden Hand gemein. Indem sie einer Museumserweiterung die gleiche Behandlung zukommen lässt wie einem Seidenkimono, wird die Architektur zu einem gutsitzenden Kleid, das uns berührt und uns ermöglicht, mitzuschwingen und uns in im Hier und Jetzt einzubringen.

Anmerkungen

1 Francesca Torzo, an atelier, Hasselt, 2012.

2 Petersen Tegl wurde vor allem durch die in Zusammenarbeit mit Peter Zumthor (bei dem Francesca Torzo arbeitete) entwickelten Ziegelsteine für das Kolumba Museum in Köln bekannt.

3 Hartmut Rosa, Resonanz, 2020.

Erweiterung Kunstgalerie Z33, Hasselt (B)

 

Wettbewerb
2011

 

Bauzeit
2012–2019

 

Baukosten
8.1 Mio. Euro

 

Nutzfläche
4660 m2

 

Bauherrschaft
Provinz Limburg, Z33

 

Architektur
Francesca Torzo

 

Bauleitung
Isabelle Goosens, ABT Belgium NV

 

Tragkonstruktion
Conzett Bronzini Partner

 

Ziegel
Petersen Tegl