Pont Bleu 3.0 – ein neu­es Herz­stück

An der Hauptschlagader des Knotenpunkts beim Bahnhof Renens VD galt es, unter laufendem Betrieb eine Brücke auszutauschen. Der Eingriff verhilft dem Langsamverkehr zu mehr Bedeutung – nun markiert durch den prägnanten Pont Bleu. Dank einer ausgeklügelten Planung des Ingenieurteams von Synaxis liefen die spektakulären Montagen präzise wie ein Uhrwerk ab.

Publikationsdatum
28-09-2021
Hugo Anacleto
Bauingenieur FH REG A, Projektverfasser und örtlicher Bauleiter, Synaxis, Lausanne

Mit ihrem leuchtenden Blau zieht die neue Brücke am Bahnhof von Renens die Aufmerksamkeit auf sich. Die optimistische Farbe ist nicht nur eine Verneigung in Richtung des ebenso blauen ersten ­Vorgängerbaus, sondern verleiht auch dem grossen Schritt Ausdruck, den der regionale Verkehrsplan in Richtung Zukunft unternimmt: Um eine sanfte Mobilität und die Vernetzung öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern, werden im Westen von Lausanne Mobilitätsprojekte aller Grössenordnungen entwickelt.

Dazu zählen die neue Tramlinie zwischen Lausanne und Villars-Sainte-Croix, neue Bus­linien, Autobahn­anschlüsse und der Ausbau des Bahnhofs Renens. Den Verkehrsteilnehmenden sollen «multimodale Systeme» zur Verfügung stehen – das bedeutet, dass sie, um eine Strecke zurückzulegen, unter mehreren alternativen Transportmitteln wählen können.

In diesem Rahmen fand auch der Neubau des Pont Bleu statt. Er liegt unmittelbar westlich vom Bahnhof Renens und überspannt acht Gleise, auf denen im Jahr 2020 rund 100 000 Züge verkehrten – zum Vergleich: Dies liegt 20 % über der Zugfrequenz am Bahnhof von Aarau, das eine ähnlich hohe Einwohnerzahl aufweist.

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Der betroffene Abschnitt ist Teil der Kantonsstrasse, die als Hauptverkehrsachse der Agglomeration Lausanne-West täglich von rund 20 000 Fahrzeugen genutzt wird und verbreitert werden sollte – nicht, weil hier zukünftig mehr Autoverkehr erwartet wird, sondern um das Netz des Langsamverkehrs durchgängig zu gestalten und auf dessen Sicherheits- und Komfortansprüche zu reagieren.

Da die bestehenden Bauten in schlechtem Zustand waren, entschied man sich für den Ersatz der Brücke von 1972. An das identitätsstiftende blaue Teilstück über den ersten beiden Feldern schliessen sich weitere fünf neue Felder an, bis die ­Brücke im Nordosten, Richtung Renens, auflagert.

Übertragung in eine Form aus Stahl

Die Anforderungen an die Instandsetzung führten zu einem besonderen Brückenkörper, der von nun an die Querung symbolisiert. Das Feld 1 und 2 des Pont Bleu, das die Gleise überbrückt, ist als einfacher Balken mit einer Spannweite von 56 m konzipiert. Der U-förmige Querschnitt besteht aus zwei Fachwerkträgern mit unten liegender Fahrbahn und einer Fahrbahnplatte in Stahl-Beton-Verbundbauweise.

Was erst in der Queransicht ins Auge fällt: Die Fachwerkträger sind eingerückt angeordnet, sodass sie den Langsamverkehr vom motorisierten trennen. Die Neuordnung und die daraus resultierende erhöhte Sicherheit bedeuten eine erheb­liche Aufwertung dieser Achse für die gefährdeteren Verkehrsteilnehmenden.

Das Feld 3 erhielt eine asymmetrische Form, um einen harmonischen Linienverlauf beim Übergang zwischen den bestehenden T-Trägern und den neuen Fachwerkträgern der Hauptspannweite zu gewährleisten. Die Gestaltung der Widerlager, des Pfeilers 2 und der Fachwerkdiagonalen bildet optisch eine Einheit mit den geneigten Lärmschutzelementen, zwischen denen sich die Teilnehmenden des Langsamverkehrs weniger eingeschlossen fühlen.

Die Strassenbeleuchtung ist zu beiden Seiten symmetrisch und nach unten strahlend am oberen Gurt der Fachwerkträger angeordnet – hier wäre eine Integration der Leuchtkörper in die gesamte Figur ein Gewinn gewesen.

Die Brückenfelder 1 und 2 im Südwesten bilden ein Eingangstor zur Gemeinde Ecublens und schaffen nicht nur einen Bezug zu den aktuellen grossen Bahnprojekten in Lausanne-West («Léman 2030» und Nah­-verkehrsprojekten «Axes forts»), sondern mit der An­lehnung an die Materialisierung und Geometrie des ersten Pont Bleu auch eine Verbindung zur Vergan­genheit. Farbe und Form nehmen Elemente der 1906 erbauten Brücke wieder auf, die mit dem Folgebau von 1972 verloren gingen.

Die Spannweite ergab sich aus der neuen Positionierung der Widerlagerbank hinter der bestehenden Stützmauer auf der südwestlichen Seite und aus der neuen Lage von Pfeiler 2. Dieser wurde ausserhalb des anprallgefährdeten Bereichs hinter dem bestehenden Pfeiler erstellt, wobei Letzterer während der Bauarbeiten als Schutzwand diente.

Die Mindesthöhe von 6.30 m über der Schienenoberkante sowie die vertikale Linienführung der Strasse bestimmten die Lage der Fahrbahnplatte. Die Fachwerkträger, zwei durchlaufende Gurte mit V-förmigen Diagonalen, sorgen für ein besonders transparentes Tragwerk, da sie ohne vertikale Pfosten aus­kommen. Sie bringen zudem genügend Quersteifigkeit, um die Obergurte ohne Verband auszuführen. Dies verbessert noch einmal die Sicht für den Strassenverkehr.

Um exponierte Flächen zu vermeiden, an denen sich Ablagerungen von Tausalz aus Spritz­wasser oder von Staub festsetzen könnten, sind Gurte und Streben als Kasten ausgebildet. Der Einbau eines lärmmindernden Strassenbelags und das Erstellen von Lärmschutzwänden ­ergänzen die frühere Materialisierung und verringern die akustische Belästigung der Umgebung durch den Verkehr.

Einbindung in zukunftsträchtige Mobilität

Das Fehlen einer Abdichtung auf der Fahrbahnplatte und die geringe Überdeckung der schlaffen Bewehrung zeugten von einer Zeit, in der man Beton noch für ­unzerstörbar hielt. Am Brückenoberbau befanden sich die Lagerkonstruktionen und Dilatationsfugen in einem schlechten Zustand. Zusätzlich kamen Schäden am ­Fahrbahnbelag und an den Pfeilern und Widerlagern durch starken Chlorideintrag zum Vorschein, ausserdem ­Setzungen des südwestlichen Widerlagers.

Abgesehen von der Beseitigung einzelner Verschleisserscheinungen haben die Planenden aber auch Neubetrachtungen angestellt, die die Bedeutung der Brücke als Teil eines im Aufbau befindlichen Verkehrssystems erfassen: Durch die Veränderung der Strassen­achse in allen Dimensionen – horizontale und vertikale Linienführung sowie das Gefälle – konnte das Trottoir auf südwestlicher Seite so breit ausfallen, dass hier nun eine bequeme Spur für den Langsamverkehr zur Verfügung steht, während das Trottoir auf der anderen Seite der Fahrbahn den Fussgängern vorbehalten ist.

Weniger Pfeiler für höhere Sicherheit

Das zweite grosse Umdenken liegt in der vollständigen Modifikation des statischen Systems: 2012 wurde eine Vorstudie und 2015 eine Analyse des Anprallrisikos für den im Gleisfeld stehenden Pfeiler 1 durchgeführt. Die Untersuchungen ergaben, dass alle Teile des Brückenunterbaus aus dem Bahnbereich zu entfernen und folglich die ersten beiden Brückenfelder zu ersetzen waren.

Darauf basierend veranlasste der Kanton Waadt 2016 eine öffentliche Ausschreibung, aus der die Beauftragung der Ingenieurgruppe Synaxis hervorging. Parallel zu einer Variantenstudie für den Ersatz der Brücken­felder 1 und 2 über den Gleisen – dort, wo nun der ­«eigentliche» Pont Bleu liegt – folgte eine eingehende ­Über­prüfung des gesamten Brückenbauwerks, um eine solide Grundlage für die Planung von Erhaltungsmassnahmen zu schaffen.

Die Kontrolle der Tragsicherheit ergab, dass alle Bauteile einen ausreichenden Erfüllungsgrad für Strassenverkehrslasten (40 t mit Überfahrt von Kranwagen bis 96 t gemäss SIA 269/1 2011) bieten. Für den Anprall von Strassen- und Schienenfahrzeugen erwiesen sich die Pfeiler 1 bis 3 als unterbemessen, und die Spannungswechsel in der Fahrbahnplatte waren zu gross für den Nachweis der Ermüdungssicherheit.

Der Pfeiler 2 erhielt eine feste Lagerung mit einem einfachen Träger über den Bahngleisen und einem semiintegralen Durchlaufträger für den Rest der Brücke. Damit einher geht die Vereinheitlichung der Funda­tionen: Die Südseite lagert auf der Grundmoräne, um Setzungsprobleme zu vermeiden. Das sicherheitstechnische Hauptproblem, die Konsolidierung der Brücke im Fall eines Anpralls durch Strassen- und Schienenfahrzeuge an die Pfeiler 2 und 3 und vor allem die ­Entfernung des Pfeilers 1 im Gleisfeld, liess sich auf diese Weise lösen.

Die Konstruktion spiegelt den Bauprozess

Die strategische Bedeutung des Bauwerks und die Tatsache, dass mehrere Baustellen in der Umgebung zu berücksichtigen waren, spielten bei der Planung eine grosse Rolle. Gleichzeitig galt es, Störungen für die ­Anwohner, die Nutzenden der Verkehrsachse (motorisierter, Fussgänger- und Veloverkehr) und den Bahnverkehr so gering wie möglich zu halten.

Eine Analyse verschiedener Bauweisen ergab, dass nur ein Brückenersatz durch Einheben allen Randbedingungen gerecht wurde. Für den Entwurf der ­Brückenfelder 1 und 2 war folglich die Tragfähigkeit eines Raupenkrans zu berücksichtigen. Aus diesem Grund kamen besonders flexible oder komplexe Kon­struktionen nicht infrage.

Die Struktur hat sich teil­weise aus der hohen Frequenz des Strassen- und Bahnbetriebs entwickelt. So musste die Konstruktion über eine ausreichende Steifigkeit verfügen, um eingehoben ­werden zu können, und dies galt es mit möglichst wenigen betrieblichen Massnahmen umzusetzen.

Um die Unterhaltsarbeiten während der Lebensdauer des Bauwerks möglichst gering zu halten und die Ermüdungsfestigkeit sowie die Wasserbeständigkeit des Tragwerks zu erhöhen, galt der Qualität der Ver­bindungen und Fugen besondere Aufmerksamkeit.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 29/2021 «Lebensadern über den Gleisen».


Der Artikel basiert auf Veröffentlichungen von Hugo Anacleto in TRACÉS 22/2019 «Le Pont Bleu». Aus dem Französischen von Wulf Übersetzungen.

Pont Bleu, Renens VD

 

Bauherrschaft und Oberbauleitung: Kanton Waadt, Gemeinde Ecublens, Gemeinde Crissier

 

Projektverfasser und örtliche Bauleitung: Synaxis Bauingenieure, Lausanne

 

Generalunternehmen: AG Marti Construction;  Zwahlen & Mayr; Cimolai

 

Transport: Sarens, Wolvertem Belgien

 

 

Daten

 

Planungs- und Bauzeit
Juli 2016–Juli 2019: Vorstudien, Ausführungsplanung
März–Oktober 2017: Terminierung Sperrungen
Juni 2019: Abriss Brücke Bestand
Juli 2019: Aufstellung neue Brücke
2018–2020: Instandsetzung Bestand

 

Finanzielle Beteiligung: Bund, SBB

 

Gesamtkosten: 20 Mio. Fr.

 

Länge: 176 m

 

Breite: 14.20 bis 15.60 m

 

Gesamthöhe: 6.60 m

 

Material: 6000 m³ Kies, 530 t schlaffe Bewehrung, 2400 m³ Beton, 2352 m Spannlitzen (Vorspannung) und 670 m Spannglieder (Nachspannung)

 

Spezifizierung Stahl: 380 t legierter Stahl S460NL und S460NL Z35 für die Fachwerkträger und S355J2 für Querträger, Deckblech und Längsrippen 9380 Verbindungsmittel S235J2 G3 + C450; Ausführungsklasse EXC3 (vollständig geschweisste Brücke)

Anmerkungen

 

1 Orthotrope Stahlplatten sind besonders leicht; sie sind auf der Unterseite mit aufgeschweissten Stahlprofilen in Längs- und Querrichtung versteift.

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